AfD kündigt Verfassungsklage an Landtag setzt abgespeckten Corona-Ausschuss ein

Die AfD bekommt ihr Recht und einen Corona-Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag. Dafür haben CDU, SPD, Grüne und FDP gestimmt. Allerdings haben sie den Auftrag stark zusammengestrichen. Der Streit geht deshalb vor dem Verfassungsgericht weiter.

Die Stühle im Klassenraum sind hochgestellt, auf der Tafel steht mit Kreide das Wort "Lockdown".
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Nach mehrwöchiger und heftiger Auseinandersetzung war es am Donnerstag soweit: Der Landtag hat einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der die hessische Corona-Politik aufarbeiten soll.

Am Donnerstag stimmten in Wiesbaden die Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP dafür. Die AfD enthielt sich, nachdem sie ihren ursprünglichen Antrag nicht hatte durchsetzen können. Von dem ursprünglichen 43-Punkte-Antrag der AfD sind allerdings nur wenige Punkte übriggeblieben.

Was noch übrig ist

Der Landtag hatte auf Betreiben der übrigen Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP wegen verfassungsrechtlicher Bedenken mehrere Gutachten in Auftrag gegeben. Nach deren Lektüre kürzten diese vier Fraktionen in einem zusätzlichen Papier den Untersuchungsauftrag des Corona-Ausschusses auf lediglich sieben Punkte zusammen, die nach ihrer Auffassung mit der Verfassung vereinbar sind. Viele Aufgaben, die der Corona-Ausschuss laut AfD hätte bekommen sollen, verstießen gegen die Verfassung.

Demnach soll der Untersuchungsausschuss nun untersuchen:

  • War Hessen ausreichend und auf dem Stand der Wissenschaft auf die Pandemie vorbereitet?
  • Wurde bei den allgemeinen Vorkehrungen gegen Pandemien und auch während der Coronakrise eine bestehende Risikoanalyse aus dem Jahr 2013 berücksichtigt?
  • Hätte die Pandemie zu Beginn wirksamer eingedämmt werden können – auch um Zeit zur Vorbereitung zu gewinnen? Zur Debatte werden unter anderem Einreiseverbote am Frankfurter Flughafen gestellt.
  • Hätten Einschränkungen wie die Lockdowns durch frühzeitiges Handeln ganz oder teilweise verhindert werden können?
  • Um welche Amtshilfe ersuchten hessische Behörden bei der Durchsetzung der Corona-Maßnahmen – vor allem im Umgang mit Protesten wie den "Montagsspaziergängen"?
  • Wie viel Geld gab das Land aus, um für die Akzeptanz der Maßnahmen und vor allem der Impfungen zu werben?
  • Wurden die Erfahrungen aus der Coronakrise in den bestehenden Pandemieplan des Landes aufgenommen?

Der AfD-Antrag reichte sehr viel weiter: Es ging unter anderem um die politische Entscheidungsfindung in Wiesbaden und Berlin, rechtliche Aspekte der Corona-Maßnahmen, Lockdown-Folgen wie verschobene Operationen oder psychische Auswirkungen auf Kinder, die Situation in Kliniken oder auch um Impfstoffe und mögliche Impfschäden.

Der Ausschuss hätte laut den Gutachten aber vor allem seine Kompetenzen überschritten, wenn er wie von der AfD gewünscht die Arbeit über die Zuständigkeit der Landesregierung ausgedehnt hätte. Die AfD hatte unter anderem die Ministerpräsidentenkonferenz oder Bundesbehörden wie das Robert-Koch-Institut (RKI) genannt.

Andere Aufträge waren nach Einschätzung der Experten zu vage formuliert oder nahmen die dem Ausschuss vorbehaltene Bewertung von Corona-Maßnahmen unzulässig vorweg.

Mittelweg gewählt

Der Landtag habe sich in einem Dilemma befunden, teilte die SPD am Donnerstag mit. Zum einen habe man die "verfassungsmäßigen Rechte der parlamentarischen Minderheit" schützen müssen. "Zum anderen aber darf der Landtag keine Beschlüsse fassen, die gegen das Grundgesetz, gegen die Hessische Verfassung oder anderweitig gegen geltendes Recht verstoßen", sagte Lisa Gnadl, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion.

Der Einsatz eines Untersuchungsausschusses ist unabdingbar, wenn ein Fünftel der Abgeordneten dies beantragt. Das sind im Wiesbadener Landtag 27 der 133 Abgeordneten. Die AfD-Fraktion besteht aus 26 Mitgliedern. Der fraktionslose Abgeordnete Sascha Herr unterstützte ihren Antrag. Die AfD-Parlamentarier hatten ihn einst nicht in ihre Reihen aufgenommen unter Verweis auf Kontakte zu Neonazis, die er selbst bestreitet. 

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Miriam Dahlke, warf der AfD mit Blick auf die Unterschrift von Herr unter ihrem Antrag vor, nicht davor zurückzuschrecken, "mit der Neonaziszene zusammenzuarbeiten". 

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Was die Verfassung garantiert, und was sie fordert

Der Regierung per Untersuchungsausschuss auf den Zahn fühlen: Die hessische Verfassung garantiert in Artikel 92 der Opposition dieses Minderheitenrecht, ein erst seit 2020 geltendes spezielles Gesetz regelt die Details. Unterstützt mindestens ein Fünftel der Abgeordneten den Antrag, darf die Parlamentsmehrheit das Gremium nicht verhindern. Inhaltlich ändern darf sie den Auftrag auch nicht. Gleichzeitig müssen verfassungswidrige Passagen gestrichen werden. Ob und in welchem Ausmaß das nötig ist - darum dreht sich der Streit bei der AfD-Initiative zum Corona-Ausschuss.

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AfD unterstellt politische Motive

Dagegen unterstellte die AfD, dass kein echtes Aufklärungsinteresse bei den anderen Parteien vorhanden sei. "Gäbe es den Minderheitenschutz nicht, hätten die anderen Fraktionen wohl nicht einmal dieser zusammengestrichenen Version zugestimmt", sagte Volker Richter, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag.

Die AfD will nun vor dem Hessischen Staatsgerichtshof Verfassungsklage einreichen. Damit wolle man erwirken "dass möglichst viele unserer ursprünglich 43 Untersuchungspunkte behandelt werden können", hieß es. Zuvor präsentierte die AfD ein Gutachten, wonach ihr Antrag verfassungsgemäß sei. Ihr Gutachter kam außerdem zum Schluss: Es habe lediglich "vermeintlich" eine Pandemie gegeben. In dieser Zeit habe in Deutschland außerdem eine "Diktatur" geherrscht.

Abgeordnete finden es "unerträglich"

Sprecher der anderen Fraktionen betonten: Man habe zwar eine andere Art der Corona-Aufarbeitung als die AfD gewünscht. Darum gehe es aber nicht. Der Landtag sei an die Rechtslage gebunden. Man habe die AfD aufgefordert, einen neuen, verfassungsgemäßen Antrag vorzulegen - dem sei die Partei aber nicht nachgekommen.

Dass die AfD mangelndes Entgegenkommen beklage, statt auf Grundlage der Gutachten einen verfassungsmäßigen Antrag vorzulegen, nannte der CDU-Abgeordnete Jörg-Michael Müller "unerträglich". Ex-Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) fand es "unverfroren". "Es ist am Ende kein Basar", entgegnete Ingo Schon, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, den Appellen Lambrous.

"Verschwörungsmythen entgegenwirken"

Die FDP im Landtag kündigte eine konstruktive, Verschwörungsmythen entgegenwirkende Arbeit im Corona-Ausschuss an. So wichtig die Achtung der Oppositionsrechte sei, so wichtig sei es auch, den bereits lancierten Verschwörungsmythen der AfD entgegenzutreten.

"Im Untersuchungsausschuss darf es aber nicht um Rache oder nachträgliche Klugscheißerei gehen: Das Ziel muss sein, aus den Corona-Erfahrungen für die Zukunft zu lernen, sagte Oliver Stirböck, Geschäftsführer der Freien Demokraten im Landtag.

Auch die Größe umstritten

Anfechten wird die AfD beim Staatsgerichtshof auch den beschlossenen Zuschnitt des Corona-Ausschusses. Sie wollte - nach dem Vorbild der jüngsten hessischen Untersuchungsausschüsse - ein 15-köpfiges Gremium. Entsprechend der Größe ihrer Fraktion hätte sie dann drei Mitglieder gestellt und damit ein Fünftel der Sitze. So hätte sie leicht Beweisanträge durchbringen und Zeugen laden können.

Die Gutachter waren unterschiedlicher Meinung. Die anderen Fraktionen haben nun ein 16-köpfiges Gremium festgeschrieben, in dem die AfD das Fünftel knapp verpasst. Argument: Die Fraktion hat im Parlament lediglich 19,5 Prozent der Sitze. Und sie könne auch so ihre Anliegen im Ausschuss durchsetzen.

Hintergrund: Kommt die AfD im Ausschuss nicht auf ein Fünftel der Sitze, werden Beweisanträge für sie schwieriger. Sie bräuchte jedes Mal aufs Neue die Unterstützung des umstrittenen Abgeordneten Sascha Herr. Das frühere AfD-Mitglied war nicht in die Fraktion aufgenommen worden, nachdem Neo-Nazi-Kontakte bekannt wurden. Eigentlich wollte die AfD nicht mit Herr zusammenarbeiten. Ohne ihn hätte der Fraktion aber für den Corona-Ausschuss eine Unterschrift gefehlt.

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Sendung: hr-iNFO, 20.06.2024, 18.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de