Landtag veröffentlicht Abschlussbericht zum Lübcke-Mord Die zentrale Frage bleibt offen

Jahrelang hat ein Untersuchungsausschuss des Landtags den Mordfall Lübcke politisch aufgearbeitet. Der von CDU und Grünen eingebrachte Abschlussbericht räumt Fehler des Verfassungsschutzes ein. Ein großes Fragezeichen bleibt.

Der Abschlussbericht des Lübcke-Untersuchungsausschusses
Der Abschlussbericht des Lübcke-Untersuchungsausschusses liegt vor. Bild © Benjamin Holler, hr
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Abschlussbericht für Lübcke-Untersuchungsausschuss

hs 13.07.2023
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Vier Jahre nach der Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten hat der hessische Landtag den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses veröffentlicht (13.07.2023). In dem von der schwarz-grünen Regierungsmehrheit vorgelegten 653-Seiten-Papier werden mehrere Fehler und strukturelle Mängel der Sicherheitsbehörden in der Zeit vor der Tat benannt.

So wird als "aus heutiger Sicht fehlerhaft" kritisiert, dass das Landesamt für Verfassungsschutz den späteren Mörder Stephan Ernst als nicht mehr gefährlich einordnete, seine Akte 2015 ausmusterte und ihn unbeobachtet ließ.

Die Frage, ob der Mord ohne diese Fehler zu verhindern gewesen wäre, lässt der Bericht aber offen.

Familie sieht es anders

Ein Sohn Lübckes hatte sich Anfang des Jahres in einem Interview mit dem Nachrichtenportal t-online überzeugt gezeigt, dass sein Vater noch leben könnte wenn nicht der Staat "auf dem rechten Auge blind" gewesen wäre.

Im Abschlussbericht heißt es zu der Frage nun: Der Untersuchungsausschuss könne sie "nicht auf eine faktenbasierte Art und Weise beantworten". Die Suche nach einer Antwort sei "auch nie Auftrag" des Ausschusses gewesen.

Die Grünen verweisen darauf, dass diese Formulierung wortwörtlich aus einem ursprünglichen Entwurf des SPD-Abgeordneten Gerald Kummer übernommen wurde. Er war bei der Einsetzung des Gremiums zum Berichterstatter des Ausschusses gewählt, sein Entwurf dann von Schwarz-Grün als unbrauchbar zurückgewiesen worden. Das hatte zu erbittertem Streit geführt.

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Vier Sichtweisen auf 1.481 Seiten veröffentlicht

Ein Ausschuss , vier Meinungen: Mit dem von CDU und Grünen vorgelegten Abschlussbericht des Lübcke-Untersuchungsausschusses und drei eigenen Bewertungen von SPD/FDP, Linkspartei und AfD hat der Landtag nun insgesamt 1.418 Seiten veröffentlicht. Drei Jahre hat der Ausschuss getagt. In 43 Sitzungen hörte er 55 Zeugen und Experten, 2.800 Akten lagen ihm vor.

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CDU legt sich fest, aber nicht im Bericht

Damit unterscheidet sich das schwarz-grüne Papier von der Eindeutigkeit, in der die CDU sich stets positioniert hat. "Der Mord an Dr. Walter Lübcke war nicht zu verhindern", hatte CDU-Ausschuss-Obmann Holger Bellino noch vergangene Woche wiederholt.

Fast wortgleich hatten diese Bewertung Ex-Ministerpräsident Volker Bouffier und sein Nachfolger Boris Rhein als frühere Innenminister vor dem Untersuchungsausschuss abgegeben. Der jetzige Chef des Innenressorts, Peter Beuth, sagte aus, die Tat sei nicht absehbar gewesen.

Die Union ist seit 24 Jahren an der Regierung, seit 2014 gemeinsam mit den Grünen. Sie stellt seitdem die für Sicherheitsbehörden und den Kampf gegen Rechts verantwortlichen Innenminister.

Landtagsdebatte kommende Woche

Über den Bericht wird der Landtag am Mittwoch (19.07.2023) kommender Woche abschließend beraten - knapp drei Monate vor der Landtagswahl am 8. Oktober. Die oppositionellen Fraktionen SPD und FDP haben gemeinsam eine zeitgleich mit dem Abschlussbericht veröffentlichte eigene Stellungnahme vorgelegt, ein sogenanntes Sondervotum - genauso wie jeweils die Linkspartei und die AfD.

Das sind weitere kritische Feststellungen des Abschlussberichts:

  • Gefährlichkeit Ernsts unterschätzt: Dass der seit Anfang der 90er Jahre als gewalttätiger Rechtsextremist bekannte Mann anhaltend gefährlich war, stehe rückblickend außer Frage. "Somit war die Entscheidung, ihn nicht weiter zu beobachten, aus heutiger Sicht fehlerhaft."
  • Sperrung der Ernst-Akte: Weil Ernst als ungefährlich galt, wurde seine Akte aus Datenschutzgründen für den Dienstgebrauch gesperrt – per Schnellverfahren bei der Überprüfung von 1.300 infolge der NSU-Morde nicht gelöschter Personendateien. Dies sei "nicht sachgerecht gewesen".
  • Mängel bei Verfassungsschutz und Staatsschutz: Bis zum Mord habe es Reformversuche gegeben, die seien aber im Kampf gegen Rechts "nicht ausreichend" gewesen. Das betreffe unter anderem den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei, aber auch die Anpassung der Strategie an das zum "führerlosen Widerstand" gewandelte Konzept der Rechten. Konstatiert wird generell ein "mangelnder Zugang zur rechten Szene".
  • Kampf gegen Hass im Internet: Gegen den damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke war 2015 übel gehetzt worden. Die beobachteten Aktivitäten seien aber mit Ernst und seinem Gesinnungsgenossen Markus H. nicht in Verbindung gebracht und "unzureichend oder überhaupt nicht verfolgt" worden.
  • Waffenbesitz von Rechtsextremen: Markus H. setzte 2011 gegen die Stadt Kassel vor Gericht durch, dass er weiterhin Waffen besitzen darf. Es sei ein "Versäumnis", dass der Verfassungsschutz sein Wissen nicht weitergegeben habe, dass H. damals ein antisemitisches Youtube-Video geliked hatte.

SPD vermisst Bekenntnis der Union

SPD und FDP kommen auf 481 Seiten zu ähnlichen Ergebnissen. Sie wollen aber die Versäumnisse deutlicher gemacht und auch zugeordnet haben. "Die politische Verantwortung lag bei den CDU-Innenministern der letzten 24 Jahre“, sagte SPD-Fraktionschef Günter Rudolph am Donnerstag.

Er wies CDU und Grünen die Schuld daran zu, dass es zu keinem gemeinsamen Vorgehen “aller demokratischen Parteien“ gekommen sei. Die Union lenke von der Verantwortung ihrer Minister ab, "die Grünen machen brav mit".

Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner wies das zurück. Es sei bedauerlich, dass es zu keiner Einigung kam. Seiner Meinung nach sind sich CDU, Grüne, SPD und FDP in den Bewertungen "doch weitgehend einig".

Hessen-SPD weniger sicher als ihre Bundesvorsitzende

Wie Schwarz-Grün kommt auch SPD-Fraktionschef Rudolph zum Schluss, es sei "nicht seriös zu beantworten", ob die Tat zu verhindern gewesen wäre. Es sei daher umgekehrt aber auch eine "gewagte These“ der CDU, der Mord sei nicht zu verhindern gewesen.

Damit unterscheidet sich die hessische SPD allerdings von ihrer Bundesvorsitzenden Saskia Esken. Sie hatte vor kurzem im Spiegel der CDU schwere Versäumnisse in der Bekämpfung des Rechtsextremismus vorgeworfen. "Der Mord an Walter Lübcke hätte verhindert werden können“, legte sie sich fest. Esken löste damit einen Sturm der Empörung aus – nicht nur bei der CDU.

Linke: Verfassungsschutz war "Kagida"-blind

Die Linkspartei wirft in ihrem 245 Seite starken Votum dem Verfassungsschutz völliges Versagen im Kampf gegen Rechts vor. Ein entscheidender Fehler war laut dem Linken-Ausschuss-Obmann Torsten Felstehausen, dass völlig außer Acht blieb, was sich ab 2015 mit Beteiligung des späteren Lübcke-Mörders bei Protesten gegen die Flüchtlingspolitik in Nordhessen tat. Damals hätten sich Neo-Nazis und Angehörige einer "bürgerlichen Mitte“ in der "Kagida"-Bewegung zusammengeschlossen.

"Erkennbare Schwächen in Organisation und Verfahren" macht die AfD in ihrem 15-seitigen Sondervotum aus. Zu verhindern war der Mord ihrer Einschätzung nach aber wohl kaum.

Ausführlich wehrt sich die AfD dagegen, dass andere Parteien ihr im Ausschuss eine politische Mitverantwortung für den Mord hätten zuschieben wollen. Eine geistige Nähe gebe es nicht. Ein Gutachter habe im Ausschuss ausgeführt, dass Ernst mit dem rechtsextremen Gedankengut nicht auf einer Linie mit der AfD gewesen sei. Der spätere Mörder nahm laut Abschlussbericht an AfD-Demos teil und klebte vor der Landtagswahl 2018 für die Partei Wahlplakate.

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 13.7.2023, 16.45 Uhr

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Quelle: hessenschau.de

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