Untersuchungsausschuss zur Entlassungsaffäre Ex-Staatssekretärin soll vor ihrer Entlassung zu SPD-Eintritt gedrängt worden sein

Der hessische Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori soll ein SPD-Parteibuch zur Bedingung für das Amt seiner Staatssekretärin gemacht haben. Es war nicht das einzige, was Lamia Messari-Becker im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Entlassungsaffäre über ihren Ex-Chef berichtete.

Die frühere Staatssekretärin Lamia Messari-Becker steht mit ihrer Anwältin im Plenarsaal des Landtags
Ex-Staatssekretärin Lamia Messari-Becker mit ihrer Anwältin vor ihrer Aussage im Landtag. Bild © picture-alliance/dpa

Vor fünf Monaten war Lamia Messari-Becker schon einmal im Landtag. Auf der Besuchertribüne hörte sie als entlassene Staatssekretärin zu, wie der hessische Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) vor den Abgeordneten eingestand:

Er hätte seine "streitbare Pressemitteilung" über ihre Entlassung besser knapper gehalten.

Erste Zeugin

Weil der SPD-Politiker damals den öffentlichen Vorwurf eines "nicht hinnehmbaren Fehlverhaltens" nicht zurücknahm, war die 52-Jährige nun wieder da - jetzt als erste Zeugin des Untersuchungsausschusses unten im Saal.

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Messari-Becker im Untersuchungsausschuss

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Vereinzelt kämpfte die parteilose Bauprofessorin mit den Tränen, als sie schilderte, wie Mansoori mit falschen Behauptungen ihr und ihrer Familie schweren Schaden zugefügt habe. Ihren in 30 Jahren aufgebauten Ruf habe er "in einer medialen Sekunde zerstört".

Anwältin hebt Stoppschild

Ein Beamtenrechtler hatte in der vorigen Sitzung ausgesagt: Der Minister hätte die Staatssekretärin ohne Begründung leicht entlassen können. Mit der öffentlichen Beschuldigung habe der Politiker eindeutig gegen seine Fürsorgepflicht verstoßen.

Sieben Stunden lang - bis auf einige kurze Pausen - war nun die renommierte Wissenschaftlerin im Zeugenstand, doppelt so lange wie eigentlich geplant.

Es waren Vertreter der schwarz-roten Regierungskoalition, die nicht locker ließen. Einmal am Nachmittag bat die neben Messari-Becker sitzende Anwältin um eine sofortige Erholungspause für ihre Mandantin.

Opposition kritisiert Umgang mit Zeugin

Später funkten aus der Opposition Grüne und FDP dazwischen. Die Vertreter der schwarz-roten Regierung, in der Mansoori Stellvertreter von CDU-Ministerpräsident Boris Rhein ist, bedrängte ihrer Meinung nach die Zeugin in unangemessenem Ton.

Das zielte auch auf den Ausschussvorsitzenden Marius Weiß (SPD), der das zulasse. Um den Streit auszufechten, wurde die Sitzung zwischendurch nicht-öffentlich weitergeführt.

Äußerst zuvorkommend gegenüber der Ex-Staatssekretärin war Weiß gestartet. Eine Viertelstunde hatte die Ex-Staatssekretärin Zeit für ihr Eingangsstatement zur Verfügung. Dann genehmigte ihr Weiß fast eine Dreiviertelstunde. Zweimal erinnerte er höflich daran, dass es nun doch Zeit werde, zum Ende zu kommen.

Der Satz mit der Exit-Tür

Da Mansoori selbst öffentlich nie Genaueres über seine Anschuldigung sagte, kam an diesem Tag erstmals auch im Parlament ausführlich zur Sprache, was er als Grund für die Trennung anführte. Messari-Becker habe bei einem Elterngespräch eine Abi-Prüfungsnote der Tochter unter Hinweis auf ihren Posten in der Regierung verbessern wollen.

Der angebliche Satz, den ein Schulleiter ihr in einem Bericht ans Kultusministerium vorhielt, lautete: "Ich bin eine Person des öffentlichen Lebens und verlange eine Exit-Tür im Rahmen des rechtlich Möglichen." hessenschau.de hatte darüber berichtet, als eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Schulleiter bekannt wurde.

CDU-Obmann Bellino legt nach

"Der Vorwurf einer Einflussnahme auf die Note ist absurd." So wies die Darmstädter Wissenschaftlerin den Vorwurf von sich. Es sei ihr und ihrer Tochter klar gewesen, dass eine Notenänderung bei dem Termin gar nicht zu erreichen gewesen sei. Das Abitur ihrer Tochter sei auch so ausgezeichnet.

Holger Bellino, Obmann der CDU im Ausschuss, legte wegen des angeblichen Zitats später nach. Die Ex-Staatssekretärin bekräftigte: Das habe sie nicht gesagt. "Es ist auch nicht meine Sprache." Warum der Schulleiter das dann wohl behaupte? "Ich kann mir kein Motiv denken."

Detailliert ging Messari-Becker auf zentrale Punkte ein, die der von Grünen und FDP veranlasste Ausschuss klären soll. In den Antworten steckten schwere Vorwürfe gegen Wirtschaftsminister Mansoori über mögliche andere Hintergründe der Entlassung und die Zustände an der Spitze seines Ministeriums.

Ex-Staatssekretärin: SPD-Eintritt gewünscht

So habe der 36-Jährige sich schon bei seinem "folgenschweren Einstellungsangebot" von ihr gewünscht, dass sie in die SPD eintrete. Sie habe auf Selbstbestimmung und Geduld in dieser Frage gepocht.

Später habe Mansoori aber gesagt, sie könne ohne Parteibuch nicht auf Dauer Staatssekretärin bleiben. "Wenn sich das als richtig herausstellen sollte, dann ist dieser Minister nicht mehr tragbar", sagte FDP-Obmann Oliver Stirböck.

Von einer "fragwürdigen Führungskultur" im Ministerium sprach AfD-Obmann Klaus Gagel. Messari-Becker sei offenbar auch dafür kritisiert worden, dass sie ein ihr als Wissenschaftlerin zugedachtes Preisgeld über 20.000 Euro nicht der SPD zukommen ließ. Die Professorin spendete es für karitative Zwecke.

Professorin: Schwerer Anfang, dann schlimmer

Im Ministerium gab es laut der Professorin rasch erhebliche Probleme, weil weder sie noch der Minister oder sein erster Staatssekretär Umut Sönmez (SPD) zuvor Regierungserfahrung hatten. Beide sind Weggefährten seit Jusos-Tagen.

Die Probleme an der Spitze des Hauses seien größer geworden. Dies habe auch zu schleppenden und intransparenten Verfahren geführt, etwa bei der Vergabe von Förderbescheinigungen für den sozialen Wohnungsbau.

Auch an der Zusammenarbeit der Ministeriumsführung mit den Fachabteilungen habe es gemangelt. Die eigentlich regelmäßig stattfindende Abteilungsleiterrunde habe am Ende gar nicht mehr existiert. Häufig ließ demnach auch der Ton zu wünschen übrig.

"Große, große Eile"

Mansooris Vorgehen bei der Entlassung schilderte Messari-Becker ebenfalls als Kette von schweren Zumutungen: "Große, große Eile" habe geherrscht. Belege habe man nicht vorgelegt, den Bericht des Schulleiters habe sie erst Wochen nach der Entlassung im Schulamt mit ihrer Tochter einsehen können.

"Es gab zu keinem Zeitpunkt ein klärendes Gespräch, bei dem ich qualifiziert Stellung nehmen konnte", hielt sie dem Minister vor. Der habe lediglich "bruchstückhafte Andeutungen" gemacht: Ein Schulleiter der CDU spiele eine Intrige über die Staatskanzlei.

Flug, Zahnarzt, Nachbar

CDU und SPD wollten herausarbeiten, dass Messari-Becker auch anderweitig ihren Posten ins Spiel gebracht habe. So habe sie auf einer Dienstreise in Berlin den Abflug einer Maschine stoppen lassen wollen, um sie noch zu erreichen. Außerdem habe sie auf eine schnelle Behandlung beim Zahnarzt gedrängt und sei gegen die Baugenehmigung eines Nachbarn vorgegangen.

Die Vorwürfe waren erst nach ihrer Entlassung in Wiesbaden gestreut und in einem Verfahren gegen die Entlassung eingeführt worden. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hatte die Trennung als juristisch korrekt bewertet, weil dafür ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis alleine schon ausreiche.

Auch diese anderen Anwürfe bezeichnete die Bau-Professorin als falsch. Sie seien vor ihrer Entlassung auch nie geäußert worden. Man habe danach Nachforschungen in ihrem privaten Umfeld gestartet. Den Flug habe sie selbstverständlich nicht stoppen lassen, aber eine teure Umbuchung vermeiden wollen. Der Nachbar habe die Baugenehmigung längst gehabt.

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Schulleiter und Lehrer kommen später

Eigentlich hätten am Freitag weitere Zeugen zur Entlassungsaffäre gehört werden sollen. Weil die Befragung der Ex-Staatssekretärin Messari-Becker so lange dauerte, kommen sie später an die Reihe: Der Schulleiter und zwei weitere Lehrer des Darmstädter Gymnasiums sowie eine Vertreterin des Staatlichen Schulamtes sollen für den 28. März geladen werden.

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CDU: Sie blendet alles aus

CDU-Obmann Bellino überzeugte sie damit nicht. Es sei doch auffällig, dass die verschiedensten Personen nicht nur aus dem Wirtschaftsministerium auf Fehlverhalten der Ex-Staatssekretärin hingewiesen hätten, sagte er dem hr.

"Das wird von ihr alles ausgeblendet und negiert. Das macht mich nachdenklich“, meinte Bellino. Außerdem habe ein Ministeriumsmitarbeiter laut Akten beklagt, dass die Ex-Staatssekretärin ihn angebrüllt habe. Messari-Becker wies das zurück.

Grüne: Erst entlassen, dann nach Gründen gesucht

Nach Meinung der Grünen-Abgeordneten Kaya Kinkel war Messari-Becker dagegen sehr glaubhaft. Es sei offenkundig, "dass erst nach ihrer Entlassung nach Gründen für ihre Entlassung gesucht wurde". Dem Ausschuss sei ein verheerendes Bild von den Zuständen im Ministerium gezeichnet worden.

Entscheidende Widersprüche zwischen der Aktenlage und der Aussagen der Zeugin machte dagegen SPD-Obfrau Lisa Gnadl geltend. Diese habe mehrmals eine Sonderbehandlung gefordert. "Diese Fälle werden in mehreren dienstlichen Erklärungen und schriftlichen Sachverhaltsdarstellungen beschrieben." Trotzdem räume sie keinerlei Fehler ein.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de