Hessens Grüne nach Rheins Trennungsentschluss Mit warmen Worten kaltgestellt
Schwarz-Rot statt Schwarz-Grün: Hessens CDU-Ministerpräsident Rhein schickt den langjährigen Koalitionspartner mit Empathie-Rhetorik in die Opposition. Beschloss er den Bruch wirklich erst jetzt? Die Grünen glauben ihm kein Wort.
Es war ein ergreifender Nachruf. "Wir haben zehn gute Jahre hinter uns", sagte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein am Freitag in Wiesbaden. "Enorm viel" sei erreicht worden, gemeinsam habe man "sehr erfolgreich" für das Land gearbeitet“. Groß sei die Zuverlässigkeit der Partner gewesen und groß auch ihre Verlässlichkeit.
Wenn die warmen Dankesworte des CDU-Politikers den Grünen die Tränen in die Augen trieben, dann nicht aus Rührung. Sie gaben auch keinen Dank zurück. Denn es war ein knallhart-schmerzhafter Trennungsbeschluss, den man ihnen in Watte gepackt hatte.
Die Koalition, die Rheins Amtsvorgänger Volker Bouffier als bundesweites Pilotprojekt vor zehn Jahren mit dem einstigen politischen Erbfeind schmiedete, ist klinisch tot. Koalitionsgespräche will die CDU mit der SPD führen. Die sichtlich getroffenen Grünen bemühten sich erst gar nicht, die Kündigung als Juniorpartner mit gespielter Höflichkeit zu kommentieren.
Verdächtig lange Sondierung
In der Sache grundfalsch, vom Stil her unmöglich – so lässt sich ihre Kritik an Rhein zusammenfassen. Sie gipfelt in dem Vorwurf, der Regierungschef habe mit ihnen und auch den Wählern ein falsches Spiel gespielt. "Wer eine erfolgreiche Zusammenarbeit fortsetzen will, der braucht keine fünf Wochen lange Sondierungsgespräche", sagte Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner.
Das vielgerühmte "geräuschlose" Miteinander-Regieren, die durchgestandenen Schwerst-Krisen von Corona bis Energieknappheit - alles Geschichte. Dass bis zum bitteren Ende doch noch Rest-Hoffnung gelebt hatte, legte Wagners versteinerte Miene nahe, als er im Landtag vor die Presse trat. "Offensichtlich stand der Plan zum Wechsel schon lange fest", sagte er. Nur dass die CDU nicht, wie es sich gehört hätte, das vor der Wahl am 8. Oktober zugegeben habe.
Bis zum Schluss seien die parallel mit Grünen und SPD geführten Sondierungsgespräche "ergebnisoffen gewesen" - so lautet dagegen die Darstellung Rheins. Wie er betonte auch die CDU-Fraktionsvorsitzende Ines Claus, wie emotional schwierig die Scheidung ihnen falle.
Nicht wirklich grün-affin
Rhein gilt allerdings als Unionspolitiker, der nur zur Not mit den Grünen regieren will. Seinen erfolgreichen Anti-Ampel-Wahlkampf führte er vor allem gegen grüne Ideen - vom Heizungsgesetz bis zur Migrationspolitik. Gegen den Koalitionspartner zielte auch das Wahlkampfziel, auf Ärger von Bauern, Jägern und Waldbesitzern zu reagieren und dafür ein neues Ministerium zu bilden, das grüner Umweltpolitik entzogen wird.
Wie der FDP steht Rhein auch der in Hessen eher bürgerlich-bodenständigen SPD näher als den Grünen. Das persönliche Verhältnis zur SPD-Landesvorsitzenden und Bundesinnenministerin Nancy Faeser sowie dem Landtagsfraktionschef Günter Rudolph ist eng. Enger jedenfalls, als die Zweck-Beziehung zum grünen Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir.
Gut gemeinter Rat
Ohne den Noch-Partner direkt hart anzugehen, verbarg der Ministerpräsident seine Ausrichtung auch jetzt nicht wirklich. Die Zeit von Schwarz-Grün sei abgelaufen, lautete seine Botschaft sinngemäß. In den aktuellen Krisenzeiten und angesichts des CDU-Wahlsieges brauche es Vernunft und Pragmatismus - und vor allem "Anreize statt Verbote".
Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz drückte das gegenüber der FAZ unverblümter aus und fühlte sich angesichts von Rheins Neuorientierung hin zur SPD sogar zum Ratschlag berufen: "Die Grünen müssen für die Zukunft an ihrer Kompromissfähigkeit arbeiten und ihre Politik an der Realität und nicht an ihren Ideologien ausrichten."
Bis zur Schmerzgrenze
Für die Grünen musste das wie Hohn klingen. Sie waren nach eigener Wahrnehmung nicht nur mehr als einmal in der bisherigen Koalition, sondern gerade in der Sondierung "bis zur Schmerzgrenze" gegangen. Es war Rhein selbst, der ihnen das wörtlich am Freitag auch attestierte.
"Angesichts des Wahlerfolgs der CDU waren wir Grüne bereit, uns sehr weitreichend zu verständigen", heißt es in einer Stellungnahme, die Fraktionschef Wagner gemeinsam mit den beiden Landesvorsitzenden Sigrid Erfurth und Sebastian Schaub verbreiteten. Das habe man vor allem in der Migrationspolitik unterstrichen.
Eine weitere Vermutung, die nicht nur führende Grüne teilen, wies Rhein am Freitag auf Nachfrage von sich: Der CDU-Ministerpräsident wolle mit dem Koalitionswechsel gewissermaßen seine eigene Geschichte schreiben. Dieser These zufolge beabsichtigt er, bundespolitisch angesichts der Unionsattacken gegen die Ampel und Kooperationsangeboten von Merz an Kanzler Olaf Scholz (SPD) ein Zeichen zu setzen: Eine unionsgeführte Koalition von CDU und SPD - für Hessen ein Novum - sei auch im Bund wieder möglich. Damit wolle er gleichzeitig aus den großen Fußstapfen Bouffiers, zu dem er ein ohnehin getrübtes Verhältnis hatte.
Entgegenkommen bestraft
In einem Punkt immerhin nahmen die Grünen dem Ministerpräsident seine empathischen Beteuerungen dagegen uneingeschränkt ab. Rhein will ihnen nie vergessen, dass sie mitten in der Legislaturperiode mitspielten und ihn mit der CDU zum Nachfolger von Volker Bouffier als Regierungschef wählten.
So mit Amtsbonus ausgestattet, startete der CDU-Politiker sein schließlich erfolgreiches Projekt "Machterhalt". Nun, da er die Beziehung dankend aufgekündigt hat, bedauern nicht wenige Grüne ihr Entgegenkommen. Zumal erstmals mit Al-Wazir einer der ihren als Ministerpräsidenten-Kandidat ins Rennen gegangen war.
Wenn sich der Regierungschef am 18. Januar im neuen Landtag der Wiederwahl stellt, wird sich diese Wahlhilfe nicht wiederholen. Am Freitag teilten die Grünen vielmehr mit: "Den künftigen Koalitionären rufen wir schon jetzt zu: Opposition können wir auch.“
Was wird aus Al-Wazir?
Dafür werden sich die Grünen in der künftigen Fraktion neu sortieren müssen. Sie wird mit 22 Abgeordneten sieben weniger als bisher haben. Über neue Rollen müssen vor allem Wirtschaftsminister Al-Wazir und Wissenschaftsministerin Angela Dorn als Top-Leute der Landespartei nachdenken. Geht zwischen CDU und SPD nicht noch was schief, verlieren beide ihre Ministerposten.
Insgesamt leiten die Grünen derzeit vier Ministerien in Wiesbaden. Kai Klose (49, Soziales) und Priska Hinz (64, Umwelt) wollten aber ohnehin nicht in der Landespolitik weitermachen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 10.11.2023, 19.30 Uhr
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