"Oskar Schindler würde Sie verachten" Wie Michel Friedman im Landtag mit der AfD abrechnete

Der Landtag in Wiesbaden hat Oskar Schindlers gedacht, der 1.200 Juden rettete. Der Publizist Michel Friedman empfahl ihn als Vorbild in Zeiten von Hass und Hetze und knöpfte sich dabei die mitanwesenden AfD-Politiker vor.

Applaus im Stehen für Michel Friedman im Landtag - und die AfD saß.
Applaus im Stehen für Michel Friedman im Landtag - und die AfD saß. Bild © hr
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Als Michel Friedman am Mittwoch das Rednerpult des Plenarsaals im Wiesbadener Landtag verließ, applaudierten ihm alle Fraktionen im Stehen. Alle, bis auf die AfD. Deren Abgeordnete hatten zuvor bei einer Gedenkfeier zum 50. Todestag von Oskar Schindler die volle Wucht des Zorns zu spüren bekommen, den der Frankfurter Publizist empfindet.

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Oskar Schindler starb vor 50 Jahren – Gedenken im Landtag

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Die versteinerten Mienen verrieten: Nie zuvor ist die Partei an diesem Ort in dieser Schärfe so attackiert worden. Er schäme sich, in einem Parlament zu sprechen und dabei eine Gruppe anzuschauen, "die eine Partei des Hasses ist", sagte Friedman. "Oskar Schindler würde Sie verachten. Er kannte die Originale der Herrenmenschen. Sie sind noch nicht einmal billige Imitationen", fügte der 68-Jährige hinzu.

Friedman hat Schindler noch persönlich gut gekannt. Der erst durch den Steven-Spielberg-Film "Schindlers Liste" posthum in seiner Heimat bekannt gewordene Unternehmer hatte rund 1.200 Jüdinnen und Juden vor dem Holocaust und dem Tod in deutschen Vernichtungslagern gerettet - darunter auch die Eltern und eine Großmutter Friedmans. Alle anderen Mitglieder der Familie, 50 Menschen, wurden ermordet.

Nicht beim Namen genannt

In Paris geboren, wuchs Friedman in Frankfurt auf, nachdem seine Eltern 1965 dorthin gezogen waren. Dort lebte auch Schindler nach dem Krieg 17 Jahre lang bis zu seinem Tod in einer Ein-Zimmer-Wohnung nahe dem Hauptbahnhof.

Der Mensch, der so viele Leben gerettet hatte, erfuhr im Land der Täter lange keine Bewunderung, im Gegenteil - daran erinnerte Friedman im Landtag auch. In Israel, wo Schindler die Hälfte eines Jahres zu verbringen pflegte, wurde er als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet. Sogenannte "Schindler-Juden", denen er geholfen hatte, unterstützten ihn finanziell.

Beim Namen nannte Friedmann die AfD in seiner Rede nicht. Er sagte aber unmissverständlich: "Es sitzen hier in diesem Parlament Menschen, die sich wieder anmaßen, zu bestimmen, wer ein Mensch ist, wer ein Deutscher ist“.

Auf dem Boden der Verfassung stünden diese Menschen nicht. Sie täten bloß so, als ginge es ihnen um das Wohl anderer. Sie arbeiteten aber gegen Menschen, nicht für sie, sagte Friedman und sprach von "geistigen Brandstiftern".

AfD-Abgeordneter wird auffällig - und muss womöglich zahlen

Keiner der AfD-Abgeordneten verließ während der Rede Friedmans den Saal. Einer von ihnen, der Vogelsberger Landwirt Johannes Marxen, schmierte sich auf seinem Platz eine weiße Substanz - vermutlich Creme - ins Gesicht. Das sollte offenbar eine Anspielung auf Friedmans Kokainkonsum vor mehr als 20 Jahren sein. Der Publizist selbst bezeichnet den Konsum als Fehler, den er sich nicht verzeihe.

Marxen droht nach seiner Aktion Ärger. Die Landtagsverwaltung prüft, ein Ordnungsgeld gegen den AfD-Abgeordneten zu verhängen. Dieses könnte dem Abgeordnetengesetz zufolge bis zu 1.000 Euro betragen, wie ein Parlamentssprecher nach einer Sitzung des Ältestenrats am Donnerstag mitteilte. 

AfD-Abgeordneter Marxen sitzt mit weißer Creme im Gesicht im Landtag.
Sollte mutmaßlich Michel Friedman provozieren: AfD-Abgeordneter Marxen sitzt mit weißer Creme im Gesicht im Landtag. Bild © hr

Das Verhalten des AfD-Mannes will auch seine Fraktion thematisieren, wie deren Vorsitzender Robert Lambrou gegenüber dem hr ankündigte. Was Marxen getan habe, sei weder abgesprochen noch angemessen gewesen. Zur Rede Friedmans sagte Lambrou: "Ich fand es schade, dass Herr Friedman nur wenig über Oskar Schindler gesprochen hat und viel über die AfD."

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Michel Friedman am Rednerpult im Landtag
Michel Friedman am Rednerpult im Landtag Bild © hr
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Schindler riet zum Tun

Gegen ein Erstarken von Hass und Hetze in der aktuellen politisch-gesellschaftlichen Lage hatte Friedman Schindler als Vorbild empfohlen. Viel zu viele Menschen fragen seiner Meinung nach, was der Einzelne schon tun könne gegen Rassisten, Judenhasser, Hetzer und diejenigen, die die "Demokratie zerstören wollen". "Tun", forderte Friedman. Genau das, einfach zu handeln, habe ihm einst Schindler auf seine Frage geantwortet, was er von ihm lernen könne.

Die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist nach seiner Ansicht der Erhalt der Demokratie. Dabei sei es ein "Offenbarungseid unserer Gesellschaft", wie es um jüdische Menschen hierzulande stehe. Denn sie müssten sich überlegen, unter Umständen das Land zu verlassen.

Friedman beklagte, dass auch Linksextremisten "Israel kollektiv löschen wollen - gekoppelt mit Islamisten". Die Gefahr gehe auch von einem Teil der eingewanderten Muslime aus.

Rhein warnt vor Gleichgültigkeit

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hatte zuvor betont, dass Demokratie Haltung brauche und Gleichgültigkeit eine große Gefahr sei. Man müsse nicht gleich ein Held sein wie Oskar Schindler. Nichts zu tun, sei aber keine Option. "Die Gleichgültigkeit ist die größte Gefahr", sagte er.

Rhein berichtete auch von seinem am Vortag an Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gerichteten Brief, in dem er wünschte, das iranische Generalkonsulats in Frankfurt zu schließen. Auch die beiden anderen Generalkonsulate in Hamburg und München sollten seiner Meinung nach nicht geöffnet bleiben.

"Wer Israel angreift, kann nicht unser Gast sein", sagte Rhein. Für Menschen jüdischen Glaubens sei der "sichere Zufluchtsort" Israel in Gefahr. Im Umgang mit Israel wünsche er sich "mehr Fairness“, sagte der Ministerpräsident, der in seiner Rede an den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober des vergangenen Jahres erinnerte.

Als gewöhnlichen Menschen, der Ungewöhnliches leistete, würdigte Landtagspräsidentin Astrid Wallmann Schindler. Den Mann, der NSDAP-Parteimitglied war, hätten keine theoretischen Überlegungen zum Helfer werden lassen, sondern Mitleid und die Einsicht in das, was richtig ist.

An der Gedenkstunde nahm auch Talya Lador-Fresher teil, Generalkonsulin Israels, sowie der israelische Ex-Diplomat Avi Granot.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de