Streit um schwarz-rote Reformpläne Wird Demokratie in Kommunen leichter - oder abgebaut?
Die CDU/SPD-Koalition will die Hessische Gemeindeordnung modernisieren. Dadurch soll auch die politische Arbeit in den Kommunen weniger frustrierend werden. Kritiker wittern hier einen Hintergedanken. Im Landtag kam es zu heftigem Streit.
Keine Bürgerbegehren mehr gegen wichtige Infrastrukturprojekte, weniger Kleinstparteien in Gemeinde-, Stadt- und Kreisparlamenten, mehr Geld für wiedergewählte Bürgermeister: Die geplante Reform des Kommunalrechts in Hessen hat am Mittwoch im Landtag in Wiesbaden zu heftigem Streit geführt.
Als "Meilenstein" verteidigte für die schwarz-rote Koalition Innenminister Roman Poseck (CDU) die Pläne, die Hessische Gemeindeordnung (HGO) in rund 80 Punkten zu ändern. "Wir wollen Abläufe beschleunigen, wir wollen Abläufe effizienter machen", sagte er zu dem Paket, das er vergangene Woche öffentlich vorgestellt hatte.
Der Opposition gehen entscheidende Vorhaben viel zu weit. Bei jeweils unterschiedlicher Gewichtung befürchten Grüne, FDP und die AfD vor allem einen zu starken Abbau von Mitbestimmungsrechten. Von einem "Frontalangriff auf die demokratischen Werte in unserem Land" sprach der FDP-Abgeordnete Moritz Promny.
Parlamente können leichter schrumpfen
"Gesetz zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungskörperschaften und zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften" - so lautet der Titel des umstrittenen Entwurfs. Neben den verringerten Möglichkeiten, per Bürgerbegehren politische Entscheidungen zu stoppen, geht es besonders um die Kommunalparlamente. Sie sollen künftig leichter ihre Verkleinerung beschließen können, mit einfacher statt mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Digitale Sitzungen sollen möglich werden.
Eine Änderung des Auszählungsverfahrens bei Kommunalwahlen soll es Kleinstgruppen erschweren, ins Parlament zu kommen. Dabei soll auf das D’Hondt-Verfahren zurückgegriffen werden, das Grüne und FDP als veraltet und ungeeignet bewerten. Bei Bundestagswahlen galt dieses Sitzzuteilungsverfahren von 1949 bis 1985.
Holt eine Liste nur ein Mandat, soll sie keinen Fraktionsstatus mehr bekommen. Das verringert Rechte bei der finanziellen Förderung oder in Ausschüssen. Die nächsten Kommunalwahlen in Hessen sind im März 2026.
Grüne kritisieren "Selbstbedienung"
Vehemente Kritik übten die Grünen. Ihr Abgeordneter Christoph Sippel warf der Koalition vor: "Sie sägen an der Demokratie auf kommunaler Ebene." Das sei besonders schlimm, weil die politische Rechte ohnehin dabei sei, die Demokratie zu untergraben.
Sein Verdacht: Es gehe um "Selbstbedienung", wenn mit der Zahl kleinerer Gruppierungen in den Parlamenten die Vielfalt verringert werden solle. Denn CDU und SPD dächten vor allem an sich. Ihnen hätte ihr gewünschtes Zählverfahren, so rechnete Sippel vor, bei der vorigen Kommunalwahl allein in den Kreisen und kreisfreien Städten 40 Sitze mehr erbracht.
Auch der Liberale Promny hält es für ein "Deckmäntelchen", wenn die Reform als Mittel für ein besseres Funktionieren der kommunalen Demokratie bezeichnet werde. Seine Partei werde die Sache verfassungsrechtlich prüfen lassen.
"Was ist denn daran bitte schlecht", fragte der FDP-Abgeordnete mit Blick auf kleine Gruppen in der Kommunalpolitik. Es sei wichtig, dass Vielfalt anerkannt werde und sich in den 421 Kommunen Hessens widerspiegele. Grundsätzlich sei es bedauerlich, dass die Koalition sich bei einem so weitgehenden Eingriff nicht um einen breiten politischen Konsens bemüht habe.
Poseck: Mammutsitzungen demotivieren
Als "moderaten Schritt“, der nicht das Ende der Demokratie bedeute, wertet Innenminister Poseck die Pläne. Die Reform verhindere vielmehr, dass ehrenamtliche Kommunalpolitiker noch mehr frustriert würden. Da in Frankfurt zuletzt schon 0,6 Prozent der Stimmen für ein Mandat reichten, verteilten sich dort 93 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung auf 13 Gruppierungen.
Poseck sprach von einer Zersplitterung, die zu Mammutsitzungen führe. Hätte die von ihm gewünschte Zählweise bei der Kommunalwahl 2021 gegolten, wären in Frankfurt drei Gruppierungen weniger im Stadtparlament. Vielfalt sei auch nach der geplanten Reform gesichert, zumal man keine Sperrklausel mit Fünf-Prozent-Hürde einführen wolle.
Höchste Zeit wird es seiner Meinung nach auch dafür, die Reichweite von Bürgerbegehren zu reduzieren. "Wir müssen hier in Deutschland Tempo aufnehmen, müssen bei der Erneuerung der Infrastruktur schneller werden“, sagte Poseck am Mittwoch im Landtag. Möglichkeiten zur Mitwirkung gebe es auch nach der HGO-Reform genug.
AfD: Bürgerbegehren nicht inflationär
Die Einschränkungen bei Bürgerbegehren stören die AfD an dem Gesetzentwurf am meisten. Es handele sich um "ein wichtiges Bürgerrecht", sagte ihr Abgeordneter Bernd-Erich Vohl. Unmittelbar Betroffene müssten in ihren Kommunen selbst entscheiden können. Die Praxis zeigt laut Vohl zudem, dass von diesem Mitwirkungsrecht keineswegs inflationär Gebrauch gemacht werde.
Der AfD-Politiker begrüßt aber auch einen Punkt der Reform besonders: Kommunale Wahlbewerber sollen ihre Privatanschrift nicht länger veröffentlichen müssen. Das sei gerade für die AfD wegen wiederholter Anschläge von Bedeutung, sagte Vohl.
Die Freien Wähler, die nicht im hessischen Landtag vertreten sind, sehen wegen der Reform die Demokratie in Gefahr, wie Grüne und FDP das auch tun. Mit dem geänderten Kommunalrecht wollten CDU und SPD ihre Macht sichern, moniert der Landesvorsitzende Engin Eroglu.
Das Bündnis Demokratische Teilhabe Hessen fordert, die Reformpläne zu stoppen und die Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung auszubauen, statt Bürgerbegehren einzuschränken. Mit einer Online-Petition seien inzwischen knapp 15.000 Stimmen gegen das Regierungsvorhaben gesammelt worden, teilte es am Mittwoch mit.