Kritiker werfen Schwarz-Grün Verschleppung vor Kein Abschlussbericht über Hanau-Attentat vor der Landtagswahl
Die politische Aufklärung des Attentats von Hanau läuft zäh und kontrovers. Nun ist klar: Den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses wird es erst nach der Hessen-Wahl geben. SPD und Linke wittern ein taktisches Manöver von Schwarz-Grün.
Wäre das rassistische Attentat von Hanau zu verhindern gewesen? Was lief während des Polizeieinsatzes am 19. Februar 2020 und danach schief? Seit Sommer 2021 überprüft ein Untersuchungsausschuss des Landtags in Wiesbaden die Arbeit von Landesregierung und Sicherheitsbehörden auf mögliche Fehler und Versäumnisse.
Nach zwei Jahren steht fest: Einen Abschlussbericht wird der Landtag erst im Dezember beraten und beschließen – also nach der Landtagswahl vom 8. Oktober. Das hat der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) nun mitgeteilt.
Beuth-Auftritt ganz am Ende
Weiß äußerte sich am Mittwoch im öffentlichen Teil einer Sitzung des Ausschusses. Zuvor hatte das Gremium hinter verschlossenen Türen über das weitere Vorgehen beraten.
Noch weiter ließe sich eine Debatte samt Abstimmung über Schlussfolgerungen aus dem Attentat nicht verschieben. Der Untersuchungsausschuss ist an die Wahlperiode des Parlaments gebunden. Sie endet im Januar. Dann konstituiert sich der neue Landtag.
Dass der ursprüngliche Zeitplan nicht gehalten wird, hatte sich schon vorher abgezeichnet. Eine zunächst für diesen Mittwoch vorgesehene Zeugenaussage von Innenminister Peter Beuth (CDU) wurde auf den 7. Juli verschoben. Dann soll auch die Beweisaufnahme beendet werden.
Für SPD und Linke ein Skandal
SPD und Linke sprachen übereinstimmend von einem Skandal. Die Regierungskoalition habe den Beschluss zur Verschiebung mit ihrer Mehrheit durchgesetzt, um die Sache zu verschleppen, sagte Saadet Sönmez, Obfrau der Linken im Ausschuss. Ziel sei es, "die Kette des Versagens der schwarz-grünen Innenpolitik vor dem Wahlkampf aus der Öffentlichkeit herauszuhalten",
Heike Hofmann, Obfrau der oppositionellen SPD, kritisierte, der Ausschuss habe viele Erkenntnisse "über Fehler der Sicherheitsbehörden vor und in der Tatnacht, über technisches Versagen und über den teilweise beschämenden Umgang mit den Opfern und ihren Angehörigen gewonnen". Das müsse vor der Landtagswahl veröffentlicht und diskutiert werden.
Die Verschiebung stelle Parteiinteressen vor Aufklärung und zeuge von mangelndem Respekt vor den Opfern und deren Familien. Hofmann argwöhnte, ein weiteres Motiv könnten Uneinigkeiten zwischen den Koalitionspartnern CDU und Grüne sein.
Da die Grünen als kleinerer Koalitionspartner der CDU die Polizeiarbeit in Hanau kritischer sehen, blieben dieser Lesart zufolge dem Bündnis vor der Landtagswahl denkbare Spannungen wegen eines Abschlussberichts womöglich erspart.
Koalition verteidigt Verschiebung
Von einer vergebenen Chance auf gemeinsames Handeln, sprach der FDP-Landtagsabgeordnete Jörg-Uwe Hahn. Er appellierte an den Berichterstatter aus den Reihen der CDU, eine faire und überparteiliche Vorlage abzugeben. Sie müsse die zu Tage getretenen Fehler benennen, aber auch aufzeigen, wo inzwischen bereits Verbesserungen erzielt worden seien.
CDU und Grüne verteidigten dagegen ihre Entscheidung. Um alles "in der gebotenen Tiefe behandeln zu können, bedarf es Zeit", sagte Jörg Michael Müller, Obmann der CDU. Den Vorwurf der Wahltaktik kehrte er gegen die Opposition: "Diese Zeit muss sich der Ausschuss nehmen und sollte nicht übers Knie gebrochen aus wahltaktischen Gründen die inhaltliche Befassung abkürzen."
Man wolle "das Thema aus der aufgeheizten und aufgeregten Wahlkampfzeit heraushalten und in der gebotenen Sachlichkeit detailliert in ruhiger Atmosphäre besprechen", sagte auch Vanessa Gronemann, Ausschuss-Obfrau der Grünen. Aussagen aus dem Untersuchungsausschuss würden längst immer wieder politisch instrumentalisiert.
Scharfe Kritik an Beuth und Polizeiarbeit
Am 19. Februar 2020 hatte ein 43 Jahre alter, psychisch kranker Rechtsextremist in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Dann tötete er seine Mutter und sich selbst.
Opposition und Angehörige der Opfer kritisieren vor allem Fehler, die beim Einsatz zu Tage getreten seien und die möglicherweise Menschenleben gekostet hätten. Minister Beuth wolle das vertuschen. Einen internen Polizeibericht, der gerade öffentlich wurde, führen sie als Beleg an. Darin werden Polizisten zitiert, die unter anderem fehlendes Personal, ungeordnetes Vorgehen und unklare Kommunikation in der Tatnacht bemängelten.
Polizist: Täter war wohl nicht zu stoppen
Um den Bericht ging es auch am Mittwochnachmittag im Untersuchungsausschuss. Angehört wurde der Polizeibeamte, der ihn schrieb, aber nicht selbst im Einsatz war. Er sagt, dass es nach seiner Einschätzung angesichts des schnellen Geschehens kaum gelungen wäre, den Täter während des Anschlags zu stoppen. Das wäre wohl auch nicht bei "Optimallage" möglich gewesen, also bei bestmöglichen Ausgangsvoraussetzung auf Seiten der Polizei.
Der Polizist berichtete aber auch von "einem Informationsdefizit bei gleichzeitiger Informationsflut" in den Reihen der Polizei. Es habe mehrere Probleme gegeben, etwa mit dem Polizeifunk. Auch seien die "dringend benötigten Fachkräfte" zur Betreuung der Angehörigen nicht da gewesen.
Polizeipräsident hält Signal für nötig
Dass der Opferschutz ebenso wie der Umgang mit eigenen Fehlern nach dem Attentat deutlich verbessert worden seien, sagte Felix Paschek, Leiter der Stabsstelle für Fehler- und Führungskultur im hessischen Innenministerium, als erster Zeuge des Tages. Er ist zudem der Präsident des Polizeipräsidiums Westhessen. Zu dem überlasteten Notruf in der Tatnacht erklärte er, er halte "Anerkennung, dass ein Fehler passiert ist, für notwendig".
Vor seinem noch ausstehenden Auftritt im Ausschuss hat Innenminister Beuth Engpässe beim Notruf zwar eingeräumt. Er und die CDU haben den Vorwurf gravierender Fehler aber stets als haltlos zurückgewiesen. Sie machen unter anderem geltend, dass Einsatzkräfte schon wenige Minuten nach dem ersten Notruf am ersten von zwei Tatorten gewesen seien.
Lübcke-Ausschuss weiter, aber nicht einiger
Beantragt hatten die Oppositionsfraktionen SPD, FDP und Linke die parlamentarische Aufarbeitung des Hanau-Attentats. CDU und Grüne stimmten zu, die AfD dagegen. Anders als dieser Untersuchungsausschuss steht der zeitgleich laufende zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) planmäßig kurz vor dem Abschluss. Im Juli soll der Landtag den Bericht beraten und beschließen.
Aber auch im Fall Lübcke sind die Differenzen enorm. Über die Bilanz ist es gerade zwischen Regierungslager und Opposition zu einer erbitterten Auseinandersetzung gekommen. Nun liegen sogar zwei konkurrierende Berichte vor.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 31.5.2023, 16.45 Uhr
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