Verfassungswidrig? Darum blitzt die AfD mit ihrem Corona-Untersuchungsausschuss heute ab
Lockdown, Maskenpflicht, Impfung: Die AfD schien ihr Ziel erreicht zu haben, im Landtag mit der Corona-Politik abzurechnen. Doch jetzt kommt es zum Riesenkrach mit ihren Gegnern - und vermutlich zu einer Klage vor dem hessischen Verfassungsgericht.
Sie spricht von ergebnisoffener Aufarbeitung, ihre Gegner von einem Tribunal: Das Ringen der AfD, per Minderheitenrecht einen Corona-Untersuchungsausschuss im Landtag zu erreichen, geht an diesem Mittwoch in eine entscheidende Runde.
Die Debatte vor der geplanten Abstimmung am Abend in Wiesbaden dürfte heftig werden, ein verfassungsrechtliches Verfahren vor dem hessischen Staatsgerichtshof ist wahrscheinlich. Denn die Sache hat eine Wendung genommen.
Die Regierungskoalition aus CDU und SPD will der AfD ihre Initiative, für die sie die laut Gesetz notwendige Unterstützung von einem Fünftel aller Landtagsabgeordneten hat, so nicht durchgehen lassen. Begründung: Der Antrag gehe viel zu weit und sei in wesentlichen Teilen verfassungswidrig.
Zu viel Bundespolitik?
Zu diesem Befund kommt ein von den Regierungsparteien in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten. Die AfD überreizt demnach den Spielraum des Landtags vor allem dadurch, dass sich der Ausschuss auch mit der Arbeit maßgeblicher nicht-hessischer Einrichtungen wie der Ministerpräsidentenkonferenz oder dem Robert-Koch-Institut (RKI) beschäftigen soll.
Nach kurzer anfänglicher Unterstützung ist die AfD im Landtag die einzige kategorische Gegnerin der Pandemiepolitik gewesen, spricht auch heute von einer übertriebenen "Politik der Angst". Sie will als einzige auch die Aufarbeitung in Form eines Untersuchungsausschusses. Im Brandenburger Landtag hat sie bereits den zweiten Corona-Ausschuss dazu durchgesetzt.
Lockdown, Schulschließungen, Impfungen - 43 Aspekte der Corona-Politik und vor allem der einschränkenden Maßnahmen will sie nun in Wiesbaden untersucht haben. Aber vieles davon geht laut SPD-Fraktionschef Tobias Eckert "deutlich über das Bundesland Hessen hinaus". Das sei nicht zulässig.
Gutachter von "Aktenzeichen XY" bekannt
Das sei kein Prüfungsumfang für den Landtag, sagt auch CDU-Fraktionschefin Ines Claus zur AfD-Vorlage. Das Gutachten, das die Koalition über den seit 30. April vorliegenden AfD-Antrag auf die Schnelle hat erstellen lassen, hat 16 Seiten.
Es stammt vom auf die Rechte von Untersuchungsausschüssen spezialisierten Juristen Butz Peters. Der Mann ist als Buchautor unter anderem mit Veröffentlichungen über den Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) bekannt geworden. Er war einige Jahre auch Moderator der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst".
Ersatz für misslungene Bundestags-Pläne?
Peters kam laut CDU und SPD zum Befund, die AfD verstoße gegen weitere rechtliche Bedingungen für Untersuchungsausschüsse. So nehme sie in ihrem Antrag bereits Wertungen vorweg, etwa im Zusammenhang mit dem Zustand der Kliniken beim Ausbruch der Pandemie. In anderen Punkten sei der Antrag zu unkonkret.
CDU-Fraktionschefin Claus hat den Verdacht: Die AfD wolle angesichts des enormen Umfangs des Auftrags für den Ausschuss in Hessen nachholen, womit sie im Bundestag scheiterte. Dort hatte die AfD mangels Stimmen keinen Untersuchungsausschuss zustande bekommen.
Zusammenarbeit ohne Zusammenarbeit
In Hessen war sie bei der Landtagswahl im vergangenen Oktober aber zweitstärkste Kraft geworden und hatte gleich als erste Maßnahme die Einrichtung eines Corona-Ausschusses angekündigt. Mit 28 Mandaten hatte die AfD die dafür notwendigen 20 Prozent der insgesamt 133 Landtagssitze zunächst sicher.
Allerdings wurde mit Sascha Herr ein Abgeordneter wegen Neonazi-Kontakten erst gar nicht in die Fraktion aufgenommen. Dann trat auch noch Anfang dieses Jahres der Abgeordneten Dirk Gaw aus der AfD aus. Nun hat die Fraktion rechnerisch nur noch 19,55 Prozent der Landtagsmandate.
Das setzte die AfD unter Druck: Die fehlende Unterschrift für den Antrag lieferte ihr schließlich Herr, mit dem die Fraktion offiziell nicht zusammenarbeiten will. Ein "Dokument der Schande" nennen den AfD-Antrag zum Corona-Ausschuss deshalb zum Beispiel die oppositionellen Grünen. Mit ihnen und der FDP hat die schwarz-rote Koalition nach eigenen Angaben über ein weiteres, gemeinsames Vorgehen an Mittwoch bereits verhandelt.
Koalition: Wollen nicht mauern
"Wir haben kein Interesse zu mauern. Aber wir wollen ein sauberes Verfahren", sagt Ingo Schon, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU. Seiner Fraktion und der SPD schwebt vor, dass der Landtag über die AfD-Initiative nicht wie vorgesehen sofort entscheidet. Er soll vielmehr in den Hauptausschuss des Parlaments verwiesen werden.
Dann sollen im Auftrag des Parlaments unabhängige und ausführlichere Gutachten von drei verschiedenen Verfassungsrechtlern erörtern, ob der von CDU und SPD befragte Experte Peters mit seiner Einschätzung richtig liegt.
Das Verfahren verdeutliche: Man mache sich die Abwägung zwischen dem Minderheitenrecht auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses und der Verfassungsgemäßheit nicht leicht, heißt es von Union und SPD. Man habe deshalb am Dienstag auch Kontakt mit der AfD aufgenommen und sie informiert.
Was das Gesetz sagt
Die Sache eilt. "Ist die Einsetzung von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Landtags beantragt, so hat der Landtag sie unverzüglich zu beschließen", heißt es im Untersuchungsausschussgesetz. So wird verhindert, dass Regierungsmehrheiten Nachforschungen blockieren, die für sie unangenehm werden können.
Im Gesetz heißt es aber auch: "Hält der Landtag einen Einsetzungsantrag teilweise für verfassungswidrig, so ist der Untersuchungsausschuss mit der Maßgabe einzusetzen, dass dessen Untersuchungen auf diejenigen Teile des Untersuchungsgegenstandes zu beschränken sind, die der Landtag für nicht verfassungswidrig hält."
Von einer kompletten Ablehnung ist nicht die Rede. Nach Meinung der Koalition ist der AfD-Antrag aber von einem verfassungswidrigen Ansatz durchzogen. Denn die bedenklichsten Teile, die sich auf nicht-hessische Einrichtungen wie Ministerpräsidentenkonferenz oder RKI bezögen, stünden in einem Anfangspassus, mit dem alle folgenden Einzelfragen verknüpft seien.
AfD denkt nicht an Rückzieher
Bestätigen die angestrebten Gutachten die Meinung der Koalition, will sie den AfD-Antrag ablehnen. Diese müsste dann die Sache abblasen, nachbessern oder vor dem Staatsgerichtshof klagen.
Letzteres ist am wahrscheinlichsten, wie eine erste Reaktion zeigt. Die AfD werde an ihrem Antrag festhalten, heißt es aus der Fraktion. Man habe die eigene Initiative juristisch prüfen lassen und gehe davon aus, dass sie "rechtskonform" sei, sagt ein Sprecher.
Dass CDU und SPD die AfD einen Tag vor der entscheidenden Parlamentsabstimmung über ihre Bedenken informierten, sei bemerkenswert. Die AfD äußert den Verdacht, dass es um ganz andere Motive geht: "Wir haben den Eindruck, dass man mit diesem Manöver dem Ausschuss die Zähne ziehen will", sagt der Fraktionssprecher.
Neuland in Hessen
Die Regierungskoalition dagegen betont: Sie habe gar keine andere Wahl. "Der Landtag kann doch keinen verfassungswidrigen Antrag beschließen", sagt SPD-Fraktionschef Eckert.
Wie es weitergeht und wie es ausgeht, ist ungewiss. Denn einen solchen Fall und das von Schwarz-Rot vorgeschlagene Vorgehen hat es in Hessen noch nicht gegeben.
Das war noch nicht alles
Und es droht im Gezerre zwischen der AfD und ihren Gegnern weiterer Ärger. Denn umstritten ist zwischen den Lagern auch die Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses. In ihm müssen die Fraktionen entsprechend ihrer Mandate im Landtag vertreten sein.
Die AfD beansprucht 20 Prozent der Sitze. Das würde ihr wie schon bei der Einsetzung des Ausschusses ein besonderes Minderheitenrecht sichern: Sie könnte dort eigene Beweisanträge durchbringen und zum Beispiel Zeugen laden, deren Auftritt die anderen Fraktionen gerade in der Corona-Debatte lieber verhindern würden.
Verrechnet?
Deshalb sieht der AfD-Antrag eine Größe von 15 Mitgliedern vor, wie es auch zuletzt bei den Ausschüssen zum Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke und dem Attentat von Hanau war. Drei Plätze erhielte dann gemäß der gesetzlich vorgeschriebenen Berechnung die AfD.
Das wollen CDU und SPD verhindern, indem sie den Ausschuss ein wenig vergrößern. Hintergrund: Schon bei 16 Mitgliedern würde die AfD entsprechend der anteiligen Umrechnung zwar immer noch drei Plätze erhalten. Aber das wären weniger als ein Fünftel der Stimmen.
Dass dies rechtens ist, hat das Peters-Gutachten laut CDU-Politiker Schon nebenbei auch ergeben. Schons Argument lautet: Die Mehrheit dürfe das, die AfD habe im Landtag ja auch nicht ganz 20 Prozent. Und außerdem seien derzeit auch die regulären Landtagsausschüsse 16-köpfig. "Wir sind an der Stelle nicht Willens, der AfD Brücken zu bauen."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 15.05.2024, 16.45 Uhr
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