Wer ist schuld? Landtag zankt über Probleme bei Flüchtlingshilfe

Während in Berlin der Flüchtlingsgipfel tagte, stritt in Wiesbaden der Landtag über die Nöte der Kommunen bei Unterbringung und Versorgung der Menschen. Mit Kritik an Bundesregierung und SPD-Innenministerin Faeser handelte sich die CDU eine Zurechtweisung des grünen Koalitionspartners ein.

Blick in eine Turnhalle, die derzeit als Notunterkunft für geflüchtete Menschen aus der Ukraine genutzt wird. (dpa)
Eine Turnhalle als Notunterkunft für geflüchtete Menschen aus der Ukraine Bild © dpa
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Der Flüchtlingsgipfel zwischen Bund, Ländern und Kommunen in Berlin hatte noch nicht begonnen, da stritt am Donnerstagmorgen der Landtag in Wiesbaden heftig in der gleichen Sache: Wie den Hilferufen überlasteter Städte, Gemeinden und Kreise zu begegnen sei, war der zentrale Aspekt. Aber nicht der einzige.

Woher rühren die an die Jahre um 2015 erinnernden Probleme bei Unterbringung und Versorgung? Und nicht zuletzt: Wer ist schuld? So lauteten weitere Fragen.

Neben der aktuellen Lage, dem Gipfel und alarmierenden Briefen wie etwa denen der Landräte und Bürgermeister aus den Kreisen Limburg-Weilburg, Main-Taunus oder Wetterau spielte im Hintergrund der 8. Oktober eine nicht unwesentliche Rolle. Dann ist Landtagswahl.

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Die Debatte über die Flüchtlingshilfe in Videos

Hier können Sie sich die Debatte über die Flüchtlingshilfe in Hessen in voller Länge in unseren Videos aus dem Landtag anschauen.

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SPD: Land behält zu viel Bundesgeld ein

Die in Hessen oppositionelle SPD hatte das Thema in einer Aktuellen Stunde und per Dringlichkeitsantrag auf die Tagesordnung gebracht, um von der schwarz-grünen Koalition mehr Engagement für die Kommunen zu fordern. SPD-Fraktionschef Günter Rudolph erneuerte einen Vorwurf, den seine Fraktion schon länger erhebt: Das Land gebe das Geld des Bundes für die Flüchtlingsversorgung nicht vollständig weiter.

Hessen lasse die Kommunen "um Geld feilschen", beklagte Rudolph. Im vorigen Jahr seien von 262 Millionen Euro lediglich 186 Millionen Euro weitergeleitet worden, in diesem Jahr lediglich die Hälfte von 202 Millionen Euro. Dabei habe Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) öffentlich garantiert, das Land werde alles den Kommunen zukommen lassen.

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Finanzfrage beim Flüchtlingsgipfel verschoben

Eine Entscheidung über die weitere Verteilung der finanziellen Lasten ist beim Flüchtlingsgipfel am Donnerstag vertagt worden. Um Ostern herum soll es ein Spitzengespräch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Länderchefs geben. Mehr zum Gipfel und den Reaktionen hier bei tagesschau.de.

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CDU-Kritik gegen Faeser

Kritik an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und dass sie eine "Teilzeit-Ministerin" sei, wies Rudolph zurück. Sie arbeite äußert engagiert, während das Land seiner Verantwortung für die Kommunen nicht nachkomme. Das sei aber wichtig, damit Populisten nicht gestärkt würden.

Hintergrund: Faeser, die unmittelbar vor dem von ihr anberaumten Flüchtlingsgipfel im ARD-Morgenmagazin für eine "gemeinsame Kraftanstrengung" warb, ist auch hessische SPD-Landeschefin und tritt bei der Landtagswahl gegen Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) an, um Ministerpräsidentin zu werden. Ihren Ministerposten in Berlin will sie bis dahin und auch im Fall einer Wahlniederlage behalten.

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Deutlich mehr Geflüchtete in Hessen

Im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Innenministeriums 114.500 Geflüchtete nach Hessen gekommen, 84 Prozent von ihnen aus der Ukraine. Das sind insgesamt rund 40 Prozent mehr Geflüchtete als im Krisenjahr 2015.

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"Wir brauchen eine Bundesinnenministerin, die endlich liefert", sagte Alexander Bauer, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Das Land komme seiner Verantwortung sehr wohl nach. Es stünden aber die Bundesregierung und vor allem Faeser in der Pflicht, Land und Kommunen nicht länger im Stich zu lassen und in der Flüchtlingspolitik stärker zu regulieren - auch mit mehr "Rückführungen", also Abschiebungen.

"Überall in unserem Land ist man an den Grenzen der Kapazität angekommen", sagte Bauer. An der Wahrnehmung dieser Realität fehle es in Berlin. Für diese Einschätzung erhielt die CDU Widerspruch von den Grünen, die in Hessen ihr Koalitionspartner sind und in Berlin mit SPD und FDP regieren.

Zurechtweisung von den Grünen

Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner wies die CDU wegen deren Kritik am Bund höflich zurecht. Er fragte sich, ob die Union "nicht ein bisschen schnell" in ihrer Rolle als Oppositionspartei in Berlin angekommen sei. Aus ihrer langen Zeit in der Regierung müsse die CDU doch wissen, dass die Probleme nicht so einfach zu lösen seien, wie Schwierigkeiten bei Rückführungsabkommen mit anderen Staaten zeigten.

Wagner wies aber auch die SPD-Kritik zurück, das Land leiste zu wenig. Sein Appell: Die Flüchtlingshilfe solle nicht "zum Gegenstand des heraufziehenden Landtagswahlkampfs" gemacht werden. Und die demokratischen Parteien sollten aufhören mit Schuldzuweisungen, zumal es auch Lösungen gebe, wie die sogenannte Westbalkanregelung zeige. Sie ermöglicht es bis zu 25.000 Menschen jährlich, als Arbeitskräfte nach Deutschland zu kommen. Seitdem sind die Asylanträge aus diesen Ländern deutlich gesunken.

Minister fordert Märchen-Verzicht

Auch FDP-Fraktionschef René Rock forderte die gemeinsame Suche aller demokratischen Parteien nach Lösungen, wie es auch in der Energiekrise gelungen sei. Niemand solle überlegen, "wem wir die Schuld in die Schuhe schieben können". Das Land könne die Probleme der Kommunen, die es schon seit langem gängele, aber nicht ignorieren.

"Die Briefe gehen doch an den Bund und an Sie", sagte Rock an Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) gewandt zu den Protesten der Kommunen. Boddenberg hatte Kritik an der Finanzausstattung von Kreisen, Städten und Gemeinden zurückgewiesen: "Hören Sie auf, Märchen zu erzählen", forderte er von der SPD. Nie zuvor habe sich Hessen so sehr um Finanzierung und Entschuldung der Kommunen gekümmert wie in der jüngsten Vergangenheit.

Einen Sinneswandel bei der CDU machte der AfD-Abgeordnete Volker Richter aus. Für das, was ihr Innenexperte Bauer über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit gesagt habe, seien AfD-Politiker immer wieder “als Nazis beschimpft“ worden.  Nun müsse sich die CDU gemeinsam mit den Grünen über den Bundesrat auch dafür einsetzen, "endlich eine Migrationspolitik zu beenden, welche sich desaströs auf unsere Gesellschaft ausgewirkt hat".

Als eine entsprechende AfD-Initiative aufgerufen wurde, die sich auf einen Hilferuf des Main-Taunus-Kreises und dessen Gemeinden bezog, wiederholte AfD-Fraktionschef Robert Lambrou die Forderung nach einer "Zeitenwende in der Migrationspolitik". Demonstrativ meldeten sich die anderen Fraktionen nicht zu Wort.

Linke: Flüchtlingsaufnahme ist Daueraufgabe

Die sowohl in Wiesbaden als auch in Berlin oppositionelle Linke hatte zuvor bei der Debatte über das Geld für die Kommunen CDU und SPD gleichermaßen vorgeworfen, in der jeweiligen Regierungsverantwortung schwere Fehler begangen zu haben.

So müsse grundsätzlich im Umgang mit Schutzbedürftigen umgedacht werden, forderte Saadet Sönmez, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion. Mit verbesserten Perspektiven und Hilfen von der Unterbringung bis zur Integration in den Arbeitsmarkt würden nicht nur die öffentlichen Kassen entlastet, "sondern Geflüchtete auch wie Menschen behandelt".

Statt dies als Daueraufgabe zu betrachten und es verlässlich zu finanzieren, herrsche noch immer "Projektmentalität". "Das fällt uns jetzt auf die Füße" sagte Sönmez.

Fuldaer Landrat mit scharfer Kritik am Gipfel

Fuldaer Landrat Bernd Woide (CDU)
Der Fuldaer Landrat Bernd Woide (CDU) zeigte sich unzufrieden mit den Gipfel-Ergebnissen in Berlin. Bild © Landkreis Fulda

Scharfe Kritik am Flüchtlingsgipfel äußerte der Fuldaer Landrat Bernd Woide. Der CDU-Politiker sagte: "Die Ergebnisse sind dürftig und haben nichts substanziell Neues ergeben. Ich habe den Eindruck, dass die Dramatik der Situation vor Ort noch nicht bei der Bundesregierung angekommen ist. Meiner Auffassung nach reagiert man immer noch ohne Konzeption und von einem Moment auf den anderen." Er vermisse eine national abgestimmte Migrationsstrategie. Aus den Migrationsbewegungen der Jahre 2015 und 2016 sei in Deutschland nicht viel gelernt worden.

Die EU brauche einen effektiveren Schutz ihrer Außengrenzen, sagte Woide. Zudem müsse es eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten in Europa geben. "Wir müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass wir in Deutschland auch aufgrund unserer sozialen Leistungsgesetze eine hohe Attraktivität für Migranten haben. Und das muss in Ausgleich mit anderen EU-Ländern gebracht werden."

Woide betonte, es gehe in nicht nur um Flüchtlinge und Migranten an sich, sondern auch um die Akzeptanz der Migrationspolitik in der Bevölkerung. "Wir wollen helfen. Wir wollen unterstützen. Aber man muss uns auch die Luft dazu geben", sagte Woide.

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 16.2.2023, 16.45 Uhr

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Quelle: hessenschau.de, Wolfgang Türk, Jörn Perske