Entlassungsaffäre im Wirtschaftsministerium Wie die CDU einmal ein Küchenkabinett auseinander nahm

Die Opposition im Landtag will die Entlassung von Wirtschaftsstaatssekretärin Messari-Becker in einem Untersuchungsausschuss durchleuchten. Völlig übertrieben, sagen CDU und SPD. Dabei erinnert der Fall an einen anderen - nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Küchengeräte
Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Schwarz-Rot in Hessen versteht die Welt nicht mehr. Eine Staatssekretärin in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, wie es SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori mit der Bau-Professorin Lamia Messari-Becker machte, sei doch schließlich "die normalste Sache der Welt". Und kein Grund für einen Untersuchungsausschuss im Landtag, wie ihn Grüne und FDP am Dienstag an den Start gehen lassen.

Das sagte jedenfalls auch Regierungschef Boris Rhein (CDU) im hr-Sommerinterview. Roland Koch, ein Amtsvorgänger als Ministerpräsident und Parteifreund Rheins, könnte ihm da etwas anderes erzählen. Die Sache ist allerdings schon ein Weilchen her. Es gab nämlich eine Zeit, da war die seit 25 Jahren ununterbrochen regierende CDU mal nicht am Ruder.

In der sogenannten "Küchenkabinett"-Affäre erwies sich Mitte der 90er Jahre der Rauswurf eines Staatssekretärs als ganz und gar nicht normaler Vorgang. Und Koch mischte in einem Untersuchungsausschuss mit, in dem Union und FDP deshalb einer rot-grünen Regierung die Hölle heiß machten.

Einiges kommt einem bekannt vor

Der historische Fall, so speziell er war, weist einige auffällige Parallelen zum aktuellen auf. Zum Beispiel ein kurzes Haltbarkeitsdatum. Grünen-Sozialstaatssekretär Johannes Schädler war 1995 auch kaum im Amt, da komplimentierte ihn seine Parteifreundin Iris Blaul in ihrer Chefrolle als Sozial- und Umweltministerin schon wieder heraus.

Statt auf sechs Monate wie Messari-Becker brachte es Schädler sogar nur auf vier. Auch er unterlag in einen Machtkampf an der Spitze eines Superministeriums mit vielen Zuständigkeiten, auch er in der Rolle des zweiten Staatssekretärs.

Papiere zerrissen

Im Untersuchungsausschuss sagte Schädler als Zeuge aus, dass ihn Ministerin Blaul, ihr Umweltstaatssekretär Rainer Baake und Blauls Lebensgefährte Wenzel Mayer bis zur Demütigung an den Rand gedrängt hätten. Dabei stand Mayer als Zentralamtsleiter in der Hierarchie sogar eine Etage unter ihm.

Das Trio, so berichtete Schädler damals, habe sich selbst als "Küchenkabinett" bezeichnet, um ihm klar zu machen: Er habe nichts zu melden. Einmal hätten die anderen sogar eines seiner Konzeptpapiere vor seinen Augen zerrissen - so hielt es der Abschlussbericht fest. Am Ende des Mobbingprozesses, den seine Kontrahenten leugneten, habe er nicht mal mehr Spesenabrechnungen abzeichnen dürfen.

Spielregeln missachtet

Wie fast drei Jahrzehnte später Messari-Becker, die sich gegen den Rauswurf wehrt, hielt sich der missliebig gewordene Spitzenbeamte aber nicht an die Spielregeln des Betriebs: Er nahm nicht geräuschlos Abschied. Dabei soll man ihm nach Angaben der Opposition eine "Schlammschlacht" angedroht haben, falls er nicht "freiwillig" und unter Verzicht auf seine Pensionsansprüche seinen Rückzug erkläre.

Öffentlich rief die Ministerin dem Mann auch noch hinterher, er sei schlichtweg inkompetent. Dabei war es auch damals möglich und üblich, Staatssekretäre ohne Begründung loszuwerden. Als der U-Ausschuss daran ging, das alles zu untersuchen, war Blaul wegen der Affäre schon zurückgetreten. Später verließ sie auch ihre Partei.

Die Regierung zog die umstrittene Entlassung Schädlers trotzdem durch, weil das Vertrauensverhältnis zerrüttet sei. Der damalige Justizminister Rupert von Plottnitz, Parteikollege und kommissarischer Nachfolger der Ministerin, gab aber zu: "Irrelevant, schädlich und unnötig" sei die öffentliche Abwertung des Staatssekretärs schon gewesen.

Persönlichkeitsrechte verletzt?

Auch in der Jetztzeit traf SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori seine Ex-Staatssekretärin mit voller Wucht – per Pressemitteilung. Er beschuldigte sie pauschal eines "nicht hinnehmbaren Fehlverhaltens" außerhalb der Dienstzeit. Angeblich nahm er daran Anstoß, dass sie ihren Posten bei einem Elterngespräch an einer Schule zugunsten einer besseren Note für ein Kind nutzen wollte.

Was Messari-Becker bestreitet. Das mit dem Fehlverhalten wollte sich Regierungschef Rhein jedenfalls "nicht zu eigen machen", wie seine Staatskanzlei erklärte. Der Rauswurf-Urkunde gab er trotzdem seinen Segen. Die Begründung lautete: Das Vertrauen des Ministers in sie sei verloren gegangen. Ein wenig ist auch SPD-Politiker Mansoori inzwischen zurückgerudert. Seine Kritiker finden: nicht weit genug.

Bekannt ist, dass es von Anfang an zu schweren Spannungen zwischen der parteilosen Messari-Becker und dem ersten Staatssekretär Umut Sönmez kam, einem Juso-Weggefährten des Ministers. Wie mit der Professorin bis zum Rauswurf und danach umgegangen wurde, ob ihr gar bis in die Schule ihrs Kindes nachspioniert wurde - auch das soll im Ausschuss ergründet werden. Im Fall Schädlers befanden CDU und FDP seinerzeit: Dessen Persönlichkeitsrechte seien verletzt worden.

Einer rudert zurück, eine ging unter

Anders als die international als Fachfrau für nachhaltiges Bauen anerkannteWissenschaftlerin wurde der Diplom-Pädagoge Schädler erst als mutmaßliches Opfer eines Küchenkabinetts überregional prominent. Mehr als ihm lieb sein konnte. Als "einer der teuersten Frührentner der Republik", wie die Zeitung taz ihn nannte, geriet er in die Schlagzeilen. Obwohl er unfreiwillig ging, musste der Ex-Staatssekretär dem Blatt zufolge auch noch Drohungen einstecken, nachdem die Bild-Zeitung schimpfte: Man habe "die Schnauze voll" von überversorgten Politikern wie ihm.

Die Versorgungsansprüche waren seinerzeit ausgesprochen luxuriös. Dem damals 38 Jährigen standen noch fünf Jahre lang 75 Prozent seines Gehalts von monatlich rund 11.000 Mark brutto zu. Dann wurde ihm der Steuerzahler lebenslang mindestens ein Drittel dieses Gehaltes schuldig. Machte unterm Strich rund vier Millionen Mark für vier Monate Arbeit, wie die CDU-Opposition ausrechnete.

Deutlich abgespeckt

Empörung über Rundum-Sorglos-Pakete wie dieses führten zu einer deutlich abgespeckten Form des Risikomanagements für politische Beamte. Auch Messari-Becker – Besoldungsgruppe 9 mit rund 12.500 Euro Grundgehalt - merkt das. Ende Juli flog sie raus. Sie bezieht ab diesem Zeitpunkt ihrer Versetzung in den Ruhestand drei Monate lang ihre volle Bezahlung.

Danach stehen ihr laut Beamtengesetz ein halbes Jahr lang als Übergangsgeld 71,75 Prozent der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge zu. Das dürfte monatlich mindestens knapp 9.000 Euro ausmachen. Insgesamt kommen so mindestens 90.000 Euro an Kosten zusammen für eine Staatssekretärin, die keine mehr sein darf. Als Beamtin auf Lebenszeit kann die 51-Jährige wieder an die Uni in Siegen zurückkehren. Von dort hatte Minister Mansoori sie abgeworben.

Einer kam durch

Nur einer aus dem Küchenkabinett hat übrigens noch weiter Polit-Karriere gemacht. Rainer Baake wird zu den maßgeblichen Architekten von Atomausstieg und Energiewende in Deutschland gezählt. Er wurde Staatssekretär der Bundesregierung, gründete einen Öko-Thinktank und ist derzeit Direktor der Stiftung Klimaneutralität.

Sein politischer Ziehsohn ist Patrick Graichen, der als rechte Hand von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck galt. Zur Zeit des verpatzten Heizungsgesetz kamen Vorwürfe der grünen Vetternwirtschaft auf. Graichen verlor in Folge der sogenannten Trauzeugen-Affäre sein Amt. Aber das ist eine andere Staatssekretärs-Geschichte.

Manche Formulierung kommt vielleicht wieder

Vieles spricht dafür, dass einem in einigen Monaten auch beim Ergebnis der parlamentarischen Aufarbeitung der neuen Entlassungsaffäre manches bekannt vorkommen wird. Wie im Fall des Küchenkabinetts dürfte sich die bis heute übliche Untersuchungsausschuss-Tradition völlig unterschiedlicher Wahrnehmungen durchsetzen.

Als wäre es ein Naturgesetz, gilt: Das Regierungslager kann nichts wirklich Anstößiges entdecken. Seine Gegner erkennen auf Totalversagen.

So befand die rot-grüne Koalition seinerzeit: Blauls Fehler sei nicht gewesen, den Staatssekretär zu entlassen, sondern ihn überhaupt berufen zu haben. "Sachfremde Entscheidungsstrukturen" habe es im Ministerium aber nicht gegeben. Und der Ministerpräsident habe von allem sowieso nichts ahnen können.

Der Opposition aus CDU und FDP war dagegen klar: Der Finanz- und Imageschaden für das Land Hessen war enorm. Die Affäre habe zudem ein "unglaubliches Führungsdesaster" offengelegt. Manchen Formulierungen wird man demnächst in dem neuen U-Ausschuss-Fazit wohl wiederbegegnen.

Koch gefiel es

Für den damaligen CDU-Fraktionschef und späteren Ministerpräsidenten Koch mag die Sache ein prägendes Erlebnis gewesen sein. Er gab später gerne zum Besten: Hätte er früher gewusst, wie man Regierungen mit Untersuchungsausschüssen durcheinanderbringen kann - er hätte das viel öfter gemacht.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de