Wie es zum Wahlergebnis kam und was es bedeutet
Es gab keine Wechselstimmung, dafür sorgenvolle Wähler - und die Ampelparteien verloren massiv an Vertrauen: Das sind die wesentlichen, aber nicht alle Gründe für das Ergebnis der Landtagswahl in Hessen.
Die Hessen-Wahl hat der CDU und der AfD am Sonntag (08.10.2023) starke Zugewinne gebracht, den Grünen, der SPD, der FDP empfindliche Verluste.
Nun stehen zwei Bündnisvarianten zur Debatte: die Fortsetzung von Schwarz-Grün oder ein CDU-Duett mit der SPD. Und die Linke ist ganz raus. Woran lag's? Eine Erklärung in zwölf Punkten.
1. Der Ärger mit der Ampel
Denkzettelwahl ist, wenn bei Landtagswahlen die Bundesregierung abgestraft wird. Das ist oft so und war auch 2018 nicht anders, als vor allem CDU und SPD bei der Hessen-Wahl verloren. Beide bildeten in Berlin damals die Koalition.
Diesmal traf es alle drei Parteien der Ampel-Regierung mit voller Wucht. Nicht mal ein Drittel der Hessen ist zufrieden mit der Bundesregierung. So verloren Grüne und SPD jeweils fast fünf Prozentpunkte. Die SPD fuhr sogar ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Die Liberalen kämpften bis zuletzt um den Wiedereinzug in den Landtag.
Kräftig zulegt haben die beiden Parteien, die im Bundestag in der Opposition sind und gegen die Bundesregierung austeilen konnten, auch wenn sie Entscheidendes trennt: CDU und AfD.
Die großen Zugewinne geben der Wahlkampfstrategie von Union und Ministerpräsident Boris Rhein Recht, sich als Alternative zur Bundesregierung zu präsentieren: "Kurs statt Chaos" lautete ihr Wahlkampfslogan. Die CDU ist mehr als doppelt so stark wie ihr derzeitiger Koalitionspartner, die Grünen, und wie die SPD. Die AfD liegt mit deutlichem Vorsprung erstmals auf Platz zwei.
2. Die Dominanz der Bundespolitik
Mit dem Ampel-Verdruss vieler Wähler korrespondiert die Rangliste der wahlentscheidenden Themen. Als erstes landespolitisches Politikfeld kommt erst auf Platz vier die Schul- und Bildungspolitik, wie die Vorwahlbefragung von infratest dimap zeigt.
Wichtiger war vielen Menschen bei der Stimmabgabe, worüber im Landtag und in den Landesministerien nicht maßgeblich entschieden wird: die schrumpfende Wirtschaft, die hohe Inflation, Klimawandel und Energiewende, Asyl und Zuwanderung.
Die genannten Themen verlangten den Menschen viel ab, sagt Eike-Christian Hornig, Parteienforscher aus Darmstadt. Mit CDU und AfD hätten die Parteien bei der Wahl gewonnen, "die versprochen haben, diese Veränderungen zu stoppen oder wenigstens zu verlangsamen".
3. Sorgenvolle Grundstimmung
Den Ampelparteien schadete nicht zuletzt, dass in der Gesellschaft wegen der Probleme, die hinter den wahlentscheidenden Themen stehen, eine sorgenvolle Grundstimmung herrscht.
Drei Viertel der Menschen sind beunruhigt, genauso viele wollen eine andere Asylpolitik - sogar jeweils die Hälfte der Wähler von SPD und Grünen.
4. Keine Wechselstimmung
In den jüngsten hr-Hessentrends war schon keine Wechselstimmung in der Landespolitik zu erkennen - dabei ist es geblieben. Ein prächtiges Bild gibt die schwarz-grüne Koalition zwar nicht ab, liegt beim Ansehen im unteren Drittel aller Regierungen der Bundesländer. Aber sie schneidet eben deutlich besser ab als die Bundesregierung.
Etwa jeder Zweite ist immerhin zufrieden mit Schwarz-Grün. Das gilt annähernd sogar für die Anhänger der hessischen Oppositionsparteien SPD und FDP.
5. Faesers Hintertürchen rächt sich
CDU-Ministerpräsident Rhein ist erst seit Mai 2022 im Amt. Bei den Beliebtheitswerten mag er nicht zuletzt deshalb im deutschlandweiten Vergleich der Länderchefs am Tabellenende liegen. Aber ob Führungsstärke oder Kompetenz: In Hessen hat er bei den persönlichen Werten die Nase unterm Strich deutlich vorn.
In dem Dreikampf, der am Ende keiner war, können sich seine unterlegenen Herausforderer vom Negativtrend aus Berlin nicht befreien. Vor allem Faeser wurde das derzeit schlechte Image der Ampelregierung nicht los, zumal sie als unter anderem für Asyl- und Flüchtlingspolitik verantwortliche Bundesinnenministerin im wenig beliebten Kabinett von Kanzler Olaf Scholz (SPD) unmittelbar beteiligt ist.
Als Spitzenkandidatin wurde sie für viele Wählerinnen und Wähler so zu einer Fehlbesetzung. Vor allem, dass sie sich die Hintertür offen ließ, im Fall der nun ja auch eingetretenen Wahlniederlage in Berlin zu bleiben, fanden viele schlecht.
6. Abgeräumt - die CDU
Die Union schwächelt ein wenig bei Themen, bei denen ihr traditionell eher viele Menschen vertrauen wie Wirtschaft oder Kriminalitätsbekämpfung. Dafür ist sie breit aufgestellt. Sie führt auf vielen Gebieten, etwa in der Bildungspolitik, und legt unter anderem in der Klimapolitik zu.
Rückenwind aus Berlin kam zwar ungewollt von der Ampel, aber nicht von der eigenen Bundespartei. Die wenigsten Befragten glauben, dass eine CDU-geführte Bundesregierung die Dinge besser machen würde.
7. Abgestürzt - die SPD
Der Gegenwind aus Berlin, die schlechten Werte der Spitzenkandidatin sind es nicht allein: Die Partei hat in Hessen insgesamt an Profil verloren. Beispiel soziale Gerechtigkeit: Nicht einmal mehr jeder Dritte in Hessen glaubt, dass die SPD am ehesten dafür sorgt. In der Bildungspolitik, eines von Faesers Hauptwahlkampfthemen, sieht es noch schlechter aus.
8. Abgestiegen - die Grünen
Stärkste Partei wollten sie werden, zweitstärkste waren sie 2018, nun blieb nur Platz vier. Vor allem wegen der Rolle in der Ampel hält sich das Image von der "Verbotspartei" hartnäckig.
Gleichzeitig gehen die Grünen gerade ihren eigenen Anhängern zu viele Kompromisse in der Bundesregierung ein. Heftig ist der Vertrauensverlust in Hessen ausgerechnet bei den Kernthemen Klima, Umwelt und Verkehr.
Wirtschaft ist als Thema wichtiger geworden. Obwohl die Grünen im Bund mit Robert Habeck und in Hessen mit Tarek Al-Wazir die Wirtschaftsminister stellen, hilft ihnen die gestiegene Bedeutung des Ressorts für das Wahlergebnis nichts.
9. Aufgestiegen - die AfD
Die erste Gegenrede nach einer Regierungserklärung: Dieses Recht steht der AfD in der neuen Wahlperiode im Landtag zu. Denn sie ist stärkste Oppositionsfraktion geworden - mit dem besten Landtagswahlergebnis, das die Partei je in Westdeutschland erzielt hat.
Profitiert hat die AfD nicht nur von der Unzufriedenheit mit den Ampelparteien. Vor allem von der verbreiteten Krisenstimmung und der Themenlage profitiert sie. Gerade die Debatte über Asyl und Zuwanderungspolitik, in der viele Menschen einen anderen Kurs wünschen, nützt der AfD. Das gilt auch für die Sorge vor Kriminalität und wirtschaftlichen Abstieg.
Zwei Drittel der Hessen halten sie zwar noch immer für rechtsextrem. Gleichzeitig gewinnt die AfD aber an Kompetenzzuschreibung auf einigen Politikfeldern. Und ungeachtet ihres Images als Protestpartei: Längst hat sich eine stabile Stammwählerschaft aus Überzeugung gebildet.
10. Reingezittert - die FDP
Die hessischen Liberalen hatten nicht nur als Berliner Ampelpartei schlechte Karten. Es war auch klar, dass sie als Mehrheitsbeschaffer im Landtag nicht gebraucht werden. Nun ist der FDP mit 5,0 Prozent gerade so die Punktlandung im Parlament gelungen.
Geschätzt wurde von gut der Hälfte der Hessen, dass die FDP gerade in der Klimapolitik in Berlin den Grünen Paroli biete.
11. Rausgezittert - die Linke
Nach 15 Jahren ununterbrochener Zugehörigkeit ist die Linke aus dem Landtag geflogen. Vor allem die verheerenden Auflösungserscheinungen der Bundespartei haben ihre Spuren hinterlassen.
Sogar beim Kernthema der sozialen Gerechtigkeit entziehen ihr die Menschen nun das Vertrauen. Auch der Versuch, mit einer kompromissloseren Klimapolitik als die Grünen zu punkten, brachte nichts.
12. Koalitionspoker - Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot
Die CDU hat die Wahl und kann in den Verhandlungen vielleicht die Preise drücken. Ministerpräsident Rhein hat "eine Koalition der Mitte" angekündigt und will zuerst mit dem aktuellen Koalitionspartner sondieren. Bisher waren die Grünen trotz gestiegener Spannungen verlässlich.
Mit der SPD hat die Union thematisch vermutlich mehr Schnittmengen. Richtig beliebt ist keine dieser beiden Optionen - am ehesten derzeit noch ein Bündnis von CDU und SPD.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 08.10.2023, 19.30 Uhr
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