Opposition in Zeiten von Schwarz-Grün Lockerlassen gilt nicht
Richtig ins Schlingern brachte die Opposition die schwarz-grüne Koalition in Hessen bislang nicht. Sie half sogar in höchster Not. Der eine oder andere Wirkungstreffer gelang aber auch.
Mitte September, kurz vor der Landtagswahl, wird das Parlament auf Drängen der Opposition noch einmal für drei Tage zusammenkommen. Mission erfüllt, Koalitionsvertrag abgearbeitet - eine Gelegenheit, dieser Erzählung von CDU und Grünen im Wahl-Showdown zu widersprechen, will man nicht ungenutzt lassen.
Bis zuletzt dranbleiben, heißt die Devise. Schließlich ist ein entscheidender Nachteil der Opposition nach Aussage des Darmstädter Politik-Professors Christian Stecker: "Die meiste Aufmerksamkeit geht nach Berlin oder zum Ministerpräsidenten."
Wie haben sich die parlamentarischen Gegner von Schwarz-Grün in einer auch für sie ungewöhnlich dramatischen Wahlperiode geschlagen? Ein Rückblick.
1. Ausgangslage: Nah dran und weit weg
Mit SPD, FDP, Linkspartei und erstmals der AfD stehen seit Anfang 2019 im derzeitigen Landtag vier Fraktionen der schwarz-grünen Mehrheit gegenüber. Mit 68:69 liegen sie bei den Mandaten nur knapp zurück. Auf zunehmende Beziehungsprobleme in der schwarz-grünen Vernunftehe verweist man seit Wochen gerne, schließlich ist bald Landtagswahl. Der Maximalerfolg einer geplatzten Regierungsmehrheit ist während der gesamten Legiaslaturperiode trotzdem nie in Reichweite.
"Die" Opposition gibt es ohnehin nicht, mit einer Stimme spricht sie nie. Am häufigsten kooperieren SPD und FDP miteinander. Die erstmals vertretene AfD wird von allen konsequent rechts liegengelassen.
2. Transfermarkt: Schmerzhafte Abgänge
Spitzenleute halten oder gewinnen: Wer nicht mit Regierungsposten locken kann, tut sich schwerer beim Personal. Nancy Faeser macht nach kurzer Zeit als SPD-Fraktionschefin Karriere als Bundesinnenministerin in Berlin.
Dorthin zieht es als Bundesparteichefin auch Janine Wissler, die Galionsfigur der hessischen Linken. Ihre Fraktion verliert auch den erfahrenen Hermann Schaus. Der FDP-Innenexperte Stefan Müller wird Abteilungsleiter im Bundesforschungsministerium. Solche Abgänge werden auf der Oppositionsbank im Plenum und in zwei Untersuchungsausschüssen spürbar.
3. Untersuchungsausschüsse: Schnitte, aber kein Hieb
Untersuchungsausschüsse gelten als schärfstes Schwert der Opposition gegen Regierungen. Jahrelang mühen sich die Kritiker von Schwarz-Grün in parallel laufenden Ausschüssen zum Mord an Walter Lübcke und dem verheerenden Anschlag von Hanau um Aufklärung.
Ihnen gelingt der Nachweis, dass bei Verfassungsschutz und Polizei einiges im Argen lag. Auf Fehler, die für die Taten entscheidend waren, lassen sich frühere oder aktuell Verantwortliche wie CDU-Innenminister Peter Beuth aber nicht festnageln.
4. Staatstragend: Koalieren mit der Koalition
Der Ukraine-Krieg und seine Folgen, vor allem die Corona-Pandemie: In historisch einmaligen Notlagen schlägt die dann oft zitierte "Stunde der Exekutive". In höchster Not greift die weniger im Fokus stehende Opposition der Regierung unter die Arme, auch wenn es vielleicht nicht aufs eigene politische Konto einzahlt.
Den "Konsens der Demokraten" wollen SPD und FDP mit ihrer Mitarbeit an Eckpunkten eines Abwehrschirms gegen hohe Energiepreise sichtbar machen. Bei den ersten milliardenschweren Corona-Soforthilfen stimmt sogar die gesamte Opposition zu. Lange hält die Einigkeit bei beiden Themen nicht.
5. Aktenkundige Erfolge
Ob Polizeiausbildung oder "Heimatumlage": Gegen umstrittene Gesetze der Landesregierungen wehren sich ihre Gegner häufiger juristisch. Und das mit zum Teil großem Erfolg.
Einen schweren Wirkungstreffer erzielen sie beim umstrittenen, milliardenschweren Corona-Sondervermögen: Der Staatsgerichtshof kassiert es als verfassungswidrig. SPD und FDP gemeinsam sowie die AfD hatten geklagt.
6. Schicksal: Abgeblitzt und plagiiert
Wie in allen Parlamenten rennt die Opposition mit eigenen Initiativen in der Regel gegen eine Wand aus Ablehnung: So fordern SPD oder Linke wiederholt vergeblich die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge, die FDP einen rigideren Umgang mit Wölfen.
Erst ablehnen, dann abschreiben: Das in der Politik traditionelle Spiel beobachtet die SPD aktuell beim kostenlosen Meisterbrief: Was sie lange gefordert hat, leitet die Koalition kurz vor der Wahl werbewirksam ein. Ähnlich beklagt es zum Beispiel auch die Linke im Fall der besseren Bezahlung für Grundschullehrer.
7. Selbstbeschäftigung I: Viel Disziplin und eine Affäre
Zwischendurch haben fast alle Oppositionsparteien auch mit sich selbst zu tun. Sehr reibungsfrei läuft es nach außen bei der FDP, sogar beim kleinen Machtwechsel: Der wirtschaftsliberale Stefan Naas ersetzt als Landtagswahl-Spitzenkandidat den eher sozialliberalen René Rock.
Auch die SPD-Fraktion hält Kurs und Disziplin, nur nicht beim Parken. Ein gefälschter Landtags-Parkausweis für seine Frau bringt Vize-Fraktionschef Marius Weiß einen Strafbefehl ein - und der SPD eine schlagzeilenträchtige Affäre.
8. Selbstbeschäftigung II: Schrumpfkurs und Existenzkampf
Richtig wild geht es in der AfD-Fraktion zur Sache. Fundamentalopposition gegen Corona- oder Klimapolitik und Eklats mischen sich mit betont sachlichem Auftreten - etwa in den Untersuchungsausschüssen. Macht- und Richtungskämpfe, Geheimdossiers über eigene Abgeordnete: Am Ende hat die Fraktion vier Mitglieder weniger.
Die Linken-Fraktion arbeitet geschlossen und geräuschlos - und im Plenarsaal auch mal mit Plakataktionen. Aber eine #Metoo-Affäre um sexualisierte Gewalt führt zur Zerreißprobe in der Landespartei. Auch die Richtungs- und Grabenkämpfe in der Bundespartei trüben Stimmung und Umfragewerte. Am Ende scheint der Wiedereinzug ins Landesparlament gefährdet.
9. Zeugnis: Ideenlos oder bereit für den Neuanfang?
Und wie war es am Ende? Das Urteil der unmittelbar Beteiligten fällt erwartbar aus. Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner spricht von einer Opposition ohne Ideen: "Immer nur bei allem 'mehr und schneller' zu fordern, ist kein eigenes Konzept."
SPD-Fraktionschef Günter Rudolph glaubt dagegen schon Monate vor der Hessen-Wahl mehr als einen Beleg vorgelegt zu haben, "dass es dringend Zeit für einen politischen Neuanfang in Hessen ist". Das maßgebliche Zeugnis stellen den Parteien dann die Wählerinnen und Wähler am 8. Oktober aus.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 07.09.2023, 19.30 Uhr
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