Check zur Landtagswahl So gefährlich ist der Wolf in Hessen wirklich

Zerfleischte Kälbchen, wütende Landwirte und Politiker, die sich schon verbal auf die Jagd begeben: Der Wolf ist im hessischen Landtagswahlkampf angekommen. Doch wer muss ihn fürchten?

Der Kopf eines Wolfes mit Wahllogo
Wölfe sorgen in Hessen für Aufsehen. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Wolfgang Fröhlich fotografiert Kadaver. Als ehrenamtlicher Wolfsberater fährt er im Auftrag des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) zu Weiden, um tote Schafe, Ziegen oder Rinder zu begutachten. Tupferproben von Bisswunden schickt er zur Analyse ein mit der Frage: Hat hier ein Wolf Beute gemacht? Die Antwort lautete dieses Jahr in 26 Fällen in Hessen: ja.

So nüchtern die Zahl, so emotional ist die Debatte um den Wolf. Vor der Landtagswahl am 8. Oktober streiten sich die Parteien beinahe darum, wer den Wolf zuerst auf der Agenda hatte. "Jetzt bejagen statt später bereuen", forderte Ministerpräsident Boris Rhein beim CDU-Parteitag. Auch FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas will das Tier im Jagdrecht sehen, "damit es nicht durch die hessischen Dörfer und Kleinstädte trabt".

Doch wie real ist das Gefahrenszenario um den Wolf? Spaziergänger und Autofahrer melden immer wieder Begegnungen. Doch die Hälfte aller Rudel in Deutschland lebe völlig unbemerkt vom Menschen, sagt Hessens Wolfsbeauftragte Susanne Jokisch: "Der Wolf ist ein sehr scheues Wildtier wie ein Fuchs, aber ihm haftet eine andere Historie an." Das Bild vom bösen Wolf sitzt tief, dabei zeigen Daten aus dem Wolfsmonitoring recht klar, wer ihn zu fürchten hat - und wer nicht.

Hessen, ein kleines Wolfsland

"Ich habe keine Angst vorm Wolf", sagt Biologe Wolfgang Fröhlich, der auch Wolfsbeauftragter beim Landesjagdverband Hessen ist. Gesehen habe er ihn bisher nur einmal in freier Wildbahn - in der Lausitz. Sachsen und Brandenburg zählen jeweils mehr als 30 Wolfsrudel. Hessen hat derzeit drei und ist damit ein vergleichsweise kleines Wolfsland. Bilder von Begegnungen zwischen Wolf und Mensch gingen zwar schnell durch die Medien, sagt Fröhlich, aber "ich sehe keine Problemwölfe".

22 Wölfe leben derzeit in Hessen: Drei sind allein unterwegs, die anderen in drei Rudeln.

Hessenkarte mit drei Orientierungspunkten und sechs Wolfsstandorten
Bild © hessenschau.de

Wolfsangriffe auf Menschen hat es nach Angaben des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) bisher nicht gegeben. Ohnehin würden wir nicht ins Beuteschema passen, sagt Susanne Jokisch, und auch mögliche Risikofaktoren wie knappes Futterangebot oder Tollwut würden im heutigen Hessen keine Rolle spielen: "Der Wolf hat hier genug natürliche Nahrung: Unsere Wälder sind ja voll von Wild." Doch Rehe im Wald sind das eine, Weidetiere das andere.

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Gefahr für den Menschen?

Wölfe können Menschen gefährlich werden, wenn sie

  • Tollwut haben,
  • gefüttert werden,
  • zu wenig Wild finden.
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"Wölfe sind Energiesparer und Opportunisten", sagt Jokisch. Sie fressen, was leicht zu kriegen ist - neben kranken oder verletzten Wildtieren seien das auch mal Nutztiere hinter zu leicht überwindbaren Zäunen.

Verhaltensbiologe: Wolf wird im Wahlkampf instrumentalisiert

In Zäunen, die ausreichend Schutz bieten, sieht der österreichische Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal das wirksamste Mittel, um den Wolf gar nicht erst auf den Geschmack kommen zu lassen. Statt Schafen und Rindern wende er sich dann schnell Wildtieren zu, sagt Kotrschal im Interview mit hessenschau.de.

Der Experte ist überzeugt, dass der Wolf im Wahlkampf instrumentalisiert werde, weil er an tiefsitzende Ängste rühre. Sachliche Gründe dafür, dass Menschen sich vor diesem Raubtier fürchten sollten, sieht Kotrschal nicht.

Schafe und Ziegen auf dem Speiseplan

Auf dem Frankfurter Wochenmarkt stellt Timo Haas gern ein Schild auf seinen Tresen mit Ziegenkäse: "Wolf, nein Danke", steht darauf. Um Diskussionen anzuregen, sagt Haas. Er betreibt in Gomfritz bei Schlüchtern (Main-Kinzig) einen Hof mit 150 Ziegen und 20 bis 30 Rindern. Anfang Mai hat es ihn getroffen: Da lag ein Kalb tot auf der Weide: "Es waren nur noch die Wirbelsäule, die Rippen und der Kopf übrig."

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Weidetiere durch Jagd auf Wölfe schützen?

Eine Ziege blickt geradeaus in die Kamera.
Ziegen und Schafe werden am häufigsten von Wölfen gerissen - in diesem Jahr etwa 20 Mal. Bild © hr
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Eine Analyse des Senckenberg-Instituts konnte keine Wolfs-DNA nachweisen. "Männlicher Wolf" lautete dagegen das Ergebnis einer zweiten Analyse, die Haas selbst beauftragt hatte. "Wir vermuten, dass es sogar mehrere waren."

Ganz in der Nähe des Hofs, in der Rhön, lebt ein Wolfsrudel. Im Februar identifizierte eine Genanalyse den Wolf "GW3179m", nachdem er in Schlüchtern fünf Schafe gerissen hatte. 

Fast alle Wolfsrisse treffen Schafe und Ziegen

Nicht alle Weidetiere sind gleich gefährdet. Das legen die Daten des hessischen Wolfsmonitorings nahe: Fast alle nachgewiesenen Wolfsrisse (93 Prozent) zwischen 2017 und 2022 trafen Schafe und Ziegen. Die übrigen sieben Prozent waren Rinderkälber wie im Fall von Timo Haas. Ihm hilft diese Zahl freilich nicht. Er ist wütend - auch weil er sich um den Schutz seiner Tiere bisher vergeblich bemüht habe.

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Ein 1,20 Meter hoher Elektrozaun mit bis zu 10.000 Volt schützt die Ziegen in Gomfritz. Haas würde gern höhere Zäune bauen, deshalb habe er im Februar eine Förderung beantragt. "Vor vier Wochen kam die Absage: Sie fördern nur 1,20 Meter hohe Zäune." Nun muss er neue Angebote einholen und ärgert sich über die Bürokratie: "Bis die Zäune genehmigt sind, hat sich der Wolf schon daran gewöhnt, Weidetiere zu reißen."

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Wie Herdenschutz gefördert wird

Wer Schafe, Ziegen oder Damwild hält, kann eine Förderung vom Land für Zäune, Zaunteile oder Herdenschutzhunde beantragen. Bis zu 30.000 Euro werden pro Jahr gezahlt. Das gilt seit März 2023 für ganz Hessen, zuvor galt es nur in sogenannten Präventionsgebieten.

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Mufflons vor der Ausrottung?

Nicht nur Weidetierhalter wie Timo Haas sehen den Wolf als Gefahr. Mitglieder des Jagdvereins Hubertus Kreis Eschwege haben dem Ministerpräsidenten Mitte Juli im Landtag ein Positionpapier überreicht und ihre Sorge um Rehe und Mufflons vorgetragen. Muffelschafe, so ihre Befürchtung, könnte der Wolf in Hessen komplett ausrotten.

Eine realistische Einschätzung, glaubt auch der Wolfsexperte des Landesjagdverbandes, Wolfgang Fröhlich: "Damit muss man rechnen", sagt er. Ein Problem sei das allerdings nicht. "Mufflons sind hier ja nicht heimisch", erklärt Fröhlich. Die Tiere wurden in den 1950er Jahren in Hessen ausgesetzt, um das Jagdangebot zu erweitern.

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Die Jagd an sich könnte sich durch den Wolf stark verändern, glaubt der Wolfsberater. Denn wo Wölfe durch den Wald streifen, verändert sich das Ökosystem. Das Wild werde misstrauischer, sagt Fröhlich. Auch menschliche Jäger hätten es dann schwerer. "Der Wolf jagt aber kranke und schwache Tiere", sagt Fröhlich: "Das sehe ich als Vorteil."

Allzu stark vermehren sollte sich der Wolf in Hessen nicht mehr, findet Timo Haas. "Es ist ein wunderschönes Tier", sagt er. Trotzdem würde er es begrüßen, wenn Wölfe in Hessen künftig gejagt werden dürften: "Wenn mal einer geschossen wird und sie den Menschen als Gefahr erkennen, dann halten sie sich fern."

Wolf im Wahlprogramm: Das versprechen die Parteien

Mehrere Parteien in Hessen sehen das ähnlich. Vor der Landtagswahl werben nicht nur CDU und FDP, sondern auch die AfD und die Freien Wähler damit, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen. Die AfD will sogar Abschussquoten ab einer bestimmten Zahl an "akzeptierten" Wölfen festlegen.

Geht es nach SPD und AfD, sollen Tierhalter nach einem Wolfsriss künftig einfacher eine Entschädigung erhalten. Die CDU verspricht außerdem ebenso wie die SPD, mehr Geld in den Weideschutz zu investieren.

Auch die Grünen versprechen Betroffenen im Schadensfall Hilfen - mit Präventionsangeboten wollen sie verhindern, dass es dazu überhaupt kommt. Verhaltensauffällige Wölfe sollen erschossen werden dürfen.

Abschuss rechtlich kaum möglich

Im Moment ist der Wolf in Deutschland und Europa streng geschützt. Ausnahmen erlauben zwar, besonders auffällige Tiere zu "entnehmen", wie es im Jagdjargon heißt. Doch die Hürden sind hoch.

Dass Obergrenzen für Wölfe einen Effekt hätten, daran hat Biologe Fröhlich seine Zweifel: "Das müsste man dann bundesweit einheitlich machen." Denn Wölfe wandern weite Strecken und scheren sich nicht um Ländergrenzen. "Die Wölfe kommen, ob wir wollen oder nicht", sagt er. "Wir müssen eben lernen, mit ihnen zurecht zu kommen."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es im ersten Absatz, dass Wolfgang Fröhlich die Proben gerissener Tiere als Wolfsbeauftragter des Landesjagdverbandes Hessen nimmt. Fröhlich ist in dieser Funktion auch tatsächlich tätig. Die beschriebenen Proben nimmt er allerdings im Auftrag des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie. Die entsprechende Textpassage wurde geändert.

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Sendung: hr4, die hessenschau für Südhessen & Rhein-Main, 29.08.2023, 12.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de