Wo Schwarz-Grün Versprechen aus dem Koalitionsvertrag gehalten hat - und wo nicht
Welche Ziele aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag von 2018 wurden erreicht? Was blieb auf der Strecke? Schätzen Sie selbst!
Nach der Landtagswahl im Herbst 2018 unterschrieben CDU und Grüne im Dezember ihren gemeinsamen Koalitionsvertrag. Darin versprachen sie einige Verbesserungen. Was aber ist aus den Versprechen geworden?
"Fünf Monate vor der Landtagswahl sind die wichtigsten Ziele im Koalitionsvertrag schon erreicht", hieß es in einem Statement der Landesregierung im Mai 2023. Stimmt das? Wir haben uns einige Bereiche angeschaut: Welche Ziele wurden erreicht und welche nicht?
Die Themen in der Übersicht:
- Klimaschutz
- Landwirtschaft und Wald
- Windenergie
- Sozialer Wohnungsbau
- Verkehr
- Sicherheit
- Kinderbetreuung
- Fachkräfte
- Digitalisierung
- Schulen
1. Klimaschutz
Auf dem Weg zur Klimaneutralität legte die schwarz-grüne Landesregierung klare Schritte fest. Spätestens im Jahr 2030 sollen laut Koalitionsvertrag 55 Prozent weniger Treibhausgase in Hessen ausgestoßen werden als im Jahr 1990. Im ersten hessischen Klimagesetz wurde das Ziel in diesem Jahr verschärft: Demnach sollen in sieben Jahren 65 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden.
Das Öko-Institut und das Beratungsunternehmen Bosch & Partner haben im Auftrag des Umweltministeriums im Jahr 2020 eine Prognose zur künftigen Entwicklung des hessischen CO2-Ausstoßes errechnet. Demnach können die Treibhausgasemissionen mit den bisherigen Plänen der Landesregierung bis 2030 voraussichtlich nur um 43 Prozent reduziert werden. "Die heutigen Maßnahmen und Programme sind somit noch nicht ausreichend", heißt es in dem Bericht.
2. Landwirtschaft und Wald
25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sollen bis 2025 ökologisch bewirtschaftet werden - und ganz Hessen zur "Ökomodellregion" werden. Auch das haben CDU und Grüne konkret in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Als die neue Regierung zum Jahreswechsel 2018/2019 ihre Arbeit aufnahm, machte der Ökolandbau knapp 15 Prozent aus.
Um die hessischen Wälder zu schützen, sollen außerdem fünf Prozent der Waldfläche aus der Bewirtschaftung genommen werden. Laut Umweltministerium liegt der Anteil von ungenutzten Wäldern an der gesamten hessischen Waldfläche bislang bei etwa vier Prozent - das Ziel wurde aktuell also noch nicht erreicht.
Ein anderes Vorhaben konnte die Landesregierung hingegen umsetzen: Sie schaffte es, über zehn Prozent des Staatswaldes als Naturwälder zu sichern.
3. Windenergie
Die schwarz-grüne Landesregierung hat sich vorgenommen, zwei Prozent der Landesfläche als Windvorranggebiete auszuweisen. Aktuell liegt sie bei 1,9 Prozent. Dieses Ziel könnte also noch erreicht werden.
Die Ausweisung der Flächen bedeutet nicht, dass dort bereits Windenergie erzeugt wird. Auf zwei Dritteln der Windvorranggebiete steht laut hessischem Wirtschaftsministerium derzeit kein Windrad. Für die Hälfte der unbelegten Flächen seien allerdings Windräder beantragt worden, auf weiteren Flächen hätten die Planungen begonnen.
"Die Flächenfindung war in Hessen vorbildlich", sagt Katharina Prenzel vom hessischen Landesverband WindEnergie. Doch die Genehmigungsbehörden müssten schneller und mutiger werden.
4. Sozialer Wohnungsbau
In ihrem Koalitionsvertrag versprachen CDU und Grüne, zwischen 2019 und 2024 den Bau von etwa 22.000 geförderten Wohnungen anzustoßen. Dafür sollen 2,2 Milliarden Euro investiert werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Wohnungen in dieser Zeit auch gebaut werden. Dieses Ziel scheint dennoch kaum erreichbar zu sein.
2021 etwa wurden nach Angaben des Wirtschaftsministeriums Zuschüsse und Darlehen für rund 1.750 Sozialwohnungen zugesagt. Damit das Ziel der Regierung erreicht werden könnte, müssten jährlich im Schnitt aber über 3.600 neue Sozialwohnungen ausgewiesen oder in Form von Darlehen zugesagt werden.
Kritik kommt vom Mieterbund. In Hessen müsse es bis 2040 mindestens 100.000 neue Sozialwohnungen geben. "Wenn sich nicht bald etwas ändert, werden nur noch Reiche in den Städten wohnen können", warnt Gert Reeh, Vorsitzender des Mieterbunds Hessen.
5. Verkehr
In Sachen Verkehr hat sich die schwarz-grüne Landesregierung einiges vorgenommen. So wollte sie die Schienenstrecken der Lumda,- Horloff- und Aartalbahn sowie der Herkulesbahn reaktivieren:
- Zumindest ein Teil der Strecke der Lumdatalbahn, nämlich zwischen Lollar und Mainzlar (beide Gießen), soll nach aktuellem Planungsstand bis Ende 2023 in Betrieb genommen werden. Für den restlichen Teil der Strecke würden Untersuchungen durchgeführt, teilte die Hessische Landesbahn (HLB) mit.
- Die Streckenaktivierung der Horlofftalbahn von Friedberg nach Nidda (Wetterau) oder Hungen (Gießen) ist in Planung. Sie wird aber nicht mehr in der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt. Eine Inbetriebnahme ist frühestens für Ende 2025 vorgesehen, wie es bei der Deutschen Bahn heißt.
- Auch zwischen Bad Schwalbach und Wiesbaden sollen mit der Aartalbahn künftig wieder Züge rollen. Aktuell läuft noch eine Machtbarkeitsstudie, um das Vorhaben zu überprüfen.
- Zu der Herkulesbahn in Kassel gibt es bislang keinerlei konkrete Pläne, auch eine Studie wurde nicht in Auftrag gegeben.
Auch der Ausbau der A44, A49 sowie der A66 (Riederwaldtunnel) sollte laut Koalitionsvertrag erfolgen. Am schnellsten dürfte das bei der A49 gehen. Dort soll der Neubau Ende 2024 fertig sein. Der Riederwaldtunnel hingegen soll erst deutlich später, nämlich 2031, abgeschlossen werden.
Auf der A44 wurden erste Abschnitte der Neubaustrecke zwischen Kassel und Herleshausen (Werra-Meißner) im Oktober 2022 freigegeben. Die letzten elf Kilometer zwischen Lossetal und Helsa-Ost lassen jedoch auch 23 Jahre nach dem ersten Spatenstich auf sich warten. Derzeit prüft die Autobahn GmbH erneut Einwände von Anwohnern, Kommunen und Verbänden.
6. Sicherheit
Zur Verbesserung der Sicherheit im Land plante die Regierung 750 zusätzliche Vollzugsstellen bei der Polizei. Diese sollten "spürbar mehr Präsenz unserer Sicherheitskräfte schaffen". Diese Stellen wurden in den Jahren 2020, 2021 und 2022 durch jeweils 250 neue Polizeiänwärterinnen und -anwärter geschaffen.
2025 wird es nach Angaben des Innenministeriums dann 16.000 Polizistinnen und Polizisten in Hessen geben. Das sind fast 20 Prozent mehr im Vergleich zu 2014.
Die Zahl der Straftaten in Hessen ist im vergangenen Jahr gestiegen. Insgesamt über 368.000 Delikte wurden 2022 gezählt, etwas mehr als 2019. Nachdem die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten in Hessen 2020 und 2021 während der Corona-Pandemie gesunken war, nahm sie wieder spürbar zu, was das Innenministerium mit Nachholeffekten aus der Pandemie-Zeit begründet.
7. Kinderbetreuung
Für die Kindertagesstätten haben CDU und Grüne vereinbart, dass sie jeden Euro vom Bund verdoppeln. Das hat die Landesregierung erfüllt. Für den Ausbau der Kinderbetreuung stellte der Bund von 2017 bis 2021 insgesamt 163 Millionen Euro zur Verfügung. Das Land Hessen erweiterte den Betrag mit mehreren Förderprogrammen um 169 Millionen Euro. Diese stehen in den Jahren 2020 bis 2024 zur Verfügung.
Doch die Investitionen scheinen nicht auszureichen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen in diesem Jahr 37.000 Kita-Plätze - trotz des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr.
Um insgesamt genügend Kita-Plätze anbieten zu können, müssten laut der Studie 10.700 Erzieherinnen und Erzieher neu eingestellt werden. Hierdurch entstünden zusätzliche Personalkosten von fast 456 Millionen Euro im Jahr. Die Betriebs- und mögliche Baukosten kämen hinzu.
8. Fachkräfte
Der Fachkräftemangel ist bundesweit ein großes Thema - auch in Hessen. Deshalb nahm sich die Landesregierung im Koalitionsvertrag vor, 100.000 neue Fachkräfte zu gewinnen. Dabei sollten neben Erzieherinnen und Erzieher vor allem Pflegefachkräfte angeworben werden. Dazu hat die Regierung - wie angekündigt - ein hessisches Pflegequalifizierungszentrum errichtet. Dieses soll Arbeitgeber und ausländische Fachkräfte beim Anwerbe-, Anerkennungs- und Integrationsprozess unterstützen.
9. Digitalisierung
Auch der Internet-Ausbau ist ein wichtiges Thema im Koalitionsvertrag. Recht schwammig ist der Abschnitt zur Digitalisierung an Schulen formuliert: "Die Anbindung der Schulen an das schnelle Internet ist eine Voraussetzung für das neue digitale Lernen." Aktuell sind nach Zahlen der Digitalministerin 96 Prozent der Schulen an das Gigabitnetz angeschlossen. Um bei 100 Prozent anzukommen, fehlen noch 75 Schulen.
Deutlich konkreter lautet das Ziel zur Gigabitstrategie. Die Landesregierung legte fest, dass Hessen bis 2025 flächendeckend mit gigabitfähigen Infrastrukturen versorgt sein soll. Dieses Ziel scheint noch in weiter Ferne. Bisher haben 68 Prozent der Haushalte (Stand Ende 2022) und 62 Prozent der Gewerbegebiete (Stand Mitte 2022) eine gigabitfähige Leitung.
10. Schulen
Auf Bundesebene gilt ab 2026 ein Rechtsanspruch: Demnach soll jedem Kind in der ersten Grundschulklasse ab dem Schuljahr 2026/2027 ein Ganztagsplatz angeboten werden. Der Anspruch wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Dieses Vorhaben umzusetzen und eine Betreuung von 7.30 bis 17 Uhr anzubieten, steht auch im hessischen Koalitionsvertrag. Im kommenden Schuljahr werden 74 Prozent der Grundschulen einen Ganztag anbieten, teilte das Kultusministerium mit.
Nach Einschätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen droht ein Scheitern des Rechtsanspruchs. Denn vermutlich wird der Bedarf an Ganztagsplätzen steigen. Aufgrund dieses Bedarfs müssten bis zum Jahr 2029 rund 49.000 bis 67.000 zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden, rechnet die GEW vor. Dazu bräuchte es demnach zwischen 4.800 und 6.500 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.09.2023, 19.30 Uhr
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