SPD-Spitzenkandidatin Faeser "Wir kämpfen weiter darum, stärkste Kraft zu werden"
Die schlechten Umfragewerte der Hessen-SPD liegen nicht am Personal, ist Spitzenkandidatin Nancy Faeser überzeugt. In den zwei Wochen bis zur Wahl könne sie noch aufholen - wenn endlich über die Landespolitik gesprochen würde.
Angetreten war die Hessen-SPD mit dem Anspruch, Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) zu beerben - doch in den Umfragen entfernt sich die Partei immer weiter davon. Auf 18 Prozent kommt sie im jüngsten hr-Hessentrend. Das wäre das schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl in Hessen.
Entschieden ist damit für Spitzenkandidatin Nancy Faeser noch lange nichts. Im Interview wirft die Bundesinnenministerin der CDU Versäumnisse in der Bildungspolitik vor und gibt sich weiterhin kampfbereit.
Die Fragen stellten Anja Engelke und Wolfgang Türk.
Ende der weiteren Informationenhessenschau.de: Frau Faeser, falls Sie inzwischen mal gegrübelt haben, ob das mit der Kandidatur ein Fehler war, würden Sie es uns ja nicht sagen. Aber mit einem so schweren Stand im Wahlkampf werden Sie nicht gerechnet haben, oder?
Nancy Faeser: Ehrlich gesagt habe ich damit gerechnet, dass der Wahlkampf in Berlin gegen mich geführt wird. Das ist doch die beste Ablenkung von den Versäumnissen der CDU-Landesregierung in Hessen.
hessenschau.de: Vom Ziel, mit der SPD stärkste Kraft zu werden, sind Sie weit entfernt. Wenn es schlecht läuft, landen Sie noch auf Platz vier hinter der AfD.
Faeser: Im Moment liegen wir auf Rang zwei. Wir kämpfen weiter darum, stärkste Kraft zu werden. Noch entscheiden die meisten Menschen nicht nach Landesthemen wie guter Bildung und sicheren Arbeitsplätzen, sondern nach Bundesthemen. Wenn wir mehr über Hessen reden, ist da noch viel Luft nach oben.
hessenschau.de: Den Wahlkampf scheint aber Boris Rhein mit einem Wahlkampf gegen die Ampel-Bundesregierung und dem Slogan "Kurs statt Chaos" zu dominieren. Und Sie sind Teil dieser Ampel-Regierung.
Faeser: Wir haben jetzt die dritte Hessen-Wahl in Folge, die die CDU als Anti-Berlin-Wahlkampf führt. So ist die CDU oft durch ihre Wahlkämpfe gegangen. Es wird Zeit, darüber zu reden, was die CDU hier 25 Jahre lang hat liegen lassen in der Bildungspolitik, in der medizinischen Versorgung der Menschen. Wenn es uns gelingt, diesen Fokus auf Hessen zu richten, kann es auch anders ausgehen.
In einer Demokratie ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man aus Ämtern heraus bei Wahlen antritt.Zitat Ende
hessenschau.de: Aus dem Amtsbonus für die Wahl in Hessen, mit dem Sie bei Ihrem Wechsel nach Berlin gerechnet haben, ist jedenfalls bisher eher ein Malus geworden. Jetzt sind Sie hier die bekannteste Politikerin, aber mit deutlich geringeren Popularitätswerten als Boris Rhein und Tarek Al-Wazir.
Faeser: Ich bin nicht Deutschlands erste Bundesinnenministerin geworden, um hier einen Amtsbonus zu haben, sondern weil Bundeskanzler Olaf Scholz mich gefragt hat, ob ich Verantwortung in einem sehr wichtigen Ministerium übernehmen will. Ich hatte vorher 15 Jahre Innenpolitik in Hessen gemacht.
hessenschau.de: Weil Sie nur im Fall eines Sieges zurückkehren wollen, werden Sie seitdem die Debatte über Ihre "Rückfahrkarte" nach Berlin nicht los.
Faeser: Jeder weiß, wie tief ich in Hessen verwurzelt bin und wie lange ich hier schon in der Kommunalpolitik und im Landtag Politik für die Menschen gemacht habe. Mich wundert die Diskussion, weil alle anderen ja auch aus Ämtern heraus kandidieren, Herr Rhein genauso wie Herr Al-Wazir. In einer Demokratie ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man aus Ämtern heraus bei Wahlen antritt.
hessenschau.de: Bisher dringen Sie wegen solcher Angriffe mit Ihren Themen nicht durch. In Berlin stehen Sie unter Dauerdruck wegen der umstrittenen Versetzung von Cyber-Sicherheitschef Arne Schönbohm. Kämpfen Sie gerade mehr um Ihren Kabinettsposten als um das Amt der Ministerpräsidentin?
Faeser: Nein. Ich glaube, dass wir über Bildungspolitik reden sollten. Leider sind die Bildungschancen der Kinder in Hessen nicht besser geworden, im Gegenteil. Die Durchlässigkeit im Schulsystem ist nicht mehr wie früher. Wir dümpeln im Bundesländer-Vergleich im Moment im Mittelfeld. Das ist der Hauptgrund, warum ich hier in Hessen antrete: Um für bessere Schulen mit mehr Lehrerinnen und Lehrer zu sorgen, damit unsere Kinder die besten Chancen haben.
hessenschau.de: Ein anderes Thema, mit dem Sie punkten wollen, ist der Fachkräftemangel. Eignet sich der wirklich als Wahlkampfthema? Da sind sich doch alle einig, dass das Problem gelöst werden muss.
Faeser: Es ist seit 25 Jahren in Hessen aber nicht gelöst worden. Uns geht es vor allem um mehr Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte, Ärzte, Pflegekräfte, Handwerkerinnen und Handwerker. Die Politik muss dafür sorgen, dass wir angesichts des demografischen Wandels rechtzeitig mehr ausbilden. Und dass wir die besten Köpfe aus dem Ausland nach Hessen holen. Dafür habe ich mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Bund die Grundlage geschaffen.
hessenschau.de: Mit Ihrem Wackelkurs in der Asylpolitik, für die Sie zuständig sind, konnten Sie bisher auch nicht punkten, im Gegenteil. Erst haben Sie stationäre Grenzkontrollen abgelehnt, jetzt sind Sie doch dafür.
Faeser: Wir haben an keiner Stelle gewackelt. Wir haben mit dem neuen Koalitionsvertrag einen Neustart in der Migrationspolitik vorgenommen. Auf der einen Seite muss es humanitäre Verantwortung und mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine geregelte qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland geben. Auf der anderen Seite müssen wir die irreguläre Migration deutlich begrenzen. Die Menschen, die nicht hierbleiben können, müssen auch wieder zurückgeführt werden. Hier haben wir Erfolge, die Rückführungen sind um 27 Prozent gestiegen in diesem Jahr.
Ich habe in dem Bereich schon deutlich mehr erreicht als meine Vorgänger. Wir schaffen ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das die Kommunen auf Dauer entlasten wird. Ich bin die erste Innenministerin, die die kommunale Ebene bei wichtigen Gesprächen im Bund direkt mit an Bord genommen hat. Wahrscheinlich weil ich 30 Jahre Kommunalpolitik gemacht habe und die Nöte der Kommunen sehr gut kenne.
hessenschau.de: Knapp 8.000 Rückführungen gab es im ersten Halbjahr des Jahres in Deutschland, aber 54.000 abgelehnte Asylbewerber sind unmittelbar ausreisepflichtig. Und die Kommunen fühlen sich bei der Unterbringung alleine gelassen und erwarten mehr vom Bund.
Faeser: Und vom Land. Die meisten Briefe von Bürgermeistern und Landräten gehen an beide. Das wird weniger wahrgenommen. Die Kommunen haben ja recht. Sie können am wenigsten steuern. Deswegen finde ich wichtig, dass die Gelder, die vom Bund kommen, auch 1:1 an die Kommunen weitergegeben werden. Das ist hier in Hessen nicht erfolgt.
Die SPD ist hochmotiviert, alle in der Partei kämpfen.Zitat Ende
hessenschau.de: Hessens CDU-Finanzminister Michael Boddenberg rechnet anders: Unterm Strich habe das Land sehr viel mehr gezahlt.
Faeser: Aber nicht an die Kommunen. Auch die Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen hätten erweitert werden müssen, um die Kommunen zu entlasten.
hessenschau.de: Das passiert doch gerade, die Frankfurter Messe prüft, ob sie zusätzliche Plätze anbieten kann.
Faeser: Jetzt. Das kommt zu spät.
hessenschau.de: Fakt ist: Die CDU regiert seit 25 Jahren. Hat es nicht auch damit zu tun, dass sie ausgebuffter und kampagnenfähiger ist als die SPD nach 25 Jahren Opposition?
Faeser: Nach Corona ist es insgesamt für die Parteien schwieriger geworden, ihre Mitglieder wieder zu mobilisieren. Aber die SPD ist hochmotiviert. Ich erlebe gerade vor Ort, wie alle in der Partei wirklich sehr, sehr stark kämpfen.
hessenschau.de: In Hessen fehlt der SPD aber offenbar eine gut aufgestellte, schlagkräftige Zentrale. Sonst wären solche Pannen wie mit dem kommunalen Wahlrecht für Ausländer im Wahlprogramm vielleicht nicht passiert. Die Partei ist noch immer in zwei SPD-Bezirke Nord und Süd aufgeteilt.
Faeser: Starke Bezirke, die in Südhessen und Nordhessen jeweils tief verankert sind. Aber jetzt geht es darum, bis zum 8. Oktober alles dafür zu tun, dass wir nach 25 Jahren den Wechsel zu einer SPD-geführten Landesregierung schaffen.
hessenschau.de: Vielleicht müssen Sie die Probleme auch beim Personal suchen. Im Landtag wird es hinter Ihrem Fraktionschef Günter Rudolph irgendwann dünn. Ihr Vize-Fraktionschef Marius Weiß ist auch noch mit einer blöden Parkausweis-Affäre aufgefallen.
Faeser: Wir haben gerade in der Fraktion ganz starke Leute, auch sehr starke stellvertretende Fraktionsvorsitzende, starke Abgeordnete. Und wir haben sehr starke Kommunalpolitiker. Wir stellen ja sehr viele Oberbürgermeister in Hessen, Landrätinnen und Landräte.
hessenschau.de: Die einzige Chance, Ministerpräsidentin zu werden, haben Sie an der Spitze einer Ampelregierung. Gut sind die Aussichten aber nicht, und beliebt ist eine Ampel für Hessen laut hr-Hessentrend auch nicht.
Faeser: Die Wahlergebnisse in anderen Bundesländern zeigen, dass jetzt häufiger Dreierbündnisse notwendig sind. Entscheidend ist für mich nur eines: Die Sozialdemokratie muss so stark wie möglich werden, damit wir mit einer SPD-geführten Landesregierung die Alltagsthemen der Menschen nach vorne bringen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 25.09.2023, 19.30 Uhr
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