SPD kritisiert "Alarmismus" Justizminister hält Terroranklagen gegen Klima-Aktivisten für möglich
Im Streit über die Öko-Proteste der "Letzten Generation" fordert Hessens Justizminister Poseck eine härtere Gangart. Dass er Terror-Vorwürfe ins Spiel bringt, nennen Kritiker "populistisch" und "alarmistisch".
Sie kleben sich auf Straßen fest oder auch an Kunstwerken - wenn sie deren Schutzscheiben nicht mit Tomatensoße bekleckern. Die Protestmethoden der Klimaschützer von "Last Generation" erregen seit Monaten die Gemüter. Nach dem Tod einer Radfahrerin vergangene Woche in Berlin hat sich die Kontroverse um die Protestmethoden verschärft.
In Hessen hat sich am Montag Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) in die Debatte eingeschaltet. Und er hat damit heftige Kritik von mehreren Fraktionen der Landtagsopposition ausgelöst.
Denn Poseck fordert nicht nur eine Diskussion über härtere Strafen gegen die Aktionen. Er hält es "unter Umständen" auch für möglich, die Aktivisten als Terroristen zu bestrafen.
Warnung vor "Radikalisierungspotential"
Die Strafverfolgungsbehörden müssten das geltende Recht konsequent anwenden, teilte der Justizminister mit und fügte wörtlich hinzu: "Hierfür stehen Delikte von der Nötigung über den Widerstand gegen Einsatzkräfte bis unter Umständen auch zu terroristischen Straftaten zur Verfügung." Die Dimension der Proteste mache ein konsequentes Handeln des Staates erforderlich, sagte Poseck zur Begründung.
Blockaden dürften nicht hingenommen werden, wenn sie unzählige Menschen und auch Rettungswege beträfen, womit Lebensgefahr ausgelöst werde. Da es sich um ein "neues Phänomen mit weiterem Radikalisierungspotential" handele, müsse auch über Strafverschärfungen nachgedacht werden.
Er persönlich könne sich im Strafgesetzbuch eine Erweiterung des Deliktes "gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr" vorstellen, teilte Poseck mit. Ziel müsse es sein, deutlicher abzuschrecken und so eine weitere Eskalation zu verhindern.
Protestverschärfend?
Vertreter der oppositionellen Landtagsfraktionen SPD, FDP und Linke reagierten mit unterschiedlich akzentuierter Kritik auf die Äußerungen. Das "zweifellos vorhandene Radikalisierungspotenzial" müsse gewiss beobachtet werden, bestätigte SPD-Fraktionschef Günter Rudolph. Politische Entscheidungsträger wie der hessische Justizminister sollten aber "ihre Worte sorgfältig abwägen und der möglichen Radikalisierung auf Seiten der Klimaaktivisten nicht mit alarmistischer Rhetorik noch Nahrung geben". Das Strafgesetzbuch sehe für die Gesetzesverstöße der Klimaaktivisten angmessene Strafen vor. Die müssten "in vollem Umfang genutzt werden, bevor man über Strafverschärfungen nachdenke.
Ähnlich bewertete Marion Schardt-Sauer, justizpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Posecks Vorstoß. "Wenn die CDU nicht mehr weiter weiß, fordert sie Strafverschärfungen", sagte sie. Den Demonstranten müsse mit einer konsequenten Anwendung geltenden Strafrechts und mit Schadenersatzforderungen klar gemacht werden, dass die Ausübung von Freiheit Grenzen habe.
Dass Aktionen der Klimaaktivisten eventuell auch als terroristische Straftaten gewertet werden sollten, lässt den Linken-Landtagsabgeordneten Ulrich Wilken nach eigenen Angaben "sprachlos zurück". Er schlussfolgert: Der Justizminister wolle "Last Generation" behandeln "wie Terroristen von Al-Kaida oder NSU". Die Klimaschützer achten bei ihren Protesten stets auf den Schutz von Menschenleben, urteilt Wilken. Posecks Behauptung sei eine "populistische Erzählung ohne faktische Grundlage". Die Landesregierung sollte endlich das Anliegen der jungen Menschen ernst nehmen, statt sie zu kriminalisieren.
Ermittlungen und Zweifel
Die Debatte wird auch in der Bundespolitik geführt, nachdem am Montag vergangener Woche eine Radfahrerin in Berlin unter einem Betonmischer eingeklemmt wurde. Die Frau starb später. Die Feuerwehr beklagte rasch, ein Spezialfahrzeug zur Bergung sei mit Verspätung am Unfallort angekommen, weil ein "Last Generation"-Protest einen Stau verursacht habe. Die Polizei nahm Ermittlungen auf.
Die Klimaschützer selbst bestreiten den Vorwurf kategorisch und sehen sich als Opfer "öffentlicher Hetze". Der Unfallort sei zudem mehrere Kilometer von den Aktionsorten entfernt gewesen.
Die "Süddeutsche Zeitung" hatte unter Berufung auf einen internen Bericht am Freitag gemeldet, dass die Blockade nicht schuld an Verzögerungen zur Rettung der Radfahrerin gewesen sei. Die behandelnde Notärztin hatte demnach aus fachlichen Gründen den ursprünglich erwogenen Einsatz des im Stau steckenden Spezialfahrzeugs abgelehnt.
Eine Verletzte bei Frankfurter Protesten im Frühjahr
Mitglieder der "Letzten Generation" haben auch in Hessen wiederholt Straßen blockiert. Mitte April besetzten sie an mehreren Tagen Verkehrsknotenpunkte, klebten sich fest und vergossen ölige Flüssigkeit. Eine Frau stürzte und kam verletzt ins Krankenhaus. Die Blockaden führten zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Laut Polizei waren an sieben Tagen jeweils 400 Polizisten im Einsatz. Gegen 156 Beteiligte wurden Strafverfahren eingeleitet.
Sendung: hr-iNFO, 7.11.2022, 16 Uhr
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