Ein politisches Armutszeugnis
Der Lübcke-Untersuchungsausschuss hätte zu einem Schulterschluss der Demokraten führen können. Doch stattdessen dominierte das Parteiengezänk. Eine vertane Chance.
Der Mord an Walter Lübcke war ohne Frage eine Zäsur. Der erste rechtsextreme Mord an einem Politiker seit Beginn der Bundesrepublik. Der Schock war groß, die Bekenntnisse laut. Gemeinsam wollten alle Fraktionen aufklären. Und es vor allem besser machen als nach der Mordserie des NSU, bei der es im entsprechenden Untersuchungsausschuss nur Zank gegeben hatte.
Den aktuellen Ausschuss hielt die CDU zwar nicht für nötig, stimmte dem Antrag der Opposition aber zu. Ich frage mich natürlich, woher diese Zurückhaltung kam. Wollte die Union etwa nicht herausfinden, ob man den Parteifreund Lübcke hätte schützen können? Unwahrscheinlich, denn die CDU betont ja immer, dass keine andere Fraktion ein größeres Interesse an Aufklärung habe.
Parteipolitisches Kalkül stand im Vordergrund
Womöglich war aber die Sorge zu groß, der Ausschuss könnte eine unangenehme Wahrheit bringen. Die nämlich, dass man den Rechtsextremisten Stephan Ernst nicht aus den Augen verlieren und seine Akte nicht hätte löschen dürfen. Oder die, dass der Verfassungsschutz personell und fachlich lange miserabel aufgestellt war. Kurzum: Die unangenehme Wahrheit, dass die Sicherheitsbehörden nicht unfehlbar sind - und dass so etwas auch unter Führung von Unions-Innenministern passieren kann.
All das haben die Zeugenaussagen im Ausschuss nämlich deutlich gemacht. Und genau mit diesen Erkenntnissen hat sich die CDU sehr schwer getan. Die anderen Fraktionen allerdings auch. Wenn ich in den Sitzungen saß, dann hatte ich oft den Eindruck: hier geht es gar nicht um objektive Aufklärung, sondern parteipolitisches Kalkül.
Auf der einen Seite die CDU, die sich schon sehr früh festgelegt hat, dass der Mord nicht hätte verhindert werden können. Und auf der anderen Seite SPD und Linke, die in jedem noch so kleinen Detail den Beweis dafür sahen, dass die Behörden unter CDU-Führung versagt und der grüne Koalitionspartner bei allem unterwürfig zugeschaut habe.
Ein politisches Armutszeugnis
Zuletzt gipfelte dieser unsägliche Streit darin, dass sich die Parteien nicht auf einen gemeinsamen Abschlussbericht einigen konnten. Eine parteiübergreifende Festlegung, ob der Mord nun zu verhindern war oder nicht - am Ende unmöglich. Also gibt es jetzt vier Berichte statt einem. Schuld daran: natürlich jeweils die anderen. Und höchst wahrscheinlich der anlaufende Landtagswahlkampf.
Der Lübcke-Untersuchungsausschuss hatte die Chance, nach einer Tragödie einen politischen Präzedenzfall zu schaffen. Nämlich dass rechter Terror über Parteigrenzen hinweg vereinen kann und gemeinsame Lehren für die Zukunft gezogen werden. Stattdessen haben wir jetzt wieder gegenseitiges Fingerzeigen. In meinen Augen: ein politisches Armutszeugnis.
Sendung: hr-iNFO, 19.07.2023, 7.14 Uhr
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