Mega-Schuldenpaket Verfassungsrechtler geben FDP-Klage keine große Chance
Milliarden-Schulden und Grundgesetzänderungen: Die hessische FDP sieht durch das Mega-Finanzpaket des Bundes Rechte des Landtags verletzt. Eine Verfassungsklage wird nach Meinung von Experten aber scheitern.
Der abgewählte Bundestag hatte das geplante Mega-Schuldenpaket mit Sondervermögen für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz noch gar nicht beschlossen, da kündigte die FDP-Landtagsfraktion in Wiesbaden schon juristischen Widerstand an. Man werde Verfassungsklage vor dem hessischen Staatsgerichtshof erheben, sagten die Co-Fraktionschefs Wiebke Knell und Stefan Naas.
Per Eilverfahren dort will die FDP verhindern, dass die schwarz-rote Landesregierung der geplanten Änderung des Grundgesetzes am kommenden Freitag im Bundesrat zustimmt. Denn das Gesetzespaket sieht eine Aufweichung der Schuldenbremse auch in allen Bundesländern vor, und das ohne Beteiligung der Landtage. Die FDP, die an der Schuldenbremse festhalten will, sieht dadurch die Rechte der Länderparlamente verletzt.

Mit einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs wird am Donnerstag gerechnet. Der Marburger Jura-Professor Sebastian Müller-Franken räumt der FDP-Klage allerdings keine großen Chancen ein. Der Staatsrechtler sagte dem hr am Mittwoch auf Anfrage: Die Klage sei seiner Meinung nach gar nicht zulässig, weil die FDP nicht das Recht habe, für den Landtag auf diese Weise zu handeln.
Laut Müller-Franken ist die rechtliche Kritik der FDP aber auch in der Sache "ziemlich klar zu verneinen". Es gehe um eine Änderung des Grundgesetzes und nicht um eine des Landesrechts, die dem Bundestag zustehe und an der der Bundesrat mitwirken müsse.
FDP spricht von "Achterbahnfahrt"
Von einem "beispiellosen Eingriff in die Rechte der Länder" hatte am Vortag dagegen FDP-Fraktionschef Naas zur Begründung der Klage gesagt. Neben der schädlichen Aufweichung der Schuldenbremse würden Föderalismus und Gewaltenteilung ausgehebelt. Die Regelung des Grundgesetzes, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht, könne dafür als Rechtfertigung nicht herangezogen werden.
Die FDP verweist darauf, dass die Schuldenbremse schließlich per Volksabstimmung in der Landesverfassung festgeschrieben wurde. Vier weitere FDP-Landtagsfraktionen klagen in ihren Bundesländern. Federführend bei der Aktion sind die Liberalen in Nordrhein-Westfalen.
"Mit dem Grundgesetz und den Landesverfassungen wird hier Achterbahn gefahren", sagte Naas. Seine Amtskollegin Knell warf CDU und SPD vor, im Eilverfahren und auf Vorrat neue Schulden in bis zu vierstelliger Milliardenhöhe beschließen zu wollen. "Unsere Landtage sollen bewusst umgangen werden, weil die notwendigen Mehrheiten fehlen", sagte sie.
Kein Zwang zum Schuldenmachen
Der Marburger Verfassungsrechtsexperte Müller-Franken betont dagegen: Verglichen mit der alten Schuldenbremsenregelung werde der Handlungsspielraum der Länder nun sogar erweitert.
Dabei werde im Prinzip einfach die Schuldenbremse samt ihrer Folgen für die Länder ein Stück rückgängig gemacht, sagt Müller-Franken. Bei der damaligen Einführung sei nach eingehender Prüfung festgestellt worden, dass die Garantie der Bundesstaatlichkeit und somit die Rechte der Länder gewahrt blieben.
Genauso äußerte sich der Staatsrechtler Alexander Thiele von der BSP Business & Law School Berlin gegenüber dem hr. Die FDP-Klage habe "keinerlei Aussicht auf Erfolg", sagte er. Als der Bund den Ländern 2009 Neuverschuldung verboten habe, sei das ein "viel krasserer Eingriff" gewesen. Nun lockere der Bund das wieder. Außerdem müssten die Länder ja nicht zwangsweise Schulden aufnehmen.
Unterstützung ohne Zusammenarbeit
Auch die hessische AfD, die wie die FDP das Schuldenpaket im Bundestag ablehnte, wurde aktiv. Sie hat eine Sondersitzung des Landtags über die Folgen für Hessen beantragt.
Mindestens ein Fünftel aller Landtagsabgeordneten muss eine solche Sondersitzung wollen. Dazu fehlen der AfD mit ihren 25 Fraktionsmitgliedern zwei weitere Stimmen. Deshalb griff sie auf die Unterschriften von zwei früheren Parteimitgliedern zurück, mit denen sie offiziell nicht zusammenarbeiten will.
Es handelt sich um Sascha Herr und Maximilian Müger. Herr verließ die AfD, nachdem über seine Neonazi-Kontakte berichtet worden war. Müger trat aus, nachdem ein Video aufgetaucht war, in dem er zum Kampf gegen Migration aufforderte und dabei ein Sturmgewehr abfeuerte.
Lambrou nannte die Bundestagsentscheidung einen "international einzigartigen Irrsinn, von dem sich Deutschland wirtschaftlich und finanziell nicht mehr erholen wird". Außerdem hätten im Jahr 2011 bei der Volksabstimmung über die Verfassungsreform 70 Prozent der Hessen für die Schuldenbremse votiert. "Mehr Demokratieverachtung geht kaum", findet Lambrou.
Sondersitzung nicht schon diese Woche
Allerdings wird nicht dem Wunsch der AfD-Fraktion entsprochen, die Sondersitzung noch vor der Bundesratsentscheidung am Freitag anzusetzen. Sie wird vielmehr am Donnerstag der kommenden Woche stattfinden, wie ein Sprecher des Landtags mitteilte.
Denn dann tagt das Parlament ohnehin: Von Dienstag bis Donnerstag sind reguläre Plenarsitzungen vorgesehen. Die formell beantragte Sondersitzung der AfD mit dem einen Tagsordnungspunkt zur Schuldenbremse wird daher abends im Anschluss an eine reguläre Sitzung laufen.
Finanzminister sieht kein Verfassungsproblem
Nachdem die Hessen-CDU noch im Bundestagswahlkampf die Schuldenbremse verteidigt hat, spricht sich Parteichef und Ministerpräsident Boris Rhein nun für das Schuldenpaket aus. Sein Finanzminister Alexander Lorz (CDU) hatte vor einigen Tagen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des geplanten Gesetzes zurückgewiesen.
Auch in der Frage der Schuldenbremse gelte Artikel 31 des Grundgesetzes, sagte der frühere Jura-Professor Lorz. In dem Grundgesetzartikel heißt es: "Bundesrecht bricht Landesrecht."
Die FDP weist diese Argumentation zurück. Dass Bundesrecht Landesrecht breche, bedeute nicht, dass der Bund Landesrecht beschließen dürfe, sagte Naas.
Die Klage wollten die FDP-Fraktionen der beteiligten Länder noch am Dienstag einreichen. Unterstützt werden sie vom Verfassungsrechtler Simon Kempny. Der Jura-Professor lehrt an der Uni in Bielefeld.
Neuer Milliarden-Spielraum für Hessen
Nach Berechnungen von Finanzminister Lorz würde die gelockerte Schuldenbremse Hessen eine Neuverschuldung in Höhe von etwas mehr als einer Milliarde Euro jährlich erlauben. Auswirkungen auf die Finanzen des Landes und der hessischen Kommunen dürfte auch das beschlossene Sondervermögen für Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität haben. Von den 500 Milliarden Euro an Krediten sind 100 Milliarden Euro für die Länder vorgesehen.
Von diesem Schuldenpaket könne sich Hessen laut Finanzministerium rund 625 Millionen Euro jährlich ausrechnen. Das liefe über einen Zeitraum von zwölf Jahren. Die ursprünglichen Plänen von CDU und SPD hätten sogar noch mehr eingebracht: bis zu 750 Millionen Euro in zehn Jahren.
Bundesrat muss noch zustimmen
Das Mega-Schuldenpaket muss am Freitag auch im Bundesrat die Hürde von zwei Dritteln der Stimmen nehmen. Dort sind 46 der 69 Stimmen für die Grundgesetzänderungen nötig.
Landesregierungen, an denen in unterschiedlicher Konstellationen ausschließlich CDU, SPD und Grüne beteiligt sind, kommen auf 41 Stimmen. Dazu zählt Hessen mit seiner CDU/SPD-Regierung. Zusammen mit den sechs Stimmen aus Bayern wäre die Zwei-Drittel-Mehrheit gegeben. Die Koalition aus CSU und Freien Wählern kündigte am Montag ihre Zustimmung an.