Jahresbericht RIAS An jedem zweiten Tag ein antisemitischer Vorfall in Hessen
Die Meldestelle für antisemitische Vorfälle hat in Hessen im vergangenen Jahr 179 Vorfälle dokumentiert. Die meisten Fälle wurden in Frankfurt und Kassel registriert. Dabei fiel vor allem die documenta ins Gewicht.
Mit 179 erfassten Meldungen von Antisemitismus hat in Hessen im vergangenen Jahr im Schnitt an jedem zweiten Tag ein antisemitischer Vorfall stattgefunden.
Das geht aus dem ersten Jahresbericht des Recherche- und Informationszentrums Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) hervor, der am Donnerstag vorgestellt wurde. Zusätzlich dazu gebe es immer noch ein großes Dunkelfeld, sagte Projektleiterin Susanne Urban.
Neben einem Fall von extremer Gewalt kam es Urban zufolge unter anderem in drei Fällen zu Angriffen und in zehn Fällen zu einer Bedrohung. Zudem seien zwölf gezielte Sachbeschädigungen erfasst worden.
62 Fälle in Frankfurt, 52 in Kassel
Die meisten Vorfälle seien mit 62 in Frankfurt gemeldet worden, sagte Urban. Von den 52 in Kassel dokumentierten Fälle seien 38 im Rahmen der documenta erfasst worden. Bei der Weltkunstausstellung im Sommer 2022 richteten sich Antisemitismusvorwürfe unter anderem gegen das indonesische Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa und diverse Kunstwerke. "In Kassel entstand durch die Werke und die Debatten auf der documenta fifteen eine Gelegenheitsstruktur für Antisemitismus", erklärte die Historikerin.
Othering, Verschwörungserzählungen, Rechtsextremismus
- Dominant (71 Fälle) war Urban zufolge das sogenannte antisemitische Othering. "Damit werden Jüdinnen und Juden durch Handlungen, Worte und Bilder als fremd oder nicht zugehörig klassifiziert", so Urban. Im Othering mischten sich verschiedene abwertende Stereotype. Beispielsweise werde "Du Jude"als Beleidigung und Abwertung von Menschen verwendet, besonders in Schulen oder im Sportumfeld.
- Auch der israelbezogene und der Post-Shoah-Antisemitismus seien weit verbreitet gewesen. Letzterer bezeichnet eine Form, die sich gegen eine kritische Erinnerung an die NS-Verbrechen richtet - oder diese Erinnerung angreift. Dazu gehöre die Verharmlosung oder Leugnung des Holocaust.
- Hauptorte antisemitischer Vorfälle seien die Straße mit 34 Vorfällen und Bildungseinrichtungen mit 29 Vorfällen. Bei den klar zu benennenden Hintergründen lägen antiisraelischer Aktivismus (24 Fälle) sowie verschwörungsideologische Motive (20) vor rechtsextremen Zuordnungen (15). "Bei 103 Fällen konnte der politisch-weltanschauliche Hintergrund nicht benannt werden" so Urban.
Antisemitismusbeauftragter: Judenhass beginnt nicht mit Straftaten
Judenhass beginne nicht mit Straftaten, kommentierte der hessische Antisemitismusbeauftrage Uwe Becker den Bericht. Wo Vorurteile, Unwissenheit und antisemitische Stereotype zusammenfinden, werde ein Nährboden für Hass und Hetze gebildet.
Er ermutigte Betroffene und Menschen, die Fälle von Judenhass mitbekommen, diese auf jeden Fall zu melden. "Dies hilft, wirkungsvoll an dessen Bekämpfung arbeiten zu können."
Innenministerium: 107 antisemitische Straftaten
Laut dem hessischen Innenministerium wurden im vergangenen Jahr 107 antisemitische Straftaten erfasst. Dazu zählten zwei Gewaltdelikte, 71 Fälle von Volksverhetzung und sieben Beleidigungen. 15 Mal seien verfassungswidrige Kennzeichen verwendet worden.
92 der Straftaten wurden laut Ministerium dem Bereich der politisch rechts motivierten Kriminalität zugeordnet. Hinter sieben Fällen steht demnach eine ausländische Ideologie. Acht Straftaten seien keiner politischen oder religiösen Kategorie zuzuordnen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 24.08.2023, 16.45 Uhr
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