Proteste nach Justizreform Minister Poseck zu Israel: "Netanjahu-Regierung legt Axt an liberalen Rechtsstaat"

Während in Israel Zehntausende demonstrieren, sorgt die Verabschiedung eines Kernelements der umstrittenen Justizreform auch in Hessen für Bestürzung. Minister Poseck sieht die Demokratie in Gefahr. Der CDU-Politiker ist im Vorstand des deutsch-israelischen Juristenvereins.

Die israelische Polizei treibt Demonstranten auseinander, die den Eingang zum Parlament blockieren
Die israelische Polizei treibt Demonstranten auseinander, die am Montag den Eingang zum Parlament blockieren. Bild © picture-alliance/dpa
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Trotz monatelanger Proteste und viel Kritik der Opposition hat Israels Regierung ein Kernelement ihrer umstrittenen Justizreform durchs Parlament gebracht. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelanger Debatte am Montag für dem Gesetzentwurf. Demnach kann das Höchste Gericht künftig Regierungsentscheidungen nicht mehr als "unangemessen" ablehnen. Zahlreiche Experten befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte.

Zehntausende Menschen gingen aus diesem Grund auf die Straßen und demonstrierten. Medienberichten zufolge wurden landesweit am Montag mindestens 34 Demonstranten festgenommen, einige gewaltsam. Israelische Medien und Augenzeugen warfen der Polizei übermäßige Härte vor.

Poseck: "Schwächung der Justiz gefährdet Demokratie"

Roman Poseck (CDU), Justizminister von Hessen
Roman Poseck (CDU), Justizminister von Hessen Bild © picture-alliance/dpa

Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) verurteilte die Entscheidung: "Die Netanjahu-Regierung legt die Axt an den liberalen Rechtsstaat. Die Schwächung der Kompetenzen der Justiz gefährdet die Demokratie", twitterte Poseck am Dienstag. Seine Gedanken seien bei den vielen Menschen, "die für den Erhalt der hohen Qualität des Rechtsstaats in Israel eintreten".

Poseck ist Vorstandsmitglied der deutsch-israelischen Juristenvereinigung. Die Vereinigung fördert den Dialog zwischen israelischen und deutschen Juristen und will die rechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ausbauen.

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Historiker Mendel: "Gefahr der Korruption sehr real"

Nach Einschätzung des deutsch-israelischen Historikers Meron Mendel von der Frankfurt University of Applied Sciences stürzt die Justizreform Israel in die größte Zerreißprobe seit der Staatsgründung. Mendel sprach im Interview mit tagesschau.de von einem "Staatsstreich von oben".

Israel hat keine Verfassung und kein föderales System. Die Angemessenheitsklausel sei vielleicht das wichtigste Instrument der Justiz, um die Regierung zu kontrollieren und den Missbrauch von Macht zu verhindern. Das sei auch der Grund, warum die Regierung so viel aufs Spiel setze, um diese Gesetze über die Bühne zu bekommen.

"Die Gefahr der Korruption ist sehr real: Nicht umsonst steht der heutige Premier Benjamin Netanjahu wegen vier schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen seit drei Jahren vor Gericht", betonte der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank. "Seine Regierung will jegliche Standards von Rechtsstaatlichkeit und Transparenz abschaffen, damit sie sich selbst und ihre politisch Verbündeten ungehindert aus der Staatskasse bedienen können."

Israels Justizminister: "Korrektur des Justizsystems"

Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Die Befürworter der Justizreform argumentieren, dass Richter anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt würden. Sie seien nun unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen. Zudem werfen sie dem Höchsten Gericht immer wieder vor, eher "linke" Ansichten zu vertreten.

Netanjahu sagte, die sogenannte Angemessenheitsklausel sei verabschiedet worden, damit die "gewählte Regierung" ihre Politik "in Übereinstimmung mit der Entscheidung der Mehrheit der Bürger des Landes" umsetzen könne. Die Billigung des Gesetzes sei "ein notwendiger demokratischer Schritt". Israels Justizminister Jariv Levin sprach von einer "Korrektur des Justizsystems".

Opposition kündigt Petition an

Oppositionsführer Jair Lapid kündigte an, am Dienstag  beim Höchsten Gericht eine Petition gegen die "einseitige Aufhebung des demokratischen Charakters des Staates Israels" einreichen zu wollen. Lapid appellierte auch an die Reservisten der Armee, eine Entscheidung des Höchsten Gerichts über das Gesetz abzuwarten. Mehr als 11.000 von ihnen hatten angekündigt, nicht mehr zum Dienst zu kommen, sollte die Justizreform beschlossen werden.

Auch eine Nichtregierungsorganisation will laut Nachrichtenagentur AP eine Klage gegen das neue Gesetz vor dem Höchsten Gericht an.

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Deutsch-israelische Juristenvereinigung

Die israelisch-deutsche und die deutsch-israelische Juristenvereinigung sind seit 1989 im Rahmen von Juristentagungen in beiden Ländern tätig. Die Ziele der Vereinigungen sind, den Dialog zwischen israelischen und deutschen Juristinnen und Juristen zu fördern und die rechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern auszubauen. Ebenfalls verfolgen die Vereinigungen das Ziel der Bekämpfung des Antisemitismus. Mit insgesamt über 750 Mitgliedern handelt es sich um die größte und aktivste bilaterale Organisation von Juristinnen und Juristen zwischen Israel und jedem anderen Land der Welt. Die Juristenvereinigung warnte bereits in der Vergangenheit vor den Plänen der israelischen Regierung.

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Sendung: hr-info, 25.07.2023, 9 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Emal Atif, dpa