"Protest gegen Politik der Regierung" Hessen klagen in Karlsruhe für mehr Klimaschutz

Zehntausende Bürger und mehrere Umweltverbände reichen eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein: Die Bundesregierung solle ihr eigenes Klimaschutzgesetz besser umsetzen. Zwei Hessen erzählen, warum sie klagen.

Ein junger Mann sitzt auf einem Dach voller Solarpaneele und schaut ernst in die Kamera
Arvid Jasper aus Kassel. Bild © Stefan Venator (hr)
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Hessen klagen in Karlsruhe für mehr Klimaschutz

HS 16.09.20242
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Arvid Jasper packt gerne an. Der 30-Jährige aus Kassel baut Solarkraftwerke auf Balkone und Dächer. Er arbeitet in einem gemeinnützigen Verein, der Bürgern beispielsweise bei der Installation der Solarpaneele hilft.

Jasper engagiert sich bereits seit Jahren für den Klimaschutz. Doch er ist frustriert, wie er sagt, weil die Politik sich in diesem Bereich "nur in Trippelschritten" bewege.

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"Ich fürchte mich vor einer Gesellschaft, die aufgrund mangelnden Klimaschutzes richtig crasht: mit Stürmen, Überschwemmungen und zunehmenden Konflikten, Kriegen und Fluchtbewegungen", sagt der junge Unternehmer aus Kassel. Jasper hofft, dass es nicht dazu kommt, dass "wir viel zu spät mit richtig weitreichenden Maßnahmen radikalen Klimaschutz umsetzen müssen".

Angst vor eingeschränkter Freiheit

Denn dies könne die Freiheit einschränken, befürchtet Jasper. Deshalb hat er sich, so wie weitere zehntausende Menschen, der Klimaschutzklage der Umweltverbände Greenpeace und Germanwatch angeschlossen. Sie wollen die Klage am 16. September vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen. 

Er verstehe dies "auch als Protest gegen die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung und als ein wichtiges Mittel einer Demokratie". Schließlich überwachten die Gerichte die Politik und setzten so Leitplanken, sagt Arvid Jasper.  

Rückenwind gibt den Klimaklägern eine frühere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hat im Jahr 2021 anerkannt, dass Klimaschutz Verfassungsrang habe.

"Deutschland wird Ziele nicht erreichen"

Bei der Beschwerde jetzt geht es unter anderem um die Novelle des Klimaschutzgesetzes, die aus Sicht der Verbände verfassungswidrig ist. Die Ampel-Koalition beschloss, dass die CO2-Einsparziele nicht mehr wie bisher für jeden einzelnen Sektor wie Verkehr oder Gebäude und Wohnungsbau überprüft werden - und dies dann auch noch für längere Zeiträume, so dass Kritiker verzögerte Gegenmaßnahmen erwarten.

"Deutschland wird es bis 2030 nicht schaffen, weniger CO2 ausstoßen, als das Gesetz erlaubt", stellt Roda Verheyen fest. Die Rechtsanwältin und Richterin des Hamburgischen Verfassungsgerichts hat an der Beschwerde mitgearbeitet und ein Buch dazu geschrieben. Wenn Deutschland sein Klimaziel verfehlen sollte und zudem die Strom- und Gaspreise wegen steigender CO2-Abgaben in die Höhe schießen sollten, "wird es krass", befürchtet Verheyen: "Und am krassesten für diejenigen, die wenig Geld haben."

Eine Frau in türkiser Bluse schaut lächelnd in die Kamera
Die Rechtsanwältin Roda Verheyen hat an der Klimaklage gegen die Regierung mitgearbeitet. Bild © picture-alliance/dpa

Die Juristin, die sich auf Klimafragen spezialisiert hat, bot im Juni allen in Deutschland lebenden Menschen an, sie vor dem Bundesverfassungsgericht zu vertreten: in einer gemeinsamen Verfassungsbeschwerde "gegen die unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung und die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes (KSG)".

Dass zehntausende Bürgerinnen und Bürger mitklagen, sei "organisatorisch viel Arbeit" gewesen, sagt Verheyen. Der Klageweg sei auch “eine Art der Selbstermächtigung, um sich nicht ohnmächtig zu fühlen angesichts der Veränderungen, die durch den Klimawandel entstehen".

Kann man Kindern diese Welt zumuten?

Diese Veränderungen machen auch Andreas Tränkenschuh aus Frankfurt zu schaffen: "Ich überlege schon, wie meine Zukunft aussehen wird. Man stellt sich vor, man wohnt in einer Wohnung, später würde ich vielleicht gerne in einem Haus leben. Aber wie soll das alles funktionieren, wenn ich von Dürren höre, oder wie teuer alles werden soll?"

Tränkenschuh arbeitet als Bildungsreferent beim Entwicklungspolitischen Netzwerk Hessen (ENP). Er ist 30 Jahre alt und erzählt, dass er sich verstärkt die Frage stelle, ob er Kinder in diese Welt setzen wolle.

Ein junger Mann mit heller Wildlederjacke steht vor einem Gebüsch und lacht
Der Frankfurter Andreas Tränkenschuh klagt mit seiner Familie für besseren Klimaschutz. Bild © Andrea Tränkschuh

Der Frankfurter konsumiert bewusst, wie er sagt. Er engagiert sich bei Greenpeace und nimmt an Demonstrationen teil. Doch als Privatmensch habe das alles Grenzen, findet er: "Der Einzelne kann etwas beitragen, aber letztendlich nicht den großen Wurf hinlegen."

Zukunftsvision statt Schreckensszenario

Tränkenschuh will deshalb vor die höchste juristische Instanz in Deutschland ziehen. Die Klagebereitschaft steckt an: Auch seine Freundin klagt, ebenso sein Vater.

"Zukunftsklage" nennen die Organisationen die Verfassungsbeschwerde. Tränkenschuh wünscht sich für seine persönliche Zukunft eine positive Vision: "Wir reden viel über Verhinderung, nicht über das, was wir gewinnen können, wenn wir die Klimakrise als Krise annehmen und abschwächen. Noch haben wir die Möglichkeit dazu."

Redaktion: Stephan Loichinger

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de