Kein zusätzlicher Schutz für Naturwälder Neue Landesregierung stoppt Ausweisung von Naturschutzgebieten
Nach jahrelanger Vorbereitung unter grüner Federführung hat das neue CDU-geführte Landwirtschaftsministerium die Ausweisung von Naturwäldern zu Naturschutzgebieten gestoppt. Umweltschützer haben schlimme Befürchtungen.
Hessens Wäldern geht es schlecht - rund jeder zehnte Baum ist laut dem aktuellen Waldzustandsbericht stark geschädigt. Umso verwunderlicher hat eine Entscheidung des Landwirtschaftsministeriums in den Ohren des Naturschutzbundes (NABU) geklungen.
Das Ministerium - mit dem Regierungswechsel in Hessen kein grünes mehr, sondern ein CDU-geführtes - hat die ursprünglich geplante weitere Ausweisung von Naturwäldern als Naturschutzgebiete bis auf Weiteres gestoppt. Zahlreiche Naturwälder in Nord- und Südhessen seien davon betroffen: etwa Teile des Reinhardswalds im Kreis Kassel sowie Gebiete im Schwalm-Eder-Kreis, in der Rhön oder an der Bergstraße, so der NABU.
"Hessens zweitgrößtes Naturschutzgebiet wird infrage gestellt"
Ein entsprechender Erlass ist laut den Naturschützern vergangene Woche an die Regierungspräsidien in Kassel und Darmstadt gegangen. Das teilte der NABU nun in Wetzlar mit. Das Landwirtschaftsministerium bestätigte dem hr den Vorgang.
Der NABU Hessen zeigte sich in seiner Mitteilung über das Vorgehen "fassungslos". Der Landesvorsitzende Maik Sommerhage sagte: "Damit wird nicht nur Hessens zweitgrößtes Naturschutzgebiet im Reinhardswald infrage gestellt, sondern auch viele andere wertvolle Waldgebiete, die für eine nachhaltige Zukunft gesichert werden sollten." Im Reinhardswald sei bislang ein 1.293 Hektar großes Naturschutzgebiet vorgesehen.
CDU-Landwirtschaftsministerium: Niemand muss sich Sorgen machen
Das Landwirtschaftsministerium äußerte sich verwundert über die Kritik der Naturschützer. Es handele sich um einen "völlig normalen Vorgang, dass man zu Beginn einer neuen Legislaturperiode zunächst Vorhaben analysiere". Niemand müsse sich Sorgen machen.
Derzeit stelle man Dinge auf den Prüfstand: Dabei gehe es nicht um die Frage nach mehr oder weniger Naturschutz, sondern um Verfahrensfragen, um Fragen der Zuständigkeit und die Frage, ob immer mehr Bürokratie nötig sei, lautete die recht kryptische Antwort. "Wenn wir mit weniger Bürokratie ein Ziel erreichen können, dann muss man diesen Weg in Zeiten wie diesen auch gehen", hieß es weiter aus dem Haus des neuen Landwirtschaftsministers Ingmar Jung (CDU).
Grüne: "Vom Naturschutz verabschieden"
Für die umweltpolitische Sprecherin der Grünen, Vanessa Gronemann, ist die plötzliche Kehrtwende "ein wahnsinnig großer Fehler", wie sie dem hr sagte: "Wir verlieren damit wertvolle Jahre, weil dadurch irreparable Schäden entstehen könnten." Wenn es der erste Akt des neuen Ministers sei, das Erreichen der Schutzziele und die Ziele der Biodiversitätsstrategie infrage zu stellen, befürchtet Gronemann, dass er sich voll und ganz vom Naturschutz verabschieden möchte.
Damit die größeren Wälder dauerhaft unberührte Naturwälder bleiben, wollten die Grünen - als sie noch an der Regierung beteiligt waren - alle Flächen über 100 Hektar als Naturschutzgebiete ausweisen. Die Ausweisung sei der wirksamste und beste Schutz für die Natur und stärkt die Biodiversität in den hessischen Wäldern, sagte die damalige Umweltministerin Priska Hinz zu Amtszeiten.
NABU: Nur Naturschutzgebiete bieten Schutz
Das aktuelle Landwirtschaftsministerium beruhigt dagegen: Das Land habe entschieden, dass diese Waldflächen ausschließlich Zwecken des Naturschutzes dienten. "Das bleibt auch so", so ein Sprecher des Ministeriums. Aber tut es das wirklich?
Die Bezeichnung "Naturwald" sei lediglich eine "freiwillige Selbstverpflichtung des Landes", teilte der NABU mit. Das Fällen von Bäumen könne - ohne den rechtlichen Rahmen eines Naturschutzgebiets - jederzeit wieder aufgenommen werden.
Die Holznutzung werde in der Klimakrise vorangetrieben. Es könne daher durchaus passieren, dass Naturwälder wieder zu normalen Wäldern deklariert werden, um Holz aus ihnen zu entnehmen, so die Befürchtung der Naturschützer. Hingegen werde die Ausweisung als Naturschutzgebiet von der Oberen Naturschutzbehörde erlassen - das zu nachträglich ändern, sei eine viel größere Hürde.
Arbeit von drei Jahren umsonst
"Die Behörden haben die Naturschutzgebietsausweisung seit drei Jahren vorbereitet und fast abgeschlossen. Bei einem Ausweisungsstopp wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen", erklärte ein NABU-Sprecher. Das sei ein klares Alarmzeichen, dass Naturschutz im Wald in der neuen schwarz-roten Landesregierung keine große Rolle mehr spiele.
"Die Naturwälder sind vollständig im Landeseigentum, es sind also keine privaten Eigentümer betroffen. Welchen Hintergedanken hat die neue Regierung, wenn sie dieses Schutzprojekt nun so plötzlich stoppt", fragt sich der NABU-Vorsitzende Sommerhage.
Diese Wälder sind betroffen
Konkret betrifft die Nicht-Ausweisung als Naturschutzgebiet folgende Naturwälder: der Naturwald im Reinhardswald, das Naturwald-Schutzgebiet im Hohen Keller (Schwalm-Eder), die Hessische Schweiz bei Meinhard (Werra-Meißner), Wälder am Breiten Berg bei Haselstein sowie am Roten Moor (beides Rhön), Wälder am Naturschutzgebiet Mönchbruch von Mörfelden und Rüsselsheim, ein Naturwald bei Mörfelden-Walldorf (Groß-Gerau), Naturwälder am Melibocus und bei Bürstadt (beides Bergstraße) und die Erweiterung des Naturschutzgebiets Heegbachaue bei Messel (Darmstadt-Dieburg).
Besonders viel ändert sich zunächst aber nicht: Ein - mehr oder weniger - geschütztes Gebiet bleiben die Naturwälder schließlich, obgleich sie vorerst nicht mehr als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden sollen, wie zunächst unter Schwarz-Grün geplant.
Grünen-Politikerin Gronemann sagt: "Mein Eindruck ist, dass der Minister die gemeinsam vereinbarten Errungenschaften der schwarz-grünen Koalition wieder zurückdrehen will."