Neue Notunterkunft Geflüchtete im Lahn-Dill-Kreis wohnen in diesem Winter im Festzelt
Aus vielen Kriegs- und Krisengebieten kommen Menschen nach Hessen. Für die Kommunen ein Kraftakt: Sie wollen sie unterbringen, gleichzeitig aber nicht wieder Sporthallen dafür verwenden. Der Lahn-Dill-Kreis schlägt neue Wege ein.
"Die Not ist groß. Niemand weiß, wie viele Geflüchtete ab Januar kommen", sagt Stephan Aurand. Diese Ungewissheit mache allen hessischen Kommunen zu schaffen, berichtet der Sozialdezernent des Lahn-Dill-Kreises. Dabei sei die Lage schon jetzt angespannt, Aurand bittet um Unterstützung von allen denkbaren Seiten.
Im Lahn-Dill-Kreis, der nach Aurands Angaben jede Woche etwa 70 Menschen aufnimmt, soll den Winter über eine ungewöhnliche Notunterkunft für Entlastung sorgen: ein ehemaliges Festzelt auf dem Festgelände Finsterloh in Wetzlar. Vor wenigen Wochen wurde darin noch beim Oktoberfest in Herborn gefeiert und getanzt. Nun stehen darin 472 Betten für Asylsuchende bereit, die ersten 200 wurden an diesem Donnerstag bezogen.
"Haben uns Zeit erkauft"
Wer hier unterkommt, kommt aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und anderen Krisen- und Kriegsgebieten und sucht Asyl. Zwar diene das umfunktionierte Festzelt der Vollversorgung, rund um die Uhr stünden Sozialarbeiter bereit, es werde auch beheizt. Optimal sei es trotzdem nicht, sagt Projektleiter Nicolas Hartmann vom Sozialdezernat des Kreises. Er stellt klar: "Wir haben uns damit Zeit erkauft, nichts anderes. Unsere langfristigen Lösungen müssen andere sein."
Weil die festen Flüchtlingsunterkünfte restlos und zum Großteil mit Menschen aus der Ukraine, für die ein gesondertes Asylverfahren gilt, belegt sind, sah sich der Kreis zu dieser Übergangslösung gezwungen. Die Umwidmung des Festzelts koste alles in allem 3,7 Millionen Euro, schätzt Hartmann. Die Stadt Wetzlar habe das Festgelände bis Anfang März zur Verfügung gestellt.
Sporthallen können für Sport genutzt werden
Einen großen Vorteil hat die Notunterkunft allerdings: Durch die zusätzlichen Plätze in Wetzlar will der Kreis nicht mehr auf Sporthallen zur Unterbringung von Geflüchteten zurückgreifen müssen. Die Menschen, die zuletzt noch in der Halle der Comeniusschule in Herborn untergebracht waren, ziehen ins Festzelt um. "Wir haben uns ganz klar dagegen entschieden, den Kindern, die in der Pandemie schon auf Sport verzichten mussten, diese Möglichkeit weiter wegzunehmen", sagt Anne Peter-Lauff, Abteilungsleiterin für Soziales und Integration beim Lahn-Dill-Kreis. Ab Mitte Dezember soll die Halle der Comeniusschule wieder für Sport genutzt werden.
Für Projektleiter Hartmann hat die Unterkunft in Wetzlar auch grundsätzlich Vorzüge gegenüber einer Sporthalle: "Aus meiner Sicht ist das eine sehr humanitäre Geschichte. Weil wir den Geflüchteten hier ein größeres Gefühl von Sicherheit geben können." Wo in einer Halle Feldbett an Feldbett stehe, gebe es in dem Festzelt abgetrennte Zimmer mit je vier Etagenbetten und damit zumindest etwas Privatsphäre. Auch ein Ausflug ins nahegelegene Stadtzentrum oder in den Wald sei jederzeit möglich.
Leichtbauhallen in Haiger
Auch in Haiger baut der Lahn-Dill-Kreis angesichts des hohen Bedarfs eine provisorische Unterkunft auf. Seit Montag werden auf dem Paradeplatz Leichtbauhallen mit insgesamt rund 400 Betten errichtet. Mitten in der Stadt sollen ab 22. Dezember Geflüchtete leben können. "Wir sind in einer absoluten Not-Situation, da müssen wir Hilfe leisten, wo wir nur können", sagt Bürgermeister Mario Schramm (parteilos).
Bisher hält sich die Aufregung unter den Bürgerinnen und Bürgern über die geplante Notunterkunft in Grenzen - auch wenn diese mitten in der Stadt ist und dafür vorübergehend Parkplätze wegfallen. Bei einer hr-Umfrage äußerten die meisten Verständnis dafür, dass die Geflüchteten ja irgendwo leben müssten.
Für die Asylsuchenden sollen die Leichtbauhallen eine noch bessere Zwischenlösung als das Festzelt in Wetzlar sein. Dort gibt es gedämmte Wände und ein Thermodach. Auch deshalb will der Kreis die Hallen in Haiger sechs Monate lang nutzen. Was die Kreiskasse nach Angaben des Sozialdezernats mit etwa sechs Millionen Euro belasten wird.
Kreisverwaltung will dauerhaft mehr Plätze
Spätestens im Sommer möchten die Verantwortlichen aber eine langfristige Lösung finden. "Wir haben zwei Orte im Blick, an denen insgesamt bis zu 1.000 Menschen untergebracht werden können", sagt Projektleiter Hartmann. Näher will er sich dazu noch nicht äußern. Jedenfalls sollen es Unterkünfte sein, die dem Kreis für mindestens fünf Jahre zur Verfügung stehen.
Sendung: hr-iNFO, 01.12.2022, 16.41 Uhr
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