Oberbürgermeisterwahl in Kassel Amtsinhaber Christian Geselle will ohne Partei punkten

Christian Geselle möchte Kasseler Oberbürgermeister bleiben. Weil er sich mit seinen Parteikollegen von der SPD überworfen hat, steht er als unabhängiger Kandidat auf dem Wahlzettel. Er sieht darin einen Vorteil.

Christian Geselle Portrait. Auf dem Foto eine kleine Grafik mit einer blau eingefärbten Fläche (Umriss Stadt Kassel), dem Wappen der Stadt und einem Wahlkreuz.
Christian Geselle, Kandidat bei der OB-Wahl in Kassel Bild © Sina Philipps (hr)
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Nah an den Menschen, mit einem offenen Ohr für die Probleme vor Ort: So präsentiert sich Christian Geselle auf seinen Spaziergängen durch die verschiedenen Kasseler Stadtteile. In Harleshausen haben sich an diesem Tag rund 70 Menschen eingefunden, um ihn zu begleiten.

Es geht um die Geschichte des nordwestlichsten Stadtteils - und natürlich um den Wahlkampf. Der amtierende Oberbürgermeister mischt sich unter die Leute, erkundigt sich, wie es ihnen geht. Zum Ende des Spaziergangs wird er auch ein bisschen Werbung für sich machen.

Denn am 12. März wird seine Name wieder auf dem Stimmzettel stehen, neben denen von fünf weiteren Kandidaten und Kandidatinnen. 2017 hatte Geselle die Wahl im ersten Durchgang eindeutig gewonnen und hofft, nun wiedergewählt zu werden. Doch dieses Mal kandidiert er nicht mehr für die SPD: Nach einem parteiinternen Streit tritt er als unabhängiger Kandidat an.

Von der Polizei in die Politik

Vor seiner Zeit als Oberbürgermeister arbeitete Geselle als Polizist, Rechtsanwalt und Verwaltungsjurist. 2006 wurde er Stadtverordneter, 2013 wählte ihn die SPD-Fraktion in Kassel zu ihrem Vorsitzenden. Von 2015 bis 2017 war er Stadtkämmerer.

Zuletzt sorgte Geselle für Gesprächsstoff, weil er ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst eingeleitet hat. Hintergrund ist ein anonym verfasster Brief, der dem Rathauschef schwere Defizite bei der Mitarbeiterführung vorwirft. Auch von unangemessenem Verhalten gegenüber Kolleginnen und Kollegen ist die Rede. Geselle streitet die Vorwürfe ab, sein Anwalt bezeichnete sie als "haltlose Diffamierungen".

Bilanz nach rund sechs Jahren

Geselle zieht ein überaus positives Fazit seiner Zeit als Oberbürgermeister. Gemeinsam mit den Nachbargemeinden habe er etwa mit dem Sandershäuser Berg ein neues Gewerbegebiet auf den Weg gebracht, auch mit der Umstellung der Busflotte auf Elektro-Fahrzeuge sei begonnen worden. Außerdem habe er das Einwohner-Energie-Geld zur finanziellen Entlastung der Kasseler durchgesetzt. Letzteres war nicht unumstritten, da unklar war, wie der Zuschuss auf Sozialleistungen angerechnet wird.

Doch in seine Amtszeit fällt auch der Bruch der grün-roten Rathauskoalition im vergangenen Jahr. Unstimmigkeit herrschte bei mehreren Themen, am Ende spitzte sich der Streit um den Ausbau eines Radwegs zu. Daraufhin entzog Geselle dem Verkehrsdezernenten Christof Nolda (Grüne) wichtige Kompetenzen. Wenig später ließen die Grünen das Bündnis platzen. Seit Dezember regiert eine Jamaika-Koalition im Rathaus.

Das Problem mit der SPD

Im vergangenen Jahr hatte es nicht nur auf Koalitionsebene gekracht, auch innerhalb der SPD gab es Streitigkeiten. In der Folge tritt Geselle als unabhängiger Kandidat zur OB-Wahl an, die SPD stellt mit Isabel Carqueville eine eigene Kandidatin.

Auf die Frage, wie es um seine Parteimitgliedschaft steht und wie eine zukünftige Zusammenarbeit mit der SPD aussehen könnte, antwortet der amtierende Oberbürgermeister nicht. Der Unterbezirksvorstand der SPD kündigte bereits an, ein Parteiordnungsverfahren anzustoßen.

Unabhängigkeit als Vorteil?

Im Wahlkampf sieht Geselle seine parteiunabhängige Kandidatur als einen Vorteil: So könne er auch diejenigen Wähler von sich überzeugen, die ihm aufgrund seiner Parteizugehörigkeit bei der vergangenen Wahl keine Stimme gegeben hätten. Es sei letztlich eine Persönlichkeitswahl.

Eine weitere Amtszeit als Stadtoberhaupt würde für Geselle bedeuten, dass er es mit einer Koalition zu tun bekommt, in der seine Partei nicht vertreten ist. Als Hindernis sieht er das nicht, wie er betont: "Man muss in der Kommunalpolitik mit allen reden können. Politik lebt von Kompromissen." Geselle will sich - im Fall der Fälle - nach der OB-Wahl mit allen Parteien zusammensetzen und versuchen, sachorientierte Lösungen zu finden.

documenta - wie mit ihr in Zukunft umgehen?

In Geselles Amtszeit fällt auch der Antisemitismus-Eklat während der documenta. Als Aufsichtsratsvorsitzendem wurde ihm vorgeworfen, er habe die Vorwürfe ignoriert und sich zu lange vor Generaldirektorin Sabine Schormann gestellt. Geselle wies dies zurück. Dennoch räumte er ein, dass man nach der Weltkunstschau Fehler aufarbeiten müsse.

Trotzdem hält er an der documenta fest. Seiner Meinung nach gehört sie fest zur Stadt Kassel und soll auch weiterhin dort stattfinden. Das von der Stadt erworbene Ruruhaus schwebt ihm als mögliches documenta-Institut vor.

Vereine im Blick

Nach drei Jahren Pandemie ist Geselle die Stärkung von Vereinen ein großes Anliegen. "Das Allerwichtigste ist, den Zusammenhalt der Gesellschaft in den Vereinen bei den Menschen zu fördern." Ihre Arbeit sei sehr wichtig für ein gutes Miteinander in der Stadt. Er selbst ist Mitglied in mehreren Kasseler Vereinen. Politisch wolle er sie beispielsweise bei energetischen Sanierungen der Vereinshäuser oder der Umrüstung auf erneuerbare Energien unterstützen.

Geselle möchte nicht nur das Miteinander in der Stadt fördern, sondern auch die Sicherheit erhöhen, wie er erklärt. Das bedeutet für ihn auch die Ausweitung der Videoüberwachung in der Innenstadt. Dazu wurden bereits Leerleitungen verlegt.

Sichere Zukunft der Stadt

Am Ende des Stadtrundgangs durch Harleshausen ergreift Geselle das Wort. Er wolle in den kommenden Jahren die Verbindung des Stadtteils an den öffentlichen Nahverkehr verbessern. Das sei beispielsweise durch E-Busse denkbar. Auch sei ihm die Situation der Harleshäuser Feuerwehr bewusst, die eine neue Fahrzeughalle brauche. Hier wolle er bei der Suche helfen.

Dass Geselle auch ohne die eigene Partei im Rücken einige Unterstützerinnen und Unterstützer hat, zeigt der zahlreiche Beifall der Anwesenden bei der Veranstaltung im Stadtteil. Ob es am Ende für eine weitere Amtszeit im Rathaus reicht, entscheidet sich bei der anstehenden Wahl, die spannend zu werden verspricht.

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Sendung: hr-iNFO, 08.03.2023, 10.40 Uhr

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Quelle: hessenschau.de