Parteifreunde gründen Initiative für Wiederwahl von Geselle OB-Wahl droht SPD in Kassel zu zerreißen
Prominente Kasseler SPD-Mitglieder unterstützen die unabhängige Kandidatur von Christian Geselle bei der Oberbürgermeisterwahl. Sie stellen sich damit gegen die offizielle SPD-Kandidatin - und gegen die eigene Partei.
Die jüngere Geschichte der Kasseler SPD ist eine Geschichte der zunehmenden Eskalation. Nach wochenlangen Querelen verkündete Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) im September 2022, zur OB-Wahl am 12. März als unabhängiger Kandidat anzutreten. Er gehe davon aus, dass er Unterstützung aus der SPD erfahre, schrieb Geselle damals. Lange sah es nicht so richtig danach aus. Das hat sich geändert.
Vor kurzem hat sich eine "Wählerinitiative zur Unterstützung der Wiederwahl Christian Geselles zum Oberbürgermeister der Stadt Kassel" gegründet. Mit dabei auch einige aktive SPD-Mitglieder. Diese machen damit Wahlkampf gegen die eigene Partei - denn die SPD hat mit Isabel Carqueville eine eigene Kandidatin aufgestellt.
Was ist das für eine Gruppe von Sozialdemokraten, die sich da gegen die eigene Partei stellt?
Gut 200 Unterstützer in der "Wählerinitiative Christian Geselle"
Rosa-Maria Hamacher, ehemals stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, ist neben dem ehemaligen Landtagsabgeordneten Uwe Frankenberger (SPD) im Vorstand der Wählerinitiative. Einen Interessenskonflikt sieht sie dabei nicht. Die neu gegründete Initiative sei keine Revolte gegen die eigene Partei, so Hamacher, es ginge bei einer Oberbürgermeisterwahl um weit mehr, nämlich "um das Wohl der Bürgerinnen und Bürger in einer Stadt". Mehr als 200 Menschen unterstützten die Initiative bereits, vor allem durch ehrenamtliches Engagement, aber auch durch Spenden. Sie organisieren Veranstaltungen, hängen Plakate auf und betreuen Wahlkampfstände.
Sie habe in der Stadtgesellschaft eine breite Unterstützung für Christian Geselle wahrgenommen, sagt Hamacher. Da die Partei sich für eine andere Kandidatin entschied, sei das für sie der Schritt gewesen, diese Unterstützung zu organisieren und sich für Geselle einzusetzen. Ob sie damit die Spaltung in der Kasseler SPD vorantreibe, möchte sie nicht beantworten. Es gehe darum, wer der geeignete Kandidat oder Kandidatin für das Amt des OB sei. Wie sich das in der Partei wieder zusammenfüge, müsse man danach schauen.
SPD-Chef: Kandidatur ist "Angriff auf die eigene Partei"
Wenig Verständnis erfährt die Wählerinitiative von Parteichef Ron-Henrik Hechelmann. Man könne parteiintern einen eigenen Standpunkt haben, so Hechelmann. Wenn dieser aber keine Mehrheit finde, sollte man sich nicht dagegen stellen. Das sei die Überzeugung der meisten SPD-Mitglieder, sagt Hechelmann, denn "nur dann ist man gemeinsam stark". Die Kandidatur Geselles wertet er "als Angriff auf die eigene Partei".
Vier Ortsvereine drängten zuletzt auf einen Parteiausschluss von Geselle. Ein solcher Schritt sei aber nicht seine Entscheidung, so der Parteichef. Darüber müssten die Parteigremien beschließen. Der Unterbezirksvorstand habe einstimmig ein Parteiordnungsverfahren beschlossen, jetzt sei es an der Schiedskommission, zu entscheiden, was passiert.
Kasseler Ex-Oberbürgermeister Hilgen unterstützt Carqueville
Das Vorgehen der Genossen in der Wählerinitiative sei schädlich für die Partei, sagt auch Bertram Hilgen (SPD). Hilgen war von 2005 bis 2017 Oberbürgermeister in Kassel und ist damit der direkte Vorgänger von Christian Geselle, der ab 2015 das Amt des Stadtkämmerers innehatte. Statt gegen die eigene Kandidatin zu arbeiten, müsse man einen Mehrheitsbeschluss annehmen, so Hilgen. Doch man sehe schon in der Stadtverordnetenfraktion, wie es derzeit laufe: "Da stimmt jeder ab, wie er will, unabhängig davon, was die Fraktion beschlossen hat. Wer soll das noch ernst nehmen?"
Sein dringender Appell an die Genossen: Sie sollten noch einmal darüber nachdenken, Geselle zu unterstützen. Er selbst werde Carqueville wählen. Auf der gleichen Linie seien auch seine beiden SPD-Amtsvorgänger, die ehemaligen Oberbürgermeister Hans Eichel und Wolfram Bremeier, sagt er.
Politologin: "Könnte sein, dass Geselle als Gewinner hervorgeht"
Für die Politologin Ursula Birsl von der Philipps-Universität Marburg sind innerparteiliche Zerwürfnisse und unabhängige Kandidaturen nicht ungewöhnlich, letzteres sei durch die Direkwahlen von Landräten und Oberbürgermeistern in den Kommunalverfassungen angelegt. "Ein prominentes Beispiel aus dem vergangenen Jahr ist Boris Palmer in Tübingen", führt sie aus. "Er hat als Unabhängiger kandidiert und seine Mitgliedschaft bei den Grünen ruhen lassen."
Das Gezerre schade dabei eher der Partei als dem Kandidaten. Eine genaue Prognose wagt die Politologin nicht, nur so viel: "Christian Geselle ist tief verankert in Kassel, er ist auch sehr beliebt, er hat den Amtsbonus", sagt sie. "Deswegen könnte es gut sein, dass er unter dem Strich als Gewinner hervorgeht, auch wenn er mehr Gegenkandidatinnen und -kandidaten als etwa Boris Palmer hat."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 13.01.2023, 19.30 Uhr
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