Umstrittene schwarz-rote Reformpläne Kommunen dürfen Bürgerbeteiligung einschränken
Weniger Bürgerbegehren, höhere Hürden für Kleinstparteien: So will die CDU/SPD-Koalition den Kreisen, Städten und Gemeinden in Hessen das Regieren leichter machen. Kritiker argwöhnen: Jetzt soll durchregiert werden.
Ob Bundes- oder Landesregierung, ob Landtag oder Stadtparlament: Politisch gab es eindeutigen Zuspruch für eine neue Straßenbahn durch Wiesbaden. Aber das letzte Wort hatte ein Bürgerbegehren.
Mit Hilfe dieses Instruments direkter Demokratie stoppten Initiativen vor vier Jahren den großen Plan für die Citybahn von Mainz über Wiesbaden bis in den Rheingau. Kein Einzelfall. Geht es nach der CDU/SPD-Landesregierung wird das in Zukunft bei vielen Infrastrukturprojekten nicht mehr möglich sein.
Der Einschnitt in bisherige Mitbestimmungsrechte von Bürgerinnen und Bürger ist Teil einer geplanten Reform des Kommunalrechts in Hessen. "Wir wollen Handlungsfähigkeit und Spielräume der Kommunen erhöhen", sagte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) am Dienstag in Wiesbaden. Es gehe auch um weniger Bürokratie.
"Realisierung nicht gefährden"
Die Pläne zur Novellierung der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) stellte Poseck eine Woche vor der ersten Debatte des Landtags vor. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU und SPD vereinbart, zukünftig sollten "Bürgerbegehren wichtige Infrastrukturprojekte in ihrer zügigen Realisierung nicht gefährden".
Der Verein "Mehr Demokratie" bewertete die Pläne bereits Ende August als unvertretbaren Einschnitt in die Bürgerbeteiligung. Nach seiner Schätzung könnte mehr als jedes zehnte Bürgerbegehren künftig entfallen. Es sei ein falsches Signal. Denn in Zeiten von Politikverdrossenheit sei eigentlich mehr direkte Demokratie nötig.
Die AfD-Fraktion im Landtag sieht es ähnlich. Bernd-Erich Vohl, ihr kommunalpolitischer Sprecher, klagte am Donnerstag über einen "Angriff auf eine wesentliche Partizipationsmöglichkeit von Bürgern“.
Poseck lässt diese Kritik auch deshalb nicht gelten, weil Hessen nicht allein dastehe. In anderen Bundesländern wie Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gebe es entsprechende Regelungen schon.
Poseck: Mittel gegen lähmende Zersplitterung
Den ebenfalls oppositionellen Landtagsfraktionen von Grünen und FDP geht der Teil der Reform zu weit, der Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen die Arbeit laut Poseck erleichtern soll. So sollen Kommunalparlamente schon mit einfacher Mehrheit ihre Verkleinerung beschließen können. Bislang ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig.
Vor allem soll ein geändertes Auszählverfahren kleinsten Parteien und Gruppierungen erschweren, schon mit vergleichsweise geringer Stimmenzahl Mandate zu bekommen. Statt des Hare/Niemeyer-Verfahrens sollen Stimmen nach dem D´Hondt-Verfahren in Mandate umgerechnet werden.
Zu viel Vielfalt im Römer?
"Wir wirken der oft lähmenden Zersplitterung entgegen", sagte Innenminister Poseck dazu. Als Beispiel, wie die Handlungsfähigkeit der Parlamente darunter derzeit leide, nannte der CDU-Politiker unter anderem die aktuelle Situation in Frankfurt.
93 Sitze verteilen sich dort auf 13 Fraktionen. Sechs Gruppierungen von der Europaliste bis zur Gartenpartei haben bei der Kommunalwahl im Jahr 2021 jeweils ein Mandat erhalten - und das bei Wahlergebnissen zwischen 0,8 bis 0,6 Prozent. Eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es bei Kommunalwahlen nicht.
Eine solche Sperrklausel für Parlamente in den Kommunen einzuführen: Sogar das hat die Regierung laut Poseck erwogen. Aber verfassungsrechtliche Bedenken überwogen.
Geht es nach der CDU und SPD, erhalten Ein-Mann-Gruppierungen in den Parlamenten künftig auch nicht mehr den Status von Fraktionen. Das kann sie finanzielle Unterstützung und Rederechte kosten.
FDP: Wollen die Großen durchregieren?
Die FDP hat den Verdacht, CDU und SPD wollten mit der Änderung des Auszählverfahrens offenbar auf kommunaler Ebene möglichst kritiklos durchregieren. "Demokratische Vielfalt sieht anders aus. Die Pläne der Landesregierung testen die Grenzen der Verfassung", sagte Moritz Promny, ihr innenpolitischer Sprecher.
Zahlen über die mutmaßlichen Auswirkungen der Reform auf die Mandatsverteilung sei Poseck schuldig geblieben. In einer Kleinen Anfrage verlangt die FDP von der Regierung deshalb Zahlen darüber, wie sich die Reform bei der Kommunalwahl vor dreieinhalb Jahren ausgewirkt habe.
Grüne gegen "Geschenke"
Von einem "Angriff auf die Rechte kleinerer Parteien" sprach auch Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner. Das von CDU und SPD gewünschte Auszählverfahren sei veraltet und werde für den Landtag auch nicht verwendet. "Völlig aus der Zeit gefallen", ist laut Wagner das Vorhaben, Landräten, Oberbürgermeisten und anderen Hauptamtlichen künftig "als Geschenk" nach einer Wiederwahl acht Prozent mehr Gehalt zu zahlen.
Beim Frankfurter Oberbürgermeister mache das mehr als 1.000 Euro monatlich aus. CDU und SPD sei das Gespür für die aktuelle Lage verloren gegangen, sagte Wagner dazu. Er verwies dabei darauf, dass wegen der angespannten Haushaltslage die Erhöhung der Besoldung für Landesbeamte gerade teilweise verschoben wurde.
Städte- und Gemeindebund zufrieden
Zustimmung erhielt die Landesregierung für die Reform dagegen vom Hessischen Städte- und Gemeindebund, der 400 Kommunen vertritt. "Bei Infrastrukturprojekten haben wir sehr umfangreiche Abwägungsprozesse", sagte Geschäftsführer Johannes Heger. Bei Bürgerbegehren einfach mit Ja oder Nein zu entscheiden, werde der Komplexität nicht gerecht.
Auch die Gehaltserhöhung für wiedergewählte Amtsträger verteidigte Heger. Angesichts der Herausforderungen solcher Tätigkeiten sei das angebracht.