Jahresrückblick Politik Bouffier-Ära beendet, Linke geschockt, Feldmann abgewählt
Der alte Ministerpräsident ging, ein neuer kam. Zwei SPD-Oberbürgermeister überwarfen sich mit ihrer Partei. Mehrere Minister haben keine Lust mehr. Ein Rückblick auf das politische Jahr 2022 in Hessen.
Zwar wird erst im Herbst 2023 ein neuer Landtag gewählt - die CDU hat die Weichen dafür aber schon im abgelaufenen Jahr gestellt, indem sie Ministerpräsident Volker Bouffier durch Boris Rhein ablöste. Bundesweit Schlagzeilen machte ein SPD-Politiker, dem Rhein vor zehn Jahren im Kampf um das Amt des Oberbürgermeisters von Frankfurt unterlegen war. Und dann gab es noch die Corona-Krise, die im Lauf des Jahres zunehmend in den Hintergrund rückte.
Januar
26. Januar: Ein im Zusammenhang mit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke angeklagter 66-Jähriger wird vom Verdacht der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Das Landgericht Paderborn sieht es nicht als erwiesen an, dass er dem Rechtsextremisten Stephan Ernst die Pistole verkauft hatte, mit der dieser Anfang Juni 2019 den CDU-Politiker erschoss.
Februar
2. Februar: Die Landesregierung lockert die Corona-Regeln. So entfällt 2G im Einzelhandel und in der Gastronomie, wonach nur Geimpfte und Genesene Zutritt hatten. Schrittweise werden bis Ende März die meisten anderen Corona-Regeln aufgehoben. Seitdem gilt nur noch eine Maskenpflicht für bestimmte Bereiche wie Krankenhäuser oder Busse und Bahnen.
25. Februar: Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) kündigt an, dass er sich Ende Mai von seinem Amt zurückziehen wird. Als seinen designierten Nachfolger präsentiert er den bisherigen Landtagspräsidenten und früheren CDU-Minister Boris Rhein.
März
7. März: Seit bald einem Jahr beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Landtags mit möglichen Verfehlungen von Ermittlungsbehörden und Polizei vor dem Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 und am Tatabend selbst. Nun nimmt ein Sachverständiger die Arbeit der Polizei in Schutz. Die erste Streife sei schnell vor Ort gewesen und habe viel Gutes zur Gefahrenabwehr getan, sagt er. Kurz darauf verweigert die in der Tatnacht verantwortliche Oberstaatsanwältin ihre Aussage über die Obduktionen der Opfer. Deren Angehörige hatte diese kritisiert, weil sie darüber nicht informiert worden seien.
April
7. April: Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) wird erstmals von seiner eigenen Partei zum Rücktritt aufgefordert für den Fall, dass das Landgericht Frankfurt eine Anklage gegen ihn zulässt. Es geht um Korruptionsvorwürfe rund um die AWO-Affäre. Feldmann lehnt einen Rückzug ab, kündigt aber an, bei der OB-Wahl 2024 nicht mehr kandidieren zu wollen.
15. April: Die Linke in Hessen wird erschüttert von schweren Vorwürfen wegen sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch gegen Parteimitglieder. Der Landesvorstand zeigt sich schockiert und bittet wenig später die Betroffenen um Verzeihung. Die Partei will Strukturen schaffen, an die sich Betroffene in ähnlichen Fällen in Zukunft wenden können.
Mai
23. Mai: Äußerungen von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) heizen Spekulationen an, Nancy Faeser könnte als SPD-Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl im Herbst 2023 ihr Amt als Bundesinnenministerin vorzeitig abgeben. "Ich bin mit voller Kraft Innenministerin", erklärt Faeser daraufhin. Konkreten Fragen nach ihrer politischen Zukunft weicht sie auch später mit dem Hinweis aus, sie fülle ihr Amt voll aus.
31. Mai: Die Ära Bouffier ist vorbei: Boris Rhein wird im Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Er bekommt sogar mehr Stimmen, als die schwarz-grüne Koalition im Landtag hat. Zugleich wird die CDU-Politikerin Astrid Wallmann als erste Frau zur Landtagspräsidentin gewählt. Im hr-Interview direkt nach der Wahl bezeichnet Rhein den Klimaschutz als "zentrales Zukunftsthema".
Juni
1. Juni: Im Rechtsstreit mit dem türkischen Moscheeverband Ditib um den gestoppten islamischen Religionsunterricht erleidet die Landesregierung eine Niederlage vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Das Land durfte demnach den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in Kooperation mit Ditib im Jahr 2020 nicht aussetzen. Mit Beginn des neuen Schuljahrs wird der Unterricht dann wieder in dieser Form erteilt.
18. Juni: Die Bundestagsabgeordnete Mariana Harder-Kühnel aus Gelnhausen sichert sich beim Parteitag der AfD in Riesa (Sachsen) einen der drei Stellvertreterposten der Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel. Die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach aus Frankfurt erreicht ein solches Amt knapp nicht.
22. Juni: Der Nachwuchs der Hessen-CDU erntet bundesweite Kritik: Auf ihrem Landestag spielt die Junge Union den umstrittenen Mallorca-Schlager "Layla". Die Jusos halten ihr daraufhin vor, Sexismus zu verharmlosen.
Juli
1. Juli: Im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Lübcke-Mord sagt eine ehemalige Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes aus: Sie sei dagegen gewesen, den späteren Lübcke-Mörder Stephan Ernst bei der Beobachtung nordhessischer Neonazis ganz vom Radar zu nehmen. Doch vergeblich: Von Juni 2015 an durfte an den "Fall Ernst" niemand in der Verfassungsschutzbehörde mehr ran.
2. Juli: Boris Rhein übernimmt auch den Vorsitz der hessischen CDU. Auf einem Landesparteitag in Rotenburg erhält er 97,96 Prozent der Delegiertenstimmen.
14. Juli: Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung leitet die Abwahl Peter Feldmanns ein. Doch der Oberbürgermeister nimmt das Votum nicht an. Ein Bürgerentscheid wird auf den Weg gebracht. Am 6. November sollen die Frankfurterinnen und Frankfurter abstimmen. Die Hürden für eine Abwahl liegen wegen des Quorums von 30 Prozent hoch.
20. Juli: Die hessische FDP geht mit einem neuen Spitzenkandidaten in die Landtagswahl 2023. Dazu bestimmt die Partei Stefan Naas. Der 48-Jährige soll statt des Fraktionsvorsitzenden René Rock ins Rennen gehen. "Wir brauchen jetzt Fortschritt statt Durchschnitt", sagt Naas.
August
25. August: Der Mordfall Lübcke ist rechtskräftig abgeschlossen. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe bestätigt die lebenslange Freiheitsstrafe für Stephan Ernst wegen Mordes an dem CDU-Politiker, aber auch den Freispruch des zweiten Angeklagten Markus H. vom Vorwurf der Beihilfe. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte den Rechtsextremisten Ernst im Januar 2021.
31. August: Uwe Becker (CDU), Antisemitismusbeauftragter der schwarz-grünen Landesregierung, will das Buch von AfD-Politiker Björn Höcke auf den Index bringen. Höcke gab darin vor Jahren Auskunft über sein rechtsextremes Weltbild. Anfang September teilt die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz in Bonn mit: Das Buch Höckes komme nicht auf die Liste. Zwar wirke es auf eine "sozialethische Desorientierung" junger Menschen hin. "Im konkreten Einzelfall" überwögen aber die Grundrechte Höckes.
September
18. September: In der Kasseler SPD eskaliert der Streit um Koalitionsgespräche. Einen Monat zuvor hat Oberbürgermeister Christian Geselle seiner Partei ein Ultimatum gesetzt: Der Parteivorsitzende und die Co-Fraktionsvorsitzende sollten zurücktreten, Gespräche mit der CDU wieder aufgenommen werden, um eine Jamaika-Koalition im Kasseler Rathaus zu verhindern. Mitte September schließlich verkündet Geselle, er wolle bei der OB-Wahl im März 2023 als unabhängiger Kandidat antreten. Die Kasseler SPD nominiert schließlich Isabel Carqueville als Kandidatin.
Oktober
17. Oktober: Innenminister Peter Beuth (CDU) kündigt an, bei der Landtagswahl 2023 nicht mehr für ein Mandat zu kandidieren. Nach mehr als zwei Jahrzehnten als Abgeordneter sei es an der Zeit, einem neuen Kandidaten die Gelegenheit zu geben, "eigene Ideen einzubringen und eigene Impulse zu setzen", sagt der 54-Jährige.
29. Oktober: Ein Jahr vor der Landtagswahl und ein halbes Jahr nach dem Missbrauchsskandal in den eigenen Reihen wählt die hessische Linke ein neues Führungsduo: Delegierte auf dem Parteitag in Dietzenbach machen die 61 Jahre alte Landtagsabgeordnete Christiane Böhm und den 28 Jahre alten Attac-Campaigner Jakob Migenda zu gleichberechtigten Co-Landesvorsitzenden.
November
6. November: Peter Feldmann wird per Bürgerentscheid als Frankfurter Oberbürgermeister abgewählt. Knapp 202.000 Frankfurterinnen und Frankfurter votieren dafür. Das sind 95,1 Prozent der abgegebenen Stimmen und deutlich mehr, als für das Quorum (30 Prozent der Wahlberechtigten) nötig gewesen wären.
23. November: Seit diesem Tag müssen sich Menschen nach einem positiven Coronatest nicht mehr in Isolation begeben.
25. November: Die Grünen-Kandidatin für die anstehende OB-Wahl in Frankfurt, Manuela Rottmann, will zum Jahresende ihr Amt als Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium aufgeben. Sie wolle sich "ganz auf den Wahlkampf für das Amt der Oberbürgermeisterin" konzentrieren.
Dezember
5. Dezember: Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) stellen das Programm "Hessen steht zusammen" vor". Damit will das Land die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der dadurch steigenden Energiepreise mildern. Bis zu 200 Millionen Euro sollen Bedürftigen und kleinen Unternehmen zugute kommen sowie in die Förderung von Vereinen und Photovoltaikanlagen fließen.
9. Dezember: Auch Umweltministerin Priska Hinz und Sozialminister Kai Klose (beide Grüne) wollen bei der kommenden Landtagswahl nicht mehr für ein Abgeordnetenmandat kandidieren. Beide wollen künftig Pläne abseits der Politik verfolgen. Kurz vor Weihnachten folgt mit Europaministerin Lucia Puttrich (CDU) der vierte angekündigte Rücktritt, nachdem Innenminister Beuth schon früher seinen Rückzug angekündigt hat.
20. Dezember: In Kassel unterzeichnen Grüne, CDU und FDP einen Koalitionsvertrag. Erstmals reagiert damit ein Jamaika-Bündnis in der nordhessischen Großstadt. Das grün-rote Bündnis zerbrach im Sommer.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 26.12.2022, 19.30 Uhr
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