Innenminister warnt vor "hochgefährlichen Entwicklungen" Verfassungsschutz registriert mehr Gewalttaten von Rechtsextremen und Islamisten

Rechtsextreme, Islamisten, russische Spione, linke Militante: Demokratie und Sicherheit stehen laut hessischem Verfassungsschutzbericht von mehreren Seiten unter wachsendem Druck. Innenminister Poseck pocht auf mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden.

Poseck
Innenminister Roman Poseck (CDU) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts Hessen 2023 Bild © picture-alliance/dpa
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Einmal im Jahr stellen der hessische Innenminister und der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) den aktuellen Bericht der Behörde vor. In der jüngeren Vergangenheit nannten sie stets den Rechtsextremismus an erster Stelle, zuvor war es lange Zeit der Islamismus.

Auf ein Risiko-Ranking ließ sich der seit Januar amtierende Innenminister Roman Poseck am Montag so nicht ein. Eineinhalb Wochen nach dem mutmaßlich islamistischen Messer-Attentat von Solingen machte der CDU-Politiker bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für 2023 in Wiesbaden klar: Aus Sicht der Sicherheitsbehörden ist die Lage aus mehr als einem Grund "angespannt".

Denn die Zahl der Straf- und Gewalttaten von Islamisten und Rechtsextremisten ist in Hessen gleichermaßen spürbar angestiegen. "Ich halte nichts davon, Bedrohungen gegeneinander auszuspielen. Im Gegenteil: Die aktuelle Zeit ist durch ein außergewöhnliches Zusammentreffen verschiedener hoch gefährlicher Entwicklungen gekennzeichnet", sagte der Innenminister dazu.

"Demokratie nicht weit von Kippunkt entfernt"

Der Jahresbericht, den er mit LfV-Präsident Bernd Neumann präsentierte, zeigt laut Poseck eine "gestiegene Herausforderung" durch den Islamismus. Gleichzeitig sei der Rechtsextremismus noch immer "die größte Gefahr für die Demokratie".

Videobeitrag
hs 02.09.2024
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Einen Tag nach den Landtagswahlerfolgen der AfD in Sachsen und Thüringen fügte der CDU-Politiker hinzu: "Die voranschreitende Radikalisierung der AfD, die der Verfassungsschutz in einigen Bundesländern bereits als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat, hat meines Erachtens einen Anteil daran."

Die Wahlergebnisse für zwei als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD-Landesverbände machten deutlich "dass unsere Demokratie nicht weit von einem Kippunkt entfernt ist".

TikTok-Video als "alarmierender Tiefpunkt"

Als "alarmierenden Tiefpunkt“ wertete der Minister dabei das TikTok-Video des hessischen Landtagsabgeordneten Maximilian Müger, über das der hr am Freitag berichtete. Der AfD-Mann habe den Eindruck erweckt, Migrationspolitik mit der Waffe betreiben zu wollen.

Obendrein kommt es laut Poseck zu einer "zunehmenden Radikalisierung" in der linksextremistischen Szene. In Folge des Hamas-Angriffes auf Israel sei auch der Antisemitismus "wieder erschreckend sichtbar geworden".

Und schließlich hat es der Verfassungsschutz nach Angaben von LfV-Präsident Neumann durch den Krieg Russlands in der Ukraine mit einer ganz neuen Bedrohung zu tun bekommen. Wegen russischer Spionage, Propaganda mit Fake-News und drohenden Sabotageakten habe die Behörde die Spionageabwehr intensiviert.

Forderung nach mehr Instrumenten bekräftigt

"Unser Rechtsstaat geht mit Härte und Konsequenz gegen jede Form des Extremismus vor", sagte der Minister.  Angesichts der angespannten Sicherheitslage bekräftigten er und der Verfassungsschutzchef aber die Forderung nach mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden.

Roman Poseck und Bernd Neumann präsentieren den Verfassungsschutzbericht, beide stehen vor dem Schriftzug "Kein Raum für Extremismus"
Innenminister Roman Poseck (CDU, links) und Bernd Neumann, Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Bild © picture-alliance/dpa

So müsse die Speicherung von IP-Adressen erlaubt werden, um Terroranschläge zu verhindern. Sicherheit dürfe nicht durch Datenschutz ausgebremst werden, sagte Poseck. Ein schärferes Waffenrechts, die Abschiebung ausländischer Straftäter und eine Begrenzung der irregulären Migration seien weitere Bausteine.

Zu einem notwendigen sicherheitspolitischen Gesamtpaket gehört seiner Meinung nach auch, dass der Bund die Möglichkeiten der Nachrichtendienste ausweite, um eigene Erkenntnisse zu erlangen. "Wir müssen uns unabhängiger von ausländischen Nachrichtendiensten machen", sagte der CDU-Politiker.

Die Schwerpunkte des Verfassungsschutzberichts im Einzelnen:

  • Islamismus: Die Zahl der registrierten Straftaten auf diesem Gebiet vervierfachte sich 2023 von 27 auf 146. Leicht stieg die Zahl der mutmaßlichen Islamisten an: auf knapp 3.900. Dass in Frankfurt wie in Hamburg jeweils Zentren für Islamische Kultur wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten worden sei, bezeichnete Poseck als starkes Zeichen im Kampf gegen die Gegner der offenen Gesellschaft sowie gegen den Versuch, "unser Land zu unterwandern" und Kalifate zu errichten. Auch die Anschlagsgefahr durch Terrorgruppen wie den Islamischen Staat sei weiterhin hoch.
  • Rechtsextremismus: Von den insgesamt 13.110 Menschen, die als Extremisten eingestuft sind, gelten 1.775 als rechtsextrem. 900 von ihnen, also jedem Zweiten, wird laut Verfassungsschutzbericht Gewalt zugetraut. 1.445 Straf- und Gewalttaten aus diesem Lager bedeuten einen deutlichen Anstieg (+ 37 Prozent) und einen Höchststand im Zehn-Jahres-Vergleich. LfV-Präsident Neumann macht in der Neo-Nazi-Szene mit aggressiver Rhetorik verbundene "Gewalt- und Umsturzphantasien" aus. Als Vordenkerin nutze die Neue Rechte die Migrationsdebatte, um Ängste und Ressentiments zu schüren.
  • Reichsbürger: Statt 1.100 stehen inzwischen schon 1.200 Menschen in Hessen unter dem Verdacht, Reichsbürger zu sein, die den Staat kategorisch ablehnen. Das Spektrum reiche von Anhängern von Verschwörungstheorien bis hin zu "hoch gefährlichen und waffenaffinen Extremisten". Sie seien eine ernste Bedrohung. Hessen setze alles daran, sie zu entwaffnen.
  • Spionageabwehr: Sie fordert den hessischen Verfassungsschutz laut seinem Chef Neumann so stark wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Der Erfolgsdruck des russischen Geheimdienstes sei groß, an kriegsrelevante Informationen zu gelangen und falsche pro-russische Narrative über den Krieg zu verbreiten. Der LfV befürchtet aber auch Sabotage gegen die Verkehrsinfrastruktur sowie das Ausspähen von Putin-Gegnern.
  • Linksextremismus: 2.600 Menschen ordnete der Verfassungsschutz 2023 als linksextrem ein, etwas weniger (-50) als noch im Vorjahr. Aber auch hier stieg laut Bericht die Zahl der registrierten Straftaten binnen eines Jahres an, von 79 auf 138. Der Verfassungsschutz hält zudem mit 720 Linksextremisten insbesondere aus der Autonomen Szene deutlich mehr Menschen als zuvor (+ 120) für gewaltbereit. Die zunehmende Bereitschaft etwa zu Brandanschlägen bekamen demnach vor allem AfD und Burschenschaften zu spüren.
  • Antisemitismus: Hier wurden 347 Delikte verzeichnet, ein Anstieg um mehr als das Vierfache. Viele Straften seien auf Protestveranstaltungen gegen die anhaltende Reaktion Israels Armee auf den Hamas-Angriff begangen worden. Poseck erneuerte seine Forderung, die Leugnung des Existenzrechts Israels unter Strafe zu stellen. LfV-Chef Neumann betonte: Judenfeindlichkeit sei in den verschiedensten extremistischen Lagern festzustellen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de