Videos vor Gericht gezeigt Reichsbürger-Prozess in Frankfurt: Ein "Prinz" wünscht sich ein Reich
Der mutmaßliche Rädelsführer Heinrich XIII Prinz Reuß stand am 24. Tag der Hauptverhandlung erneut im Mittelpunkt. Videos und Schriftstücke legen nahe, dass der Angeklagte tief in die Ideenwelt der "Reichsbürger" eingetaucht war.
Der "Fürst" wirkt ernst, aber nicht unbedingt souverän. Wie jemand, der es nicht gewohnt ist, in eine Kamera zu sprechen. Steif sitzt er im Trachtenjanker hinter einem schweren Holztisch, vor ihm ein kleiner Stapel Blätter und ein Siegelstempel. Im Hintergrund prangt auf einer Schwarz-Rot-Gelben Fahne das Wappen des Fürstenhauses Reuß.
Das Video strahlt eine Atmosphäre von Gediegenheit aus. Der "Fürst" plant eine - aus seiner Sicht - historische Proklamation. Als Fürst "ad interim" des Fürstentums Reuß jüngerer- und "Reichsverweser" des Fürstentums Reuß älterer Linie werde er "den Reuß'schen Volksstamm und die indigenen Völker der deutschen Staaten" gegen "alle Feinde im In- und Ausland sowie in kosmischen Sphären" verteidigen.
Kraft dieser und weiterer Proklamationen, so seine Überzeugung seien die 1918 unrechtmäßig aufgelösten Fürstentümer wieder als "Bundesstaaten im Deutschen Reich" hergestellt. Soweit, so bizarr.
Videos zeigen einen anderen Prinz Reuß
Der "Fürst" ist nicht wirklich ein Fürst, immerhin wurde der Adel in Deutschland bereits vor 104 Jahren abgeschafft. Er ist auch kein "Prinz", selbst wenn er von seinen Anhängern meist so bezeichnet wird und den einstigen Titel als Bestandteil seines Familiennamens führt. Im Moment ist Heinrich XIII. Prinz Reuß vor allem eines: Angeklagter im Frankfurter Reichsbürgerprozess.
Dort sitzt er, eingerahmt von seinen Anwälten, Mitangeklagten und deren Verteidigerinnen und Verteidigern hinter einem schmucklosen weißen Tisch, der die Anklagebank ersetzt. Verantworten muss er sich wegen des Vorwurfs der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die immerhin trägt zumindest in Anklageschrift und Medienberichterstattung seinen Namen: Gruppe Reuß - ganz ohne "Fürst" und "Prinz."
Am mittlerweile 24. Prozesstag vor dem Frankfurter Oberlandesgericht steht erstmals die Gedankenwelt des mutmaßlichen Rädelsführers der - laut Anklage - verhinderten Putschistentruppe im Mittelpunkt der Beweisaufnahme. Mehrere Videos - darunter die eingangs erwähnten Proklamationsmitschnitte - werden vorgeführt.
Was sie vermitteln, ist das Bild eines Angeklagten, der - entgegen den Beteuerungen seiner Verteidiger - tief in die Gedankenwelt der sogenannten Reichsbürger eingetaucht war.
Rechtsextreme Verschwörungserzählungen
Erste Hinweise darauf gibt ein bis heute auf Youtube abrufbarer Mitschnitt eines Auftritts von Prinz Reuß beim "Worldwebforum" 2019 in Zürich - einem Großevent für selbsternannte "Business-Leader".
15 Minuten lamentiert dort Prinz Reuß über das Schicksal seiner Familie, deren Grundbesitz von "deutschen Kommunisten" enteignet worden sei. Er bezeichnet den Adel als "Dorn im Auge der sogenannten Demokratien", bezichtigt "Freimaurer", "Hochfinanz" und namentlich die jüdische Bankiers-Dynastie der Rothschilds Revolutionen und Kriege finanziert zu haben, um sich unliebsamer Monarchien zu entledigen, die ihren Interessen im Wege gestanden hätten.
Hitler und der zweite Weltkrieg sei ebenso von der Hochfinanz "durchfinanziert" worden wie die kommunistische Oktoberrevolution in Russland 1917. Entsprechend handele es sich bei den heutigen Staaten - insbesondere der Bundesrepublik - nicht etwa um souveräne Länder, sondern um "Verwaltungskonstrukte", die den Zwecken dieser "Hochfinanz" dienten.
Kernelemente der Reichsbürgerideologie
Prinz Reuß lässt bei diesem Auftritt kaum eine rechtsextreme Verschwörungserzählung aus. Zwar verweisen seine eigenen Verteidiger und die Rechtsbeistände anderer Angeklagter darauf, dass der Vortrag auf Englisch gehalten wurde und die deutsche Synchronisation in dem Youtube-Video "ungenau" und stellenweise "schlicht falsch" sei - doch auch das Rede-Manuskript, das auf dem Computer von Prinz Reuß gefunden und am Dienstag verlesen wurde, nimmt sich keinen Deut besser aus.
Im Gegenteil: Es vertieft die antisemitischen Verschwörungsideen noch und erweitert sie um weitere Fantastereien, wie etwa die angebliche "Kanzlerakte", die jeden deutschen Regierungschef zu Gehorsam gegenüber den USA, Großbritannien und Frankreich verpflichte und außerdem festlege, dass die Alliierten bis 2099 die "Hoheit über die Medien" in Deutschland ausüben würden.
Verweise auf die Reichsbürgerideologie finden sich schließlich auch in den Proklamationsvideos, die im September 2020 aufgezeichnet wurden, und den dazugehörigen Dokumenten. Etwa ist darin die Rede davon, den "anhaltenden Kriegszustand seit 1914" zu beenden, der "mangels gültiger Friedensregelung" fortbestehe.
Brief an Reichsbürger-Vordenker
Einer breiten Öffentlichkeit wurden die Videos und die in Frakturschrift verfassten Erklärungen von Prinz Reuß nie bekannt. In einem Schreiben an den Berliner Psychiater Klaus Maurer - das in Reuß' Frankfurter Büro gefunden wurde - erklärt der "Fürst ad interim" dies mit Sorgen um die eigene Sicherheit.
Gleichzeitig bittet er Maurer um eine Einschätzung zu einer heiklen rechtlichen Frage: Nämlich ob mit seinen Proklamationen zur Wiederherstellung der Fürstentümer Reuß als Teilstaaten des deutschen Reiches auch "das Reich" an sich wieder wiederhergestellt sei und er als dessen Repräsentant auftreten dürfe - beispielsweise gegenüber den USA und Russland.
Klaus Maurer gilt als führender Vordenker der Reichsbürger-Szene. Aus seiner Feder stammt das Buch "Die BRD-GmbH". Für Aufsehen sorgte er zuletzt 2022, als bekannt wurde, dass er in tausenden Gerichtsprozessen als psychiatrischer Gutachter eingesetzt wurde - auch in Hessen. Ob der Brief von Reuß an Maurer jemals abgeschickt wurde, ist unklar.
Gegenüber einem ausgewählten Freundeskreis scheint Reuß indes mit seinem Traum vom eigenen Reich nicht ganz so zurückhaltend gewesen zu sein. Unter einer ebenfalls aufgefundenen "Gästeliste" aus dem Oktober 2022 haben etwa 20 Zeugen der Proklamation unterschrieben. Ob ihnen die Videos vorgeführt wurden oder Prinz Reuß seine Proklamation wiederholte, lässt sich derzeit nicht sagen.
Taktisches Unverständnis
Die Verteidigung von Prinz Reuß reagierte am Dienstag vorerst gelassen auf die Vorführung der Videos. Man behalte sich vor, sich zu einem späteren Zeitpunkt dazu zu äußern, erklärte Anwalt Roman von Alvensleben. Er gab jedoch zu bedenken, dass solche Proklamationen auch "eine politische Provokation" sein könnten. Zudem betone sein Mandant in den Erklärungen immer wieder seinen Wunsch nach Frieden, so Alvensleben. "Das passt nicht ganz zum Gewaltvorwurf".
Andere Verteidiger zogen es indes vor, ihrem - vermeintlichen - Unverständnis Ausdruck zu verleihen. Jochen Lober, Anwalt der angeklagten Ex-AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann etwa, kann sich laut eigenem Bekunden weder erklären, "wie das alles zusammenpassen soll" noch, was die Beweisaufnahme vom Dienstag mit den Tatvorwürfen zu tun habe. Ganz so als wäre es im Strafprozess unüblich, das geistige und politische Umfeld von Angeklagten unter die Lupe zu nehmen.
Olaf Klemke, Verteidiger des Mitangeklagten Michael F., der als rechter Szeneanwalt mit Erfahrung im NSU-Prozess gilt, zeigt sich derweil erstaunt, dass die Proklamationen von Prinz Reuß vor einer Schwarz-Rot-Gelben Fahne vorgetragen wurden. "Ich hätte da doch eher Schwarz-Weiß-Rot erwartet", sagt er mit leicht spöttischem Unterton. Tatsächlich war die Schwarz-Rot-Gelbe Trikolore allerdings offizielle Flagge beider Fürstentümer Reuß - im Deutschen Reich.