Untersuchungsausschuss zur Entlassungsaffäre Schulleiter macht Ex-Staatssekretärin Vorwürfe und bedauert ihren Rauswurf

Mit Angaben eines Schulleiters begründete Hessens SPD-Wirtschaftsminister Mansoori den umstrittenen Rauswurf seiner Staatssekretärin Messari-Becker. Nun sagte der Lehrer im Untersuchungsausschuss zur Entlassungsaffäre aus.

Die frühere Staatssekretärin Lamia Messari-Becker steht mit ihrer Anwältin im Plenarsaal des Landtags
Ex-Staatssekretärin Lamia Messari-Becker mit ihrer Anwältin und dem Ausschussvorsitzenden Marius Weiß im Landtag. Bild © picture-alliance/dpa

Er hätte die Aussage verweigern können. Doch darauf hat ein Darmstädter Schulleiter am Freitag im Landtag in Wiesbaden verzichtet. Warum, wurde rasch klar. Er wollte loswerden, dass auch er ein Opfer der Affäre sei, die verhandelt wurde.

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Schulleiter wirft Ex-Staatssekretärin Messari-Becker Rufmord vor

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Der 38-Jährige ist einer der Schlüsselzeugen in einem Untersuchungsausschuss zur Entlassung der parteilosen Bau-Professorin Lamia Messari-Becker als Staatssekretärin. SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori hatte sie nach nur sechs Monaten im Amt nach einem Elterngespräch an der Schule entlassen und ihr öffentlich ein "nicht hinnehmbares Fehlverhalten" unterstellt. Das gründete auf Angaben des Schulleiters.

In der Befragung äußerte der Pädagoge schwere Vorwürfe gegen Messari-Becker, deren Vorgehen per öffentlich gewordener Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn eine "perfide Strategie" sei. Gleichzeitig sagte er: "Ich bedauere außerordentlich, was Frau Messari-Becker widerfahren ist. Ich habe zu keinem Zeitpunkt von Fehlverhalten gesprochen und keine Maßnahmen und Konsequenzen gefordert."

Zum Spielball geworden?

Über Medien beklagte er sich ebenfalls, warf Journalisten "perfide Fragen" vor. Das zielte nicht zuletzt gegen den hr. Zu Fragen von hessenschau.de zu seinem Vorgehen hatte er sich nicht äußern wollen. Aber auch am Vorgehen der Politik mit ihm übte der Schulleiter Kritik - und das nicht nur in Anspielungen.

"Es geht nie um die Sache. Es geht immer nur um persönliche Interessen" – so beschrieb er, dass er aus seiner Sicht in der Affäre zum Spielball wurde, obwohl er doch ganz korrekt gehandelt habe. Ihm und seiner Familie habe die Sache sehr zugesetzt.

Bericht brachte alles ins Rollen

Seine Sicht der Dinge: Mit seinem Bericht ans Kultusministerium, der die Entlassung in Gang brachte, habe er lediglich Schaden von der Schule abhalten wollen. Denn er habe Sorge gehabt, das Elterngespräch könne auf politischer Ebene noch eine Rolle spielen.

Der Schulleiter zu dem, was er im Bericht nahegelegt hatte: Er habe sich in einem Elterngespräch über die Abi-Prüfung ihrer Tochter von der Staatssekretärin unter Druck gesetzt gefühlt, eine Note zu verbessern.

Die 53-Jährige habe Titel und Posten ins Spiel gebracht und auch wiederholt gesagt: "Ich bin eine Person des öffentlichen Interesses. Ich erwarte eine Exit-Tür im Rahmen des rechtlich Möglichen."

Aus diesem Satz leitete der Schulleiter ein Drängen auf eine bessere Note ab. Messari-Becker und auch ihre Tochter, so geht es aus der Dienstaufsichtsbeschwerde hervor, bestreiten die Darstellung vehement. Der Satz oder drohende Hinweise auf den Regierungsposten seien nicht gefallen.

Der eine Satz und mehr als eine Variante

Der junge Fachlehrer, um dessen Benotung es ging, will den Satz so oder so ähnlich wie sein Chef aber gehört haben. Auch er sagte am Freitag, er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt.

Der erfahrene dritte Lehrer, der bei der Prüfung Protokoll führte, will indirekt Druck verspürt haben. Das mit der "Exit-Tür" und dem "rechtlich Möglichen“ fiel demnach ohne eine Anspielung Messari-Beckers, sie sei ein VIP. Sie habe vielmehr zu Beginn gesagt, als "Person des öffentlichen Interesses" wolle sie eigentlich keinen juristischen Streit über die Note.

Damit widersprach der Lehrer dem Zitat in der Form, in der es Mansoori als Grund für die Entlassung heranzog, nachdem der Schuleiter es der Büroleiterin des Ministers so telefonisch bestätigte. Zu keiner Zeit will der Direktor mit seinem Handeln Böses gegen Messari-Becker im Schilde geführt haben. "Ich will nicht als derjenige gelten, der Spaß daran hat, anderen Menschen zu schaden", sagte er in seinem Schlusswort.

Angst vor Beschwerden aus der Regierung

Nach seiner Darstellung hatte er bei einem zufälligen Zusammentreffen während einer Veranstaltung einer Abteilungsleiterin des Kultusministeriums von dem Elterngespräch erzählt. Erst auf deren Initiative hin habe er Tage später den Bericht verfasst, der bewusst keine Beschwerde gewesen sei.

Er schilderte sein Handeln vielmehr als vorbeugende Maßnahme - für den Fall, dass Ärger drohe. Denn immer häufiger setzten Eltern ihre berufliche Stellung als Mittel ein, um etwas für ihre Kinder durchzusetzen. Auch politisch wird demnach versucht, Druck zu machen.

Gereizter Wortwechsel

Welche politischen Reaktionen er denn in diesem Fall befürchtet habe, wollte Grünen-Politiker Sascha Mayer wissen. Er habe Angst vor einer Beschwerde beim Kultusministerium gehabt, sagte der Schulleiter. Und vor einer "konkreten Intervention von oben".

FDP-Obmann Oliver Stirböck hielt dem Schulleiter vor, dass es eine solche politische Intervention ja gar nicht gegeben habe. Mit dem Abgeordneten lieferte sich der Schulleiter dabei ein gereizten Wortwechsel, weil er Unterstellungen in den Fragen des Politikers ausmachte.

Der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) wies den Zeugen daraufhin, dass die Fragen zulässig seien. Und Politiker Stirböck betonte: Er wisse, dass diese Sache keinen Gewinner habe. Es gehe im Ausschuss nicht um ihn, den Lehrer, sondern um Vorgänge in der Regierung.

Der Schulleiter hatte zuvor bereits bestätigt, dass das Vorgehen nach dem Elterngespräch dem offiziellen Gang der Dinge entsprach: Der Ehemann der Ex-Staatssekretärin nahm gemeinsam mit der Tochter und einem Begleiter Einsicht in die Prüfungsakte. So hatte es Messari-Becker nach Aussage eines der im Ausschuss vernommenen Lehrer während des Elterngesprächs auch angekündigt.

Ungewöhnliche Telefonate

In der Vernehmung des Schulleiters ging es auch darum, welche Rolle SPD-Minister Mansoori und seine Büroleiterin in ihren Kontakten mit der Schule spielten. Das ist im Ausschuss von zentraler Bedeutung, weil Grüne und FDP dem SPD-Politiker neben Rufmord auch vorwerfen, er habe seiner nicht mehr gewollten Spitzenbeamtin hinterhergeschnüffelt.

Bereits vor der Entlassung war in Wiesbaden bekannt, dass es an der Spitze des Ministeriums erhebliche Spannung gab. Es war Anfang 2024 mit Antritt der schwarz-roten Koalition neu formiert worden. Auf der einen Seite Mansoori und sein erster Staatssekretär Umut Sönmez, die beide seit Juso-Zeiten eng verbunden sind. Auf der anderen Seite die parteilose Professorin. Sie gilt als enorm selbstbewusst, der Schulleiter beschrieb sie als "präsente Persönlichkeit".

Der Pädagoge sagte, was der hr schon berichtet hatte: Die Büroleiterin Mansooris und er führten mehrere direkte Telefonate, obwohl das Wirtschaftsministerium für ihn nicht zuständig ist.

Mit dem ungewöhnlichen Vorgehen folgte der Schulleiter nach seiner Darstellung einer Aufforderung von Kultus-Staatssekretär Manuel Lösl (CDU) und der zuständigen Abteilungsleiterin. Die Telefonnummer des Lehrers soll Staatskanzleichef Benedikt Kuhn (CDU) an Mansooris Büro vermittelt haben.

Widerspruch gegen Protokolle

Was die Büroleiterin des Wirtschaftsministers über den Inhalt der Telefonate protokollierte, bestritt der Schulleiter vor dem Untersuchungsaussschuss allerdings in wichtigen Teilen: So widersprach er der Darstellung, er habe von sich aus im Wirtschaftsministerium angerufen. Er habe dort auch nicht angegeben, sich von Messari-Becker am Rande einer Abi-Veranstaltung wegen der Note bedrängt gefühlt.

Anders als von der Mitarbeiterin des Wirtschaftsministeriums festgehalten, will er auch nicht gesagt haben, er wolle die Vorwürfe gegen Messari-Becker auf höchster Ebene platzieren, weil es ein anderes Niveau habe, wenn sich der Staatskanzleichef darum kümmere. Er kenne Kuhn gar nicht, er sei auch nicht Mitglied der CDU oder einer anderen Partei.

Schwarz-Rot: Lehrer glaubwürdig

Am Ende des Tages waren sich die Regierungsparteien CDU und SPD einig: Glaubhafte Zeugenaussagen hätten den Vorwurf des unangemessenen Verhaltens der Ex-Staatssekretärin eindeutig bestätigt.

SPD-Obfrau Lisa Gnadl befand: Mansoori habe gar keine andere Wahl als die Entlassung gehabt, "um Rufschaden von seinem Ministerium und von der Landesregierung als Ganzes abzuwenden". CDU-Obmann Holger Bellino betonte, Messari-Becker habe sich laut Akten auch in anderen Situationen "unglücklich und sogar unangemessen" verhalten. Ihr Verhalten schade dem Ansehen von Politikern.

Beweise für ein Fehlverhalten fehlen nach Meinung der Opposition aber immer noch. Im Gegenteil, befand Grünen-Politikerin Vanessa Gronemann: Nachdem der Schulleiter selbst kein Fehlverhalten der Ex-Staatssekretärin bestätigt habe, müsse sich SPD-Minister Mansoori fragen, ob er den Anforderungen seines Amtes gewachsen sei.

FDP-Obmann Stirböck beklagte: Mansoori habe Messari-Becker, ihre Tochter und den Schulleiter leichtfertig der Öffentlichkeit preisgegeben. Entschuldigt habe er sich bis heute nicht. Es stehe Aussage gegen Aussage, meinte AfD-Obmann Klaus Gagel. Auch er sah in Mansoori den Hauptschuldigen in der Affäre. Hätte der Minister professionell gehandelt, hätte er laut Gagel "allen Beteiligten eine Menge Ärger und dem Steuerzahler die enormen Kosten für den Untersuchungsausschuss erspart".

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe