Chef des Steuerzahlerbunds im Interview "Steuergeld-Verschwendung schwierig zu bestrafen"

In seinem Schwarzbuch prangert der Bund der Steuerzahler seit Jahrzehnten besonders schwere Fälle von Steuergeld-Verschwendung an. Lernen die Behörden daraus etwa nicht? Der hessische Chef Joachim Papendick erklärt, wieso immer wieder Millionen verschleudert werden.

Kombo mit dem aktuellen Schwarzbuch und Herrn Papendick
Vor kurzem ist das 50. Schwarzbuch herausgekommen. Darin aufgelistet werden alljährlich Fälle von Steuergeldverschwendung. Joachim Papendick und sein Team steuern Fälle aus Hessen bei. Bild © BdSt Deutschland e.V. / Angelika Stehle, BdSt Hessen
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Steuerzahlerbund stellt neues Schwarzbuch vor

hs
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Eine Wassertreppe, aus der 20 Millionen Liter Trinkwasser einfach versickert sind, ein neuer Bachlauf für zwei Millionen und ein künstlerischer Ausblick für 350.000 Euro: Mit diesen Projekten sind Marburg, Kronberg und Wiesbaden kürzlich im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler (BdSt) Hessen gelandet.

Doch was bewirkt solche öffentliche Schelte? Ist Besserung eingetreten - oder hat die Verschwendung dessen ungeachtet zugenommen? Der BdSt-Vorsitzende in Hessen, Joachim Papendick, spricht im Interview über die Ursachen und Folgen des zu sorglosen Umgangs mit Steuergeldern.

hessenschau.de: Herr Papendick, seit vielen Jahren nehmen Sie die Rolle des Chef-Anklägers in Sachen Steuerverschwendung ein. Ist es nicht frustrierend, sich immer wieder mit neuen Fällen befassen zu müssen?

Papendick: Es ärgerlich, immer wieder neue und vermeidbare Fälle zu sehen. Wir wollen dazu beitragen, solche Fehler bekannt zu machen, damit sie andernorts vermieden werden können. Ich meine: Wir bewirken eine Menge und verhindern weitere Verschwendung.

hessenschau.de: Was genau bewirkt Ihre Arbeit?

Papendick: Unser Schwarzbuch wirkt auf mehreren Wegen. Wir recherchieren bei den Verantwortlichen, wenn wir Hinweise auf Verschwendung bekommen. Mitunter werden die Projekte dann genauer angeschaut. Dadurch ergeben sich Verbesserungen. Oder Projekte werden eingestampft. Und es hat abschreckende Wirkung: Niemand möchte im Schwarzbuch stehen. In Kommunalparlamenten heißt es schon mal warnend: Wenn das Projekt so läuft, ist es ein Fall fürs Schwarzbuch. Darin möchte sich niemand verewigen.

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Bund der Steuerzahler und Schwarzbuch

Der Bund der Steuerzahler (BdSt) listet in seinem jährlich herausgegebenen Schwarzbuch die seiner Ansicht nach gravierendsten ihm bekannten Beispiele für die Verschwendung öffentlicher Mittel auf. Der Verein wurde 1949 von einem Finanzwissenschaftler, einem Steuerberater und einem Wirtschaftsjournalisten gegründet. Er ist laut Satzung überparteilich, unabhängig und gemeinnützig. Der Verein hatte nach eigenen Angaben 2018 etwa 230.000 Mitglieder. Er finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Der BdSt gilt als die größte Steuerzahlerorganisation der Welt.

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hessenschau.de: Wie reagieren die Behörden und Kommunen, wenn sie doch im Schwarzbuch auftauchen?

Papendick: Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Manchmal heißt es: "Ja, da haben wir Fehler gemacht. Das hätte nicht passieren dürfen." Wenn es Fehler des Amtsvorgängers waren, fallen solche Zugeständnisse dem neuen Bürgermeister natürlich besonders leicht. Andere zeigen sich beharrlich: "Nein, das war alles richtig." Manchmal überzeugen uns deren Argumente - und mal nicht. Andere Verantwortliche wollen das Thema nicht an die große Glocke hängen und äußern sich nur schmallippig oder gar nicht.

hessenschau.de: Haben solche Fehlplanungen auch mal strafrechtliche Konsequenzen?

Papendick: Die Verantwortlichen juristisch zur Rechenschaft zu ziehen, ist schwierig. In der Regel gibt es keine persönlichen Konsequenzen im Sinne einer Strafe. Aber wenn etwa ein Bürgermeister verantwortlich ist, könnte das für ihn bei der nächsten Wahl von Nachteil sein. Wenn objektive, nicht bestreitbare Fehler gemacht wurden, wird es sicherlich unangenehm. Aber eine strafrechtliche Würdigung von Steuergeld-Verschwendung ist sehr schwierig.

hessenschau.de: Wären hier schärfere Gesetze nötig?

Papendick: Die haben wir lange gefordert. Aber die Politik war bisher nicht bereit, das Thema ernsthaft anzugehen.

hessenschau.de: Warum?

Papendick: Es heißt: Das sei schwer zu quantifizieren und die Verantwortung zuzuordnen. Oftmals sind ja mehrere Stellen beteiligt. Wer ist dann der Schuldige? Ist es der Mensch in der Verwaltung mit der falschen Vorlage? Ist es der Bürgermeister? Oder das Stadtparlament, das dem Projekt zugestimmt hat?

hessenschau.de: Worauf führen Sie die meisten Fälle zurück: Inkompetenz, mangelnde Absprachen oder Einflüsse von Dritten?

Papendick: Es gibt mehrere Gründe für Verschwendung. Die überlappen teilweise. Zum Beispiel: objektive Fehlplanungen. Wenn man Dinge nicht berücksichtigt, die man hätte wissen müssen. Oder: Kommunen setzen Projekte nur um, weil sie Zuschüsse vom Land oder Bund bekommen. Sie bleiben dann aber auf Folgekosten sitzen.

Auch ein Klassiker: Kostenexplosionen. Baupreise steigen generell. Und je länger gebaut wird, desto teurer wird es. Auch Umplanungen sind kostspielig. Häufig handelt es sich auch um überdimensionierte Prestige-Projekte. Dann heißt es: Hätte man mit dem Geld nichts Vernünftigeres anfangen können?

Aber klar ist auch: Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Das ist unvermeidbar. Aber aus Fehlern sollte man lernen und sie nicht wiederholen. Womöglich kann jemand auch aus den Fehlern anderer lernen. Dazu wollen wir beitragen.

hessenschau.de: Sind Sie und Ihr Team denn sicher, alles richtig zu machen und zu Recht anzuprangern?

Papendick: Wir haben ein Team aus Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern und Journalisten. Wir recherchieren sehr intensiv, damit die Fakten stimmen und nicht widerlegt werden können. Über unsere Bewertungen der Fälle kann man womöglich streiten. Aber objektive Recherche-Fehler sind uns nicht unterlaufen, soweit ich das in meiner Zeit seit 1999 überblicke.

hessenschau.de: Was war für Sie bislang der alarmierendste Fall?

Papendick: Der Neubau des Flughafens Kassel-Calden. Davor hatten wir gewarnt: zu wenig Bedarf. Es ist ein unnötiges Prestigeprojekt geworden - und teuer. Der Neubau hat knapp 300 Millionen Euro gekostet. Und jedes Jahr gibt es Defizite von acht bis zehn Millionen Euro - ein enormer Batzen für die Steuerzahler!

hessenschau.de: Nimmt die Verschwendung immer weiter zu oder ist Besserung in Sicht?

Papendick: Wenn man die längerfristige Entwicklung betrachtet, habe ich den Eindruck, dass die Sensibilität im Umgang mit Steuergeldern gewachsen ist. Das Schwarzbuch wird dazu einen Beitrag geleistet haben.

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Zur Person

Joachim Papendick (56) ist Volkswirt und arbeitet seit dem Jahr 1999 für den Bund der Steuerzahler. Seit knapp zehn Jahren ist er Vorsitzender des Landesverbands Hessen mit Sitz in Wiesbaden.

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Das Interview führte Jörn Perske.

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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 19.10.2022, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de