Flieger am Freitagmorgen Sechs Straftäter aus Hessen nach Afghanistan abgeschoben
Erstmals seit drei Jahren hat Deutschland afghanische Straftäter in ihr Heimatland abgeschoben. Darunter waren Ausreisepflichtige aus Hessen. Aus Sicht von Innenminister Poseck ist das Land damit ein Stück sicherer geworden.
Deutschland hat erstmals seit der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban vor drei Jahren wieder Straftäter nach Afghanistan abgeschoben. Wie ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte, startete am Morgen ein Charterjet von Qatar Airways vom Flughafen Leipzig/Halle aus in Richtung Kabul. An Bord seien 28 Männer, die aus verschiedenen Bundesländern nach Leipzig gebracht worden seien.
Wie die Landesregierung in Wiesbaden mitteilte, saßen in dem Flugzeug auch sechs schwere Straftäter aus Hessen. Nach Auskunft des Innenministeriums wurden sie unter anderem wegen versuchtem Totschlag, schwerem Raub, gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung verurteilt. Unter den Abgeschobenen aus Hessen seien keine Extremisten.
Vier der sechs Ausreisepflichtigen saßen demnach bereits in Strafhaft. Zwei wurden am Donnerstagabend zum Zweck der Abschiebung festgenommen.
"Anspruch auf Schutz verwirkt"
Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sprach von einem richtigen und notwendigen Schritt: "Flüchtlinge und Ausländer, die bei uns schwere Straftaten begehen, müssen unser Land verlassen. Sie haben ihren Anspruch auf Schutz verwirkt." Er erwarte von der Bundesregierung weitere Abschiebungen nach Afghanistan sowie nach Syrien.
Innenminister Roman Poseck (CDU) nannte die Abschiebungen "einen Beitrag zur Sicherheit in unserem Land". Eine Erweiterung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten und Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern seien "mehr als überfällig". Hessen wolle den Bund bei weiteren Abschiebungen unterstützen.
Posecks Ministerium teilte mit, Ende Juni hätten sich in Hessen 96 ausreisepflichtige schwere Straftäter aus Afghanistan aufgehalten, deren Abschiebung vollzogen werden könne. Einige von ihnen säßen in Strafhaft.
Handgeld für die Abgeschobenen
Das von Nancy Faeser (SPD) geführte Bundesinnenministerium hatte einem Spiegel-Bericht zufolge die Federführung bei der Organisation des Flugs von Leipzig nach Kabul. Er sei zwei Monate lang vorbereitet worden. Bei der Verhandlung mit den Taliban habe das Emirat Katar vermittelt. Ein Arzt sei mit an Bord. Jeder Abgeschobene habe vor dem Abflug 1.000 Euro Handgeld erhalten.
Das Geld soll Menschen, die abgeschoben werden oder freiwillig Deutschland verlassen, bei der Ausreise helfen. Außerdem sollen sie bei der Rückkehr in ihr Heimatland über ein gewisses finanzielles Polster verfügen. So sehen es ein Re-Integrations- und Auswanderungsprogramm sowie ein Rückführungsprogramm des Bundesinnenministeriums vor.
Umstrittene Abschiebungen
Die Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan ist umstritten, da in dem Land die radikal-islamischen Taliban herrschen, mit denen die Bundesregierung keine Beziehungen pflegt. Kritiker halten Ausweisungen dorthin für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und dem Völkerrecht, denn in Afghanistan drohen Menschenrechtsverletzungen.
Die Innenminister der Länder dringen dagegen auf die Abschiebung von Schwerkriminellen und islamistischen Gefährdern auch nach Afghanistan sowie ins Bürgerkriegsland Syrien.
Am Donnerstag verständigte sich die Bundesregierung als Konsequenz aus dem Anschlag eines mutmaßlichen Islamisten und Asylbewerbers aus Syrien bei einem Stadtfest in Solingen vor einer Woche auf ein Maßnahmenpaket für die Migrations- und Asylpolitik. Dabei geht es auch um Abschiebungen.
Pro Asyl: "Keine Deals mit Islamisten!"
Karl Kopp von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl räumte am Freitag im Gespräch mit dem hr ein, dass der Abschiebeflug "ein riesiger Erfolg für Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundeskanzler Olaf Scholz" sei. Doch er befürchte "ein fatales Signal": "Nicht weil wir ein Herz für Straftäter hätten, sondern weil mit solchen Deals das Taliban-Regime zurück in die Normalität geführt wird."
Zwar sei der Flug seit zwei Monaten vorbereitet gewesen und damit keine direkte Reaktion auf Solingen, sagte Kopp: "Aber die Konsequenz aus Solingen müsste gerade sein, dass man keine Deals mit Islamisten eingeht."
Insgesamt beklagt der Pro-Asyl-Sprecher "einen enthemmten Diskurs, in dem Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie Afghanistan und Syrien keine Rolle spielen", sondern Abschiebungen in solche unsicheren Gebiete gefordert würden.