Zwischen Kartons und Kritik Hessische Abgeordnete und die Milliarden-Abstimmung in Berlin
Der eine packt schon Kisten, der andere darf noch nicht mitentscheiden – ein Dritter drückt aufs Tempo: Im Bundestag geht’s ums Sondervermögen und die Schuldenbremse. Für drei hessische Abgeordnete stellen sich ganz unterschiedliche Herausforderungen.
Wolfgang Strengmann-Kuhn sitzt in seinem Bundestagsbüro und um ihn herum stapeln sich die Umzugskisten. Seit fast 17 Jahren sitzt er für die Grünen hier im Bundestag. Nach der Wahl sollte Schluss sein: Der Offenbacher kandidierte im Februar nicht erneut für ein Bundestagsmandat.
"Ich muss jetzt Sachen packen", so der 60-Jährige im hr-Interview. Außerdem kümmere er sich um Mitarbeitende, die gerade auf Jobsuche sind. Doch neben Jobvermittlung muss Strengmann-Kuhn voraussichtlich nächste Woche noch über das größte Sondervermögen abstimmen, das es je in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat.
Strengmann-Kuhn: "Demokratiepolitische Bauchschmerzen"
Denn: Union und SPD wollen mehr Geld für die Verteidigung ausgeben, dazu ein 500-Milliarden-Sondervermögen für die Infrastruktur. Das Alles im Eiltempo, weil Schwarz-Rot im neuen Bundestag mit den Grünen alleine keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr hat - die braucht es aber für die Verfassungsänderung der Schuldenbremse.

Also soll jetzt noch schnell der alte Bundestag abstimmen. "Holterdiepolter", nennt das der Grüne-Abgeordnete. Auch wenn das Paket inhaltlich in die richtige Richtung gehe, verursache das Vorgehen bei ihm "demokratiepolitische Bauchschmerzen". Der Grünen-Politiker könnte sich deshalb vorstellen zunächst nur die Schuldenbremse für Verteidigung zu beschließen und das Infrastrukturpaket dann erst im neuen Bundestag - und damit ohne ihn - anzugehen.
SPD-Abgeordneter: "Je schneller desto besser"
Ein paar Flure weiter im Reichstagsgebäude will das der Gießener SPD-Abgeordnete Felix Döring aber auf jeden Fall vermeiden. Für seine Sozialdemokraten sind die Investitionen in die Infrastruktur mindestens genauso wichtig wie die Erhöhung der Militärausgaben. "Je schneller desto besser", sagt er vor dem Hintergrund der angespannten weltpolitischen Lage. Er hofft auf eine Einigung zwischen CDU, SPD und Grünen bis zur finalen geplanten Abstimmung am Dienstag.
Der 34-Jährige gehört der alten und der neuen Fraktion an. Er hat während der Ampelregierung erlebt, wie eine Regierung an ungeklärten Finanzfragen zerbrechen kann. In der neuen aufziehenden schwarz-roten Regierung will er es anders machen. "Wir wollen Koalitionsverhandlungen führen, und dafür brauchen wir natürlich einen finanziellen Rahmen", argumentiert der SPD-Mann.
CDU-Politiker hätte gerne schon abgestimmt
Über 500 Kilometer vom Bundestag entfernt hängt Pascal Reddig (CDU) in Gründau-Lieblos seine letzten Wahlplakate ab. Der Vizechef der Jungen Union hat gerade das Direktmandat im Main-Kinzig-Kreis geholt und zieht damit erstmals in den Deutschen Bundestag ein.
Er hätte gerne schon über das Milliarden-Paket abgestimmt, "weil es am Ende eine Entscheidung ist, die uns in den nächsten Jahren extrem beschäftigen wird", so der 35-Jährige. Die Junge Union rund um Reddig übt scharfe Kritik an den Plänen. Der Staat sollte ohne Strukturreformen nicht auf Kosten der Jüngeren hunderte Milliarden neue Schulden machen.
Unzufriedenheit an der CDU-Basis
"Wir haben im letzten Jahr eine Billion Euro als Staat eingenommen an Steuern", sagt Reddig. Genug, findet der JUler. Die Politik sollte sich deshalb vor dem Schuldenmachen erstmal andere Fragen stellen: "Wofür geben wir eigentlich unser Geld aus? Wo können wir priorisieren? Wo können wir vielleicht auch kürzen?"
In den letzten Tagen hat Reddig laut eigenen Angaben Zuschriften von Wählern und Teilen der CDU-Basis bekommen. Viele fühlen sich offenbar getäuscht, wie er berichtet, weil die Union vor der Wahl zum Thema Schuldenbremse eine ganz rigorose Haltung hatte.
Reddig appelliert deshalb an seine Parteiführung: "Die Schuldenbremse ist wichtig, und wir wollen uns auch in Zukunft daran halten. Wir machen jetzt eine Ausnahme bei der Verteidigung. Aber ansonsten ist aus Sicht der jungen Generation klar, dass wir die Schuldenbremse sonst nicht antasten sollten."
Auch die Hessen spüren die Spannungen
Die Differenzen zwischen CDU, SPD und Grünen sind also auch unter hessischen Noch- und Bald-Abgeordneten spürbar. Doch wenn die Reform der Schuldenbremse bis Dienstag beschlossen werden soll, müssen sich ihre Fraktionen schnell einig werden.
Der grüne Wolfgang Strengmann-Kuhn wird dann vielleicht schon seinen Schreibtisch leergeräumt haben. Felix Döring von der SPD hofft, dass das Paket schnell durchgeht. Und Pascal Reddig? Der wird noch bis Ende März von außen zuschauen müssen. Erst dann konstituiert sich nämlich der neue Bundestag in Berlin.