SPD-Mitgliedervotum über Koalitionsvertrag Widerstand bei den Jusos, Optimismus in der Parteispitze
Die hessische SPD-Führung wirbt für eine schwarz-rote Koalition in Berlin und erlebt zum Start des Mitgliedervotums ein Déjà-vu: Bei den Jusos regt sich Widerstand. Angesichts der Alternativen ist aber nicht jedem ganz wohl bei der Ablehnung.
Gut ein Jahr lang regiert eine schwarz-rote Koalition Hessen – es war eine Premiere für das Bundesland. Läuft alles nach dem Plan der Parteispitzen, machen es Union und SPD von Mai an in der Bundespolitik nach.
Dieses Bündnis wäre für Berlin nichts Neues. Aber erst einmal müssen die SPD-Mitglieder ihm und dem dazugehörigen 144-Seiten-Koalitionsvertrag erst noch mehrheitlich zustimmen. Das Online-Votum läuft seit Dienstag bis zum 29. April. Knapp 360.000 Menschen dürfen bundesweit mitmachen, rund 40.000 in Hessen.
4.500 dieser hessische Genossen zählen zum U35-Parteinachwuchs der Jusos. Wie am Tag zuvor ihr Bundesvorstand kam zum Auftakt der Abstimmung auch die Spitze der hessischen Jungsozialisten zum Urteil: Die Abmachung mit CDU und CSU sei für Sozialdemokraten nicht annehmbar, vor allem wegen der migrations- und sozialpolitischen Pläne.
"Ich habe entschieden, Haltung zu zeigen, und stimme mit Nein“, kündigte Michelle Breustedt, Vorsitzende der Jusos Hessen-Süd, ihren Widerstand an. Ihr Amtskollege Ilyas Yassin von den Jusos Hessen-Nord will es genauso halten. Er räumte gegenüber dem hr jedoch ein: "Ich habe sehr hart mit mir gerungen."
Denn sähe es eine Mehrheit der SPD-Mitglieder in Deutschland genauso, hieße das: Das Land bekäme erst einmal keine neue Regierung, Neuwahlen drohten und möglicherweise ein weiteres Erstarken der AfD.
Zustimmen mangels besserer Alternativen?
"Ich kenne sehr viele, die dem Koalitionsvertrag auch zustimmen werden, weil sie einfach keine Alternative sehen", sagte Juso-Bezirkschef Yassin zu dem Dilemma. Er könne diese Überlegung auch "vollkommen nachvollziehen".
Breustedt ist strikter. "Das ist für mich ein absolutes No-Go", kommentierte sie die Absicht, Asylbewerber künftig an den Grenzen abzuweisen und den Familiennachzug auszusetzen.
Mit Äußerungen über die im Koalitionsvertrag genannte Erhöhung des Mindestlohns hat CDU-Bundeschef Friedrich Merz die Jungsozialistin am Wochenende noch zusätzlich vor den Kopf gestoßen.
Dass Merz die im Koalitionsvertrag genannte Einführung von 15 Euro pro Stunde relativiert habe, zeige: "Es gibt kein Vertrauensverhältnis.“ Man könne mit dem Mann, der Kanzler der schwarz-roten Regierung werden soll, keine Verträge unterzeichnen.
Auch in Hessen Schwarz-Rot abgelehnt
Die hessischen Jusos hatten nach der Landtagswahl im Herbst 2023 auch den Koalitionsvertrag von CDU und SPD für Hessen abgelehnt. Auch hier spielte die von der CDU forcierte härte Asylpolitik eine maßgebliche Rolle. Und der Widerstand war deutlich lauter als diesmal.
Folgen hatte der Aufstand der Jugend keine. Auf einem Parteitag stimmten 81,9 Prozent für die Vereinbarung.
Trotz schlechtem Wahlergebnis in der Landesregierung
So kam die SPD Anfang 2024 trotz eines historisch schlechten Wahlergebnisses von 15,1 Prozent erstmals seit 25 Jahren wieder in eine Landesregierung – wenn auch als deutlich kleiner Juniorpartner.
Bei der Bundestagswahl im Februar dieses Jahres war das SPD-Ergebnis mit 16,4 Prozent kaum besser. In der künftigen Regierung soll die Partei sieben Ministerinnen oder Minister stellen. Sechs Kabinettsposten und das Kanzleramt bekommt die CDU. Drei Ministerien wird die CSU führen.
Klingbeil: "Wenn das scheitert, wird es Neuwahlen geben"
Die Parteispitze hat trotz solcher zählbaren Erfolge nicht nur bei den Jusos Gesprächsbedarf vorhergesehen. Am Montag startete eine Reihe von Dialogkonferenzen in Hannover.
Bundeschef Lars Klingbeil, der in einer CDU/SPD-Koalition Vize-Kanzler werden dürfte, warnte vor einer Ablehnung des Koalitionsvertrags: “Wenn das scheitert, wird es Neuwahlen geben, oder vielleicht eine Minderheitsregierung.“
SPD-Landesschef Bartol gibt sich optimistisch
Nach Ostern ist eine solche Konferenz auch in Baunatal (Kassel) geplant. Auch SPD-Landeschef Sören Bartol wird dann für den Koalitionsvertrag werben. Er teilte dem hr am Dienstag auf Anfrage mit: Seine Partei spüre "die Verantwortung, konkrete Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit zu geben - und genau das spiegelt sich im Vertrag wider".
Bartol gab sich optimistisch. Der Vertrag enthalte von der Mindestlohnanhebung bis zu "massiven Investitionen in Bildung und Infrastruktur und Klimaschutz“ wichtige Botschaften. Da die Basis in der SPD das Wort habe, sei es aber richtig, sich die Verhandlungsergebnisse genau anzuschauen und breit zu diskutieren.
Scheitern unwahrscheinlich?
Das Mitgliedervotum über Regierungsbeteiligung und Koalitionsvertrag ist in der SPD üblich. 2013 stimmten bundesweit 76 Prozent der Mitglieder für ein schwarz-rote Bündnis, 2018 waren es dann nur noch 66 Prozent.
Auch dieses Mal rechnen Fachleute mit einer Mehrheit. Zum Widerstand der Jusos sagte die Parteienforscherin Andrea Römmele zu tagesschau.de: Sie glaube trotzdem, dass eine Mehrheit der Mitglieder zustimmen werde.
Die Jusos seien zwar eine "beachtliche Gruppe" innerhalb der Partei. Sie müssten aber, da sie keine Mehrheit seien, weit über ihre Grenzen hinaus mobilisieren, um den Vertrag noch zu kippen.