Staatsgerichtshof Hessisches Versammlungsrecht "überwiegend verfassungsgemäß"

Der Hessische Staatsgerichtshof hat das neue Versammlungsrecht in weiten Teilen bestätigt. Beim Thema Versammlungsverbot und Vermummung gingen die Meinungen der Richter aber auseinander.

Ute Sacksofsky (l-r), Vizepräsidentin am Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Wilhelm Wolf, Präsidenten am Staatsgerichtshof des Landes Hessen, und Steffen Detterbeck, Richter am Staatsgerichtshof des Landes Hessen, bei der Urteilsverkündung.
Ute Sacksofsky (l-r), Vizepräsidentin am Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Wilhelm Wolf, Präsidenten am Staatsgerichtshof des Landes Hessen, und Steffen Detterbeck, Richter am Staatsgerichtshof des Landes Hessen, bei der Urteilsverkündung. Bild © picture alliance/dpa | Andreas Arnold

Der Hessische Staatsgerichtshof hat am Donnerstag zum neuen Versammlungsrecht geurteilt. Dieses ist den Richtern zufolge "weit überwiegend verfassungsgemäß". Einen Teil des Gesetzes erklärten sie allerdings für verfassungswidrig.

Audiobeitrag
Bild © hessenschau.de| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Beanstandet wurden Regelungen zu Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen im Rahmen von Versammlungen. Darin geht es um die Sicherstellung etwa von aufgefundenen Waffen bei einzelnen Demonstrationsteilnehmern (§ 16 Abs. 1 Satz 2 und § 23 Abs. 1 Satz 2). Diese sind einer Mitteilung zufolge "unvereinbar mit der Hessischen Verfassung".

Formfehler beanstandet

Konkret rügte das Gericht aber nur einen Formfehler, nicht den Inhalt. Demnach hätte im Gesetz wegen des sogenannten Zitiergebots explizit darauf hingewiesen werden müssen, dass durch die Sicherstellung von Waffen oder anderen Gegenständen das Thema Eigentum berührt wird.

Die betroffenen Vorschriften sollen demnach bis zu einer Neuregelung in Kraft bleiben, maximal bis zum Ende des Jahres. Gegen die Entscheidung ist laut Staatsgerichtshof in Wiesbaden "kein ordentliches Rechtsmittel" möglich.

Richter waren sich uneins

Bei ihrem Urteil waren sich die elf Mitglieder des Staatsgerichtshof allerdings uneins. Dabei ging es vor allem um zwei Punkte - zum einen um die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot, zum anderen um das Verbot der Vermummung. Bei ersterem fiel die Entscheidung denkbar knapp aus: Sechs Richter hatten keine Bedenken, fünf wandten sich dagegen - darunter auch die Vizepräsidentin des Staatsgerichtshofs.

Sie erklärte, dass aus ihrer Sicht Teile des Gesetzes gegen die Verfassung verstießen. Zur Begründung sagte sie, man dürfe das Grundrecht auf Versammlung nicht einschränken, nur weil man die öffentliche Ordnung schützen möchte. Dieses Grundrecht sei in der Verfassung verankert, die "öffentliche Ordnung" sei dagegen nur ein eher schwammiger Begriff.

Auch beim Thema Vermummung gingen die Meinungen auseinander. Vermummten Demonstranten dürfe nicht pauschal unterstellt werden, dass sie bereit seien, Gewalt auszuüben, befanden drei der Richter. Zudem müsse jeder selbst entscheiden dürfen, in welcher Aufmachung er an einem Protest teilnimmt.“

Klage von Linken und AfD im Landtag

Geklagt hatten die frühere Linke-Fraktion und die AfD-Opposition im Landtag. Sie wandten sich gegen die Neufassung des Landesversammlungsrechts, die im April 2023 noch unter Schwarz-Grün in Kraft getreten war: Damit werde die Versammlungsfreiheit zu sehr eingeschränkt.

AfD: "Chance auf Rechtsklarheit vertan"

Die AfD-Fraktion kritisierte, mit der Entscheidung sei "eine Chance auf Rechtsklarheit vertan". "Nur eine Stimme gab den Ausschlag für die Entscheidung", sagte Patrick Schenk, rechtspolitischer Sprecher, laut einer Mitteilung. "Das zeigt, wie knapp das hessische Versammlungsfreiheitsgesetz an der Grenze zur Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit balanciert."

Ob eine Versammlung zulässig sei oder nicht, müssten weiterhin verstärkt Versammlungsbehörden und Verwaltungsgerichte entscheiden. Die Ordnungsbehörden hätten mit dem Gesetz in seiner aktuellen Form eine unklare Entscheidungsgrundlage.

Innenminister begrüßt Entscheidung

Innenminister Roman Poseck (CDU) dagegen begrüßte das Urteil des Staatsgerichtshofs, es bringe Rechtssicherheit. "Nach der Entscheidung sind die möglichen Einschränkungen durch das Gesetz verfassungskonform", erklärte er in einer Mitteilung. "Diese sind auch erforderlich, um einen ordnungsgemäßen Ablauf von Versammlungen zu gewährleisten, erst recht in Zeiten einer zunehmenden Polarisierung und Radikalisierung."

Zu den beanstandteten Vorschriften sagte Poseck, er gehe davon aus, dass die Änderungen "zeitnah" auf den Weg gebracht werden können. "Die entsprechenden Ergänzungen sollten innerhalb der eingeräumten Übergangsfrist unproblematisch möglich sein."

Versammlungsfreiheit gilt als wichtiges Bürgerrecht

Die Versammlungsfreiheit von Bürgerinnen und Bürgern ist vom Grundgesetz und von der hessischen Landesverfassung grundsätzlich geschützt. Die inzwischen schwarz-rote Landesregierung wollte mit dem Versammlungsfreiheitsgesetz aber etwa gewalttätige und extremistische Demonstranten in die Schranken weisen können. 

Die ehemalige Linke-Fraktion und die AfD-Fraktion wandten sich mit ihren Normenkontrollanträgen gegen einzelne Vorschriften des hessischen Versammlungsfreiheitsgesetzes. Die Neuregelung räume Polizei und Behörden zu viele Befugnisse ein und es drohe übermäßige Kontrolle, lautete die Kritik.

Redaktion: Tanja Stehning

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe