Affäre um Entlassung von Staatssekretärin Messari-Becker Der eine Satz
Im Kampf um ihren Ruf geht Ex-Staatssekretärin Messari-Becker nicht nur gegen SPD-Wirtschaftsminister Mansoori vor. Ihre Anwälte erheben Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Schulleiter, der die Affäre ins Rollen brachte. Im Mittelpunkt: ein nun bekannter Satz aus einem Elterngespräch.
"Nicht hinnehmbares Fehlverhalten": Mit diesem öffentlichen Urteil feuerte Hessens SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori im Juli die parteilose Bau-Professorin Lamia Messari-Becker nach nur sechsmonatiger Amtszeit. Was hinter der ebenso schweren wie unbestimmten Anschuldigung steckte, verriet er bislang nicht.
Seitdem kämpft die international renommierte Expertin für nachhaltiges Bauen um ihren bis zum verunglückten Ausflug in die hessische Politik tadellosen Ruf. Die 51-Jährige dementierte die Anschuldigung, zog vor Gericht und saß auf der Zuschauertribüne, als der Landtag einen Untersuchungsausschuss zur Affäre beschloss.
In der Auseinandersetzung drehen ihre Anwälte den Spieß jetzt auch mittels einer Dienstaufsichtsbeschwerde um, die dem hr vorliegt. Im Kern lautet der Vorwurf, eine glatte Lüge über den Verlauf eines Elterngesprächs habe zum Rauswurf der Staatssekretärin geführt. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Schulleiter aus Darmstadt, betrifft aber auch Mansooris Entscheidung und die Frage: Ließ er seiner Spitzenbeamtin hinterherschnüffeln?
"Exit-Tür im Rahmen des rechtlich Möglichen"
Die Unterlagen zeigen: Der Schulleiter brachte im engen Zusammenspiel mit der Landesregierung und besonders mit Mansooris Büro alles mit einem einzigen angeblichen Zitat ins Rollen. Bisher war als Grund für die Entlassung lediglich kolportiert worden, Messari-Becker habe bei einem Elterngespräch ihren Kabinettsposten drohend ins Spiel gebracht, um eine bessere Abi-Prüfungsnote für eines ihrer Kinder herauszuschlagen.
In der Beschwerde ist jetzt dokumentiert, was die Ex-Staatssekretärin genau gesagt haben soll: "Ich bin eine Person des öffentlichen Lebens und erwarte eine Exit-Tür im Rahmen des rechtlich Möglichen." Mit dieser Aussage ging der Minister gegen seine Spitzenbeamtin vor.
Als sie mit Corona im Bett lag, kündigte er ihr per E-Mail die Entlassung an. Er habe den Eindruck, "als ob die Stellung als Staatssekretärin meines Hauses genutzt werden sollte, um Vorteile bei der Notengebung deiner Tochter zu erreichen. Diesen Eindruck finde ich verheerend und nicht entschuldbar."
Rauswurf auf Belastungseifer gestützt?
Der Direktor eines Gymnasiums, gegängelt von einer Helikopter-Mutti im Regierungsrang? In der Dienstaufsichtsbeschwerde erzählen Messari-Beckers Anwälte eine andere Geschichte. Damit, ob der merkwürdige Satz angesichts der Ergänzung "im Rahmen des rechtlich möglichen" überhaupt eine Drohung enthält, halten sie sich gar nicht erst auf. Denn dieser Satz sei nie gefallen. Dafür gebe es mehr als einen Hinweis.
Mit ihrer 24-Seiten-Attacke will die Hamburger Kanzlei belegen: Es seien die Unaufrichtigkeiten eines "von Belastungseifer geprägten Verhaltens des Schulleiters", auf die Mansoori den Rauswurf stützte. Die Anwälte werfen dem Pädagogen unter anderem auch Verstöße gegen die Anhörungs- und Verschwiegenheitspflicht vor, die bewusste Umgehung des vorgeschriebenen Dienstwegs, mutmaßlichen Beeinflussung von Zeugen und lückenhaft geführte Akten.
So habe der Schulleiter Messari-Becker "absichtlich und proaktiv" schaden wollen.
Hier einige wesentliche Ansatzpunkte der Dienstaufsichtsbeschwerde:
1. Der Exit-Tür-Satz
Messari-Becker will den ihr vorgehaltenen Satz mit der "Exit-Tür" nie gesagt haben. Ihre Tochter bestätige das. Als Indiz für die Zweifelhaftigkeit des Vorwurfs verweisen ihre Anwälte darauf, dass der Satz in unterschiedlichen Varianten gegen ihre Mandantin in Stellung gebracht werde.
Mails an den Schulleiter schrieb die 51-Jährige vom Privataccount. "Staatssekretärin" nannte sie sich darin nicht. Zu Beginn des Schriftwechsel wegen des Abis stellt sie sich als "Mama von…" vor.
2. Die Ministeriumsschalte
Dementiert wird auch die Darstellung, die Professorin habe dem Elterngespräch von Beginn an ein "ministerielles Gepräge" gegeben und wiederholt ihre Stellung erwähnt. Für den Schulleiter gehörte etwa zur vermeintlich von der Mutter aufgebauten Drohkulisse, dass sie ihr Zuspätkommen mit einer vorherigen Telefonschalte mit dem Ministerium begründet habe. Zudem habe sie einen Anruf auf dem Handy auch noch mit der Erklärung angenommen: Das sei das Ministerium.
Einwand der Anwälte: Erstens wäre das alles nicht schlimm, zweitens sei es nicht wahr. Ein Parkticket widerlege die Behauptung, dass Messari-Becker zu spät kam. Terminkalender und Handy-Anrufliste zeigten, dass es weder eine Schalte noch den Anruf gab.
3. Die Note
Schulleiter und Mansoori behaupteten laut Messari-Becker auch zu Unrecht, dass es im Elterngespräch um eine Verbesserung der Note ging. Die Bau-Professorin sagt: Es sei vorher geklärt worden, dass dies bei dem Termin gar nicht möglich sei.
Die Tochter habe daher vor weiteren denkbaren Schritten klären wollen, warum ihre mündliche Prüfung in einem Fach auffällig schlechter ausfiel als die früheren Einser-Zeugnisnoten. Das Abi sei auch so "ausgezeichnet".
4. Plötzliche Erinnerung
Dass der "Exit-Tür"-Satz gefallen sei, erzählte der Schulleiter auch der Büroleiterin Mansooris am Telefon. Sie führte mit ihm wohl vier dieser Telefonate, wie sie nachträglich zu den Akten gab. Sie wünschte sich von ihm, er möge doch prüfen, ob die beiden anderen am Elterngespräch teilnehmenden Lehrer den angeblich belastenden Satz bestätigen können. Der Schulleiter kam der Bitte nach und rief noch am selben Tag zurück: Nein, könnten sie nicht.
Merkwürdigerweise ließ der Schulleiter laut Protokoll der Büroleiterin aber nicht locker. Wenig später habe er sich gleich noch mal gemeldet. Seine zwei Lehrer-Kollegen seien nun doch sicher, dass der Satz "genau so gefallen sei". Mehr als verdächtig finden die Wendung die Anwälte der Ex-Staatsekretärin. Es entstehe der Eindruck, der Schulleiter habe "so viel Druck auf die Lehrkräfte ausgeübt, dass diese ihre ursprüngliche Aussage revidieren".
5. Schnüffelverdacht
Nach Meinung der Messari-Becker-Anwälte hätte der Schulleiter nie und nimmer in der Angelegenheit dem Büro Mansooris Auskünfte geben dürfen. Nicht nur, weil sie unwahr seien. Das Ministerium sei für ihn nicht zuständig. Außerdem sei es um vertrauliche persönliche Dinge gegangen - von Mutter und Tochter. Auffällig sei, dass der Pädagoge auch von sich aus in der Mansoori-Zentrale angerufen haben soll.
Die Frage nach der Verletzung von Dienstordnung und Dienstweg könnte aus anderer Perspektive besondere Brisanz bergen: Wie kam umgekehrt Mansooris Büro dazu, einen Schulleiter direkt wegen eines Elterngesprächs an einer Schule auszufragen?
Laut den Unterlagen macht das Wirtschaftsministerium geltend: Es sei über die Staatskanzlei darüber Einvernehmen mit dem Kultusministerium hergestellt worden, dass man das dürfe. Staatskanzleichef Benedikt Kuhn (CDU) lieferte demnach Mansooris Büroleiterin sogar die Kontaktdaten für die Telefonate mit dem Schulleiter.
Einwand der gegnerischen Anwälte: Korrekt wird das Vorgehen dadurch nicht. Außerdem werde das Einvernehmen zwar behauptet, aber nicht belegt.
6. Das "andere Niveau" der Staatskanzlei
Zum ersten Mal soll der Schulleiter Messari-Becker in einem Bericht belastet haben, der direkt ans Kultusministerium ging und nicht ans eigentlich zuständige Staatliche Schulamt. Auch das sei nicht in Ordnung. Ein Verstoß gegen seine Dienstpflicht sei auch, dass er die Staatssekretärin weder über seine Anschuldigungen informiert noch um eine Stellungnahme gebeten habe.
Datiert ist der Bericht auf den 5. Juli, aber er hat keinen Eingangsstempel. Im für das Gymnasium eigentlich zuständigen Schulamt ging das Schreiben erst sechs Wochen später ein. Da war Messari-Becker längst außer Amt und Würden, ohne über die Anschuldigung unterrichtet worden zu sein.
Der Schulleiter wusste laut Dienstaufsichtsbeschwerde genau, wie angreifbar sein Vorgehen gewesen sei, das Schulamt zu umgehen. Aus dem Gedächtnisprotokoll von Mansooris Büroleiterin ziehen die Verfasser der Beschwerde den Schluss: Der Lehrer habe die Vorwürfe direkt auf höchster Ebene platziert, weil es "ein anderes Niveau" habe, wenn sich der Chef der Staatskanzlei den Vorwürfen widme.
Experte: "Das ist ungewöhnlich"
Über die Aussichten der Beschwerde will der Jura-Professor Thorsten Masuch nicht spekulieren. Angesichts der dokumentierten Gespräche zwischen Mansooris Büro und dem Schuldirektor kommt der Verfasser eines Kommentars zum hessischen Beamtenrecht aber zu dem Schluss: "Diese Sachverhaltsermittlung des Wirtschaftsministeriums ist zumindest ungewöhnlich."
Die Dienstordnung für Schulleiter sei eindeutig: "Der Schulleiter ist allgemein verpflichtet, unverzüglich die Schulaufsichtsbehörde über Vorkommnisse zu unterrichten." Sich ans Kultusministerium zu wenden, sei nur ergänzend und bei besonderer Wichtigkeit möglich. Berichte über die Staatssekretärin direkt ans Kultusministerium und nicht ans Schulamt zu senden, sei nicht vorgesehen.
Auskunft nur in bestimmten Fällen zulässig
Anderen Behörden als dem Schulamt oder dem Kultusministerium Auskunft zu geben, sei nur dann zulässig, wenn die informierte Behörde für die mitgeteilte Angelegenheit selbst zuständig oder mitbetroffen ist. Das sei aber sehr eng gefasst und abhängig davon, ob die Auskunft genehmigt sei - und wie sie dann ausfalle.
Experte Masuch hatte sich gegenüber dem hr unmittelbar nach der Entlassung der Staatssekretärin festgelegt: Minister Mansoori habe gegen seine Fürsorgepflicht verstoßen, indem er öffentlich von einem Fehlverhalten der Beamtin sprach. Der Politiker hätte Messari-Becker demnach nicht einmal dann derart bloßstellen dürfen, wenn der Vorwurf zutreffen würde. Im konkreten Fall sei der Vorwurf aber sogar strittig.
Kein Kommentar
Den Darmstädter Schulleiter, das Kultusministerium und das Wirtschaftsministerium hat der hr jeweils um Stellungnahmen zur ihrer Rolle und ihrem Vorgehen gebeten. Aus dem Kultusministerium hieß es, man äußere sich zu laufenden Verfahren nicht. Das geschehe auch mit Blick auf Persönlichkeitsrechte von betroffenen Personen. Eine Sprecherin Mansooris begründet die Absage damit, dass man die Beschwerde nicht kenne.
Eine Anwältin Messari-Beckers wies auf die laufenden Verfahren hin, wegen denen man sich nicht äußere. Sie betonte aber: "Unsere Mandantin hat Amt und Privatleben stets strikt getrennt." Der Schulleiter antwortete auf die am Montagnachmittag gestellten Fragen bis Dienstagmittag nicht.
Untersuchungsausschuss soll zur Aufklärung beitragen
Die Dienstaufsichtsbeschwerde und die dazu herangezogenen Anlagen dürften auch den von Grünen und FDP angestrengten Untersuchungsausschuss beschäftigen. Er kommt in dieser Woche zu einer kurzen Sitzung zusammen.
Welche Akten in den kommenden Monaten gesichtet und welche Zeugen befragt werden sollen, ist noch unklar. Es gibt noch keinen konkreten Fahrplan für den Ausschuss. Der Auftrag besteht laut Landtagsbeschluss aus drei Schwerpunkten: Der Ausschuss soll die Motive für die Entlassung der Ex-Staatssekretärin untersuchen und das Handeln der Regierung beleuchten. Außerdem soll er klären, ob Wirtshaftsminister Mansoori und Kultusminister Armin Schwarz (CDU) bei ihren Auftritten in Ausschüssen zu sehr gemauert haben. Die Opposition warf dem SPD-Mann "Rumgeeiere" vor, dem CDU- Kultusminister dagegen Missachtung von Parlamentsrechten.
Hintergrund der Affäre: Im Januar hatte die SPD als Juniorpartner in der neuen schwarz-roten Koalition das Super-Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlicher Raum übernommen. Chef wurde Mansoori, Vorsitzender des einflussreichen SPD-Bezirks Hessen-Süd.
Doch es war im politischen Wiesbaden rasch ein offenes Geheimnis, dass es an der neu formierten Dreier-Spitze des Hauses arg an Harmonie mangelte. Vor allem zwischen der als selbstbewusst und streitbar geltenden Seiteneinsteigerin Messari-Becker und Mansooris erstem Staatsekretär Umut Sönmez (SPD) soll es zu starken Spannungen gekommen sein. Er ist ein Weggefährte des Ministers aus alten Juso-Zeiten. Alle drei hatten keine Regierungserfahrung.
Reaktion auf Geraune
Die Ausgangskonstellation nährte den Verdacht von Kritikern, mit der Entlassung sei eine unbequeme Karrierefrau unter einem Vorwand und begleitet von Rufmord beruflich beseitigt worden. Der 35 Jahre alte Minister, ein gelernter Jurist, bestreitet das entschieden. Er will mit dem Hinweis auf ein angebliches Fehlverhalten auf "viel Geraune" in den Medien reagiert haben. Gemeint war offenbar auch ein Beitrag auf hessenschau.de, der die Probleme der beiden Männer in der Ministeriumsleitung mit Messari-Becker anriss.
Als der Druck auf ihn stieg und die Staatskanzlei auf Distanz ging, erklärte Mansoori zwar vor dem Landtag: Er würde das mit dem Fehlverhalten nicht noch einmal öffentlich sagen. Ihre Forderung nach einer Entschuldigung sahen darin weder Grüne und FDP erfüllt noch Messari-Becker.