Potenzialflächenkataster Stadtentwicklung: Die Software, die die Baulücke findet
Wohnraum ist knapp. Eine neue Software des Landes soll Kommunen helfen, mögliche Bauflächen auf ihrem Gebiet zu finden. Viele dieser Flächen sind allerdings im Besitz von Privateigentümern. Was tun, wenn die gar nicht bauen wollen?
Reihenhaus an Einfamilienhaus an Mehrfamilienhaus - und mittendrin ein grüner Fleck. Oder besser gesagt: eine grüne Fläche, ein unbebautes Grundstück. Für diejenigen, die in der kommunalen Stadtentwicklung arbeiten, könnten solche Grundstücke ein Segen sein.
Denn Wohnraum ist vielerorts knapp und dem Umwelt- und Naturschutz zuliebe sollen eigentlich möglichst wenige Äcker, Wälder und Wiesen für neue Häuser weichen. Stattdessen soll innerhalb der Gemeindegrenzen gebaut werden - Nachverdichtung heißt das in der Fachsprache.
Software kann Bauflächen identifizieren
Auf der Suche nach freien Bauflächen ist man auch in Trebur (Groß-Gerau). "Wir haben schon einen großen Siedlungsdruck, denn es gibt allgemein den Zuzugstrend in der Region", sagt Bürgermeister Jochen Engel (Freie Wähler). Wegen der Siedlungsbeschränkung am Frankfurter Flughafen dürfe Trebur aber nicht über die Gemeindegrenze hinaus wachsen. "Wir haben relativ wenige Möglichkeiten, hier etwas anzubieten", so Engel.
Um Kommunen wie Trebur dabei zu unterstützen, potenzielle Bauflächen im Stadtgebiet zu identifizieren, gibt das Land ihnen seit Dienstag eine kostenlose Software an die Hand: das digitale Potenzialflächenkataster. Darin sind - sofern Geodaten bekannt - teilweise schon Baulücken oder Brachflächen eingepflegt; die Kommunen können dann weitere Daten ergänzen und so eine Übersichtskarte für ihr Stadtgebiet erstellen.
Vorteil der Nachverdichtung: Infrastruktur ist schon vorhanden
Für Wohnungsbauminister Tarek Al-Wazir (Grüne) liegt der Vorteil der neuen Software auf der Hand, denn vor allem in kleineren Kommunen gebe es nicht immer Bau- oder Planungsämter, oder es gebe zwar Bebauungspläne und Grundbücher, aber die Daten seien nicht alle auf einen Blick einsehbar.
"Wir wollen die Kommunen dabei unterstützen, den Grundsatz Innen- vor Außenentwicklung mit Leben zu füllen", so Al-Wazir. Doch dafür müssten die Kommunen zunächst wissen, wo überhaupt gebaut werden könne.
Zwar sei Außenentwicklung auf der grünen Wiese nicht gänzlich ausgeschlossen, doch innerhalb der Gemeindegrenzen zu bauen, habe einige Vorteile. "In aller Regel sind da die Straßen schon gebaut, der Kanal schon gelegt, liegt die Telefonleitung schon und man muss gar nicht lange rechtliche Schritte wie Bebauungspläne oder Ähnliches einleiten", so der Minister.
Rund drei Monate lang haben zehn Kommunen in ganz Hessen die Software getestet. Auch Trebur war in der Pilotphase dabei. Das Thema Nachverdichtung sei in der Gemeinde nicht neu gewesen, sagt Bürgermeister Engel.
Es habe schon entsprechende Projekte gegeben. "Da gab es eine eingeschossige Kita hier in Trebur, die wurde neu gebaut, mit oben drüber zwei Etagen Seniorenwohnungen", so Engel. Ein zweites ähnliches Projekt sei in Planung.
"Echtes Hilfsmittel" für Kommunen
Das Potenzialflächenkataster sei trotzdem hilfreich, weil es ohne Schranken denke und vor allem über Grundstücksgrenzen hinaus. "Beispielsweise könnten aus mehreren größeren Einzelgrundstücken jeweils Teile des Gartens herausparzelliert und zu einem neuen Baugrundstück vereint werden", so Bürgermeister Engel. Daran habe man vorher nicht gedacht.
Das Problem: "Das sind meistens Grundstücke, die nicht im Eigentum der Gemeinde liegen sondern im privaten Eigentum", erklärt Ayla Adams, Projektleiterin im Treburer Bauamt Trebur. Wer ein Grundstück besitze, dürfe auch selbst entscheiden, ob darauf gebaut werde und oft würden solche Grundstücke für Kinder und Enkelkinder vorgehalten.
Auch in Homberg (Efze) im Schwalm-Eder-Kreis sieht Bürgermeister Nico Ritz (parteilos) die Software nach der ersten Testphase als "echtes Hilfsmittel". "Denn gerade für uns im ländlichen Raum ist es entscheidend, Wohnraumpotenziale zu heben, ohne neuen Erschließungsaufwand betreiben zu müssen", so Ritz.
Die Software habe im ganzen Stadtgebiet mehr als 200 Baulücken identifiziert, allerdings sind auch in Homberg die allermeisten in Privatbesitz. Deshalb habe man bereits begonnen, die Eigentümer anzusprechen. "Viele wissen gar nicht, dass sie über Grundstücke verfügen, die bebaut werden können", so Ritz.
Bauzwang für Eigentümer?
An dieser Stelle komme auf die Kommunen viel Kommunikationsarbeit zu, sagt Sascha Luippold, Professor für Architektur an der Hochschule RheinMain. Das Potenzialflächenkataster könne eine umfangreiche Datenbank werden, doch es hänge davon ab, wie gut sie gepflegt werde.
"Denkbar ist auch, dass Besitzer von Immobilien und Grundstücken sich proaktiv in so eine Plattform einklinken und Informationen einfügen", so Luippold. Langfristig gesehen sei es aber auch eine gesellschaftspolitische Frage, wie man mit der Weigerung von Eigentümern ihre Grundstücke zu bebauen umgehe.
"Das geht dann an Enteignungsdiskussionen, die eine Gesellschaft einfach führen muss", sagt er. Dann gehe es um die Frage, ob Kommunen einen Bauzwang ausüben wollen.
FDP fordert weitere Maßnahmen
Für die FDP im Landtag ist das Kataster ein erster richtiger Schritt. Um der Wohnungsnot zu begegnen, müsse allerdings deutlich mehr getan werden. "Neben dem digitalen Potentialflächenkataster müssen auch die Planungs- und Genehmigungsverfahren schnellstmöglich digitalisiert werden", so Stefan Naas, der wohnungsbaupolitische Sprecher der Fraktion.
Die Linke kritisiert wiederum den Zeitpunkt, zu dem das Kataster kommt. "Unter grüner Führung verschwinden in Hessen jährlich viele hundert Hektar beste Ackerböden unter Logistik-, Verkehrs- und Siedlungsflächen", so die Fraktionsvorsitzende Elisabeth Kula.
Dass es in der Klimakrise nicht gelinge, den Flächenverbrauch gemäß den Nachhaltigkeitszielen zu reduzieren, und dass ein Instrument zu einem sparsameren Umgang mit Fläche erst am Ende der Legislaturperiode komme, zeige, welchen Stellenwert der Flächenschutz in der Landesregierung habe.
45 Kommunen zeigen Interesse
Künftig steht die Nutzung des Potenzialflächenkatasters allen hessischen Städten und Gemeinden kostenlos zur Verfügung. Laut Wirtschaftsministerium sind bereits 45 Kommunen interessiert. Rund 357.000 Euro hat die Entwicklung der Software gekostet, finanziert aus der so genannten "Digitalmilliarde", also den rund 1,2 Milliarden Euro, die das Land Hessen in der laufenden Legislaturperiode für Digitalisierungsvorhaben eingeplant hat.
In diesem und nächsten Jahr sollen jeweils 200.000 Euro für das Kataster ausgegeben werden, so Wohnungsbauminister Al-Wazir.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 04.04.2023, 19.30 Uhr
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