Parteitag nach Ampel-Aus Stark-Watzinger führt hessische FDP in Bundestagswahl - und erhält Dämpfer
Die hessische FDP hat auf einem Parteitag in Wetzlar das krachende Ende der Ampel-Koalition verdaut und Aufbruchstimmung für die Bundestagswahl beschworen. Landeschefin Stark-Watzinger wurde zur Spitzenkandidatin gewählt. Ihr Ergebnis war kein Grund zur ungetrübten Freude.
Als die hessische FDP ihren Landesparteitag auf den 23. November in Wetzlar terminierte, war ihre Welt noch eine andere. Sie regierte als Teil der Ampelkoalition im Bund, und das Treffen in Mittelhessen sollte eine Bundestagswahl im Oktober des kommenden Jahres vorbereiten.
Und Landeschefin Bettina Stark-Watzinger war noch Bundesbildungsministerin im Kabinett von Olaf Scholz (SPD). Nach dem Bruch der Ampel trat sie nun als Ex-Ministerin und Oppositionspolitikerin vor die rund 300 Delegierten. Als Spitzenkandidatin will sie die hessische FDP in die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar 2025 führen.
Die 56 Jahre alte Diplom-Volkswirtin aus Bad Soden (Main-Taunus) wurde ohne Gegenkandidatur mit 82,8 Prozent der Stimmen gewählt - eine große Mehrheit, aber auch ein merklich schlechteres Ergebnis als 2021. Damals kam Stark-Watzinger mit 94,8 Prozent erstmals auf Platz 1 der Landesliste. "Diese Koalition ist nicht an der FDP gescheitert", sagte sie in ihrer Bewerbungsrede unter dem Applaus der Zuhörer.
Kampf um Wiedereinzug
Das Ende der lagerübergreifenden Koalition, der bevorstehende Kampf um den Wiedereinzug in den Bundestag nach schweren Wahlschlappen in Landtagen, schlechte Umfragewerte: Diese Lage bestimmte den Parteitag.
"Wir haben gezeigt, dass wir mit unserer politischen Existenz für unsere Überzeugungen haften", sagte Stark-Watzinger, die seit 2017 im Bundestag ist. Die Neuwahl markiere eine Richtungsentscheidung. Das Ende der Regierungszeit sei Grund zur Freude und die Chance zum Aufbruch.
SPD und Grüne hätten bewiesen, dass sie nicht die Kraft für die Reformen hätten, die Deutschland in der Krise brauche. Es sei eine "politische Bankrotterklärung", dass ihnen als Lösung stets nur neue Schulden einfielen.
Vorwürfe gegen Kanzler Scholz
SPD-Kanzler Scholz, der vor kurzem noch ihr Kabinettschef war, warf Stark-Watzinger eine "Dolchstoßlegende" vor. Er habe sich für Chaos und Diffamierung entschieden, wo sie selbst und Parteichef Christian Lindner "in Ordnung und Würde" Neuwahlen auf den Weg hätten bringen wollen.
Aber auch die Union sei als langjährige Regierungspartei maßgeblich verantwortlich für Stillstand im Land. Ihre "Lockerungsübungen an der Schuldenbremse" zeigten, dass die FDP dringend als Korrektiv gebraucht werde.
Als wesentliche Ziele und Alleinstellungsmerkmal benannte die Spitzenkandidatin mehr marktwirtschaftliche Lösungen, Steuersenkungen und Bürokratieabbau. "Das beste Demokratiefördergesetz ist eine starke Wirtschaft", sagte sie zum Erstarken des Rechtspopulismus. Leistung und Risiko dürften nicht länger bestraft werden. "Es muss in unserem Land wieder klar sein: Ohne Anstrengung geht es nicht" - so formulierte sie ihre Kritik an den aktuellen Regelungen des Bürgergelds.
Droht Halbierung?
Eine Richtungswahl wird der 23. Februar aber auch für die Listenkandidaten der Hessen-FDP. Sie stellt derzeit sieben Bundestagabgeordnete der liberalen Fraktion in Berlin. Schafft die Partei den Wiedereinzug nur knapp, droht eine Halbierung der Zahl.
Denn das Parlament wird wegen einer Reform verkleinert, und in den Umfragen bewegt sich die FDP derzeit um die Fünf-Prozent-Hürde. Bundesweit erreichte die FDP bei der Bundestagswahl vor knapp vier Jahren noch 11,4 Prozent. In Hessen schnitt sie mit 12,8 Prozent noch besser ab.
22 Kandidaten schickt die FDP bei der Bundestagswahl ins Rennen. Auf Platz zwei der Liste landete der Vize-Landesvorsitzende Thorsten Lieb. Der 51 Jahre alte Rechtsanwalt aus Frankfurt erhielt 73,5 Prozent der Stimmen. Auf dem gleichen Platz kam er 2021 zum ersten Mal in den Bundestag. Dritter auf der Liste ist mit Alexander Müller ebenfalls ein aktueller Bundestagsabgeordneter.
Mit Katja Adler zog ein weiteres Mitglied des Bundestags dagegen bei ihrer Kandidatur um Platz vier deutlich den Kürzeren. Gegen die als konservativ zählende 50-Jährige setzte sich in einer Kampfkandidatur Ernestos Varvaroussis klar mit 70,3 Prozent durch. Adler hatte in ihrer Bewerbungsrede beklagt, die FDP-Führung habe nach einer Reihe von Wahlniederlangen zu lange an einem Weiter-so und der Ampel-Koalition festgehalten. Sie hatte sich mehrfach deutlich von Ampel-Projekten distanziert und zum Beispiel als einzige in der FDP-Fraktion im Parlament gegen das Gesetz zur Cannabis-Legalisierung gestimmt.
Auch kritische Stimmen
Trotz einer weitgehend demonstrierten Geschlossenheit: Bei einer Aussprache, die deutlich länger ausfiel als geplant, wurden auch kritische Stimmen über die eigenen Positionen laut: dass der Wahlkampf nicht allein auf Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner zugespitzt werden dürfe, dass die Partei neben der Schuldenbremse auch Bürgerrechte wie die Meinungsfreiheit verteidigen müsse, dass lediglich drei Frauen Aussicht auf einen der 22 Listenplätze zu haben schienen.
Claudia Hackhausen von der FDP Wiesbaden bedauerte das Ampel-Ende: "Da wurde eine Chance vertan." Auch nach Meinung des früheren Vize-Landesvorsitzenden Lasse Becker hat die Partei Anlass zur Selbstkritik. So habe sie beim Amtsantritt der Ampel ihren früheren Fehler wiederholt, zu hohe Erwartungen zu wecken. Diese seien in einer Koalitionsregierung gar nicht zu erfüllen gewesen. Der aktuelle Leitantrag sei zum Teil so dünn und unkonkret, dass man den Eindruck haben könne, "man habe ChatGPT gefragt".
FDP-Landesgeneralsekretär Moritz Promny wies das mit einem Hinweis auf konkrete Forderungen nach Steuersenkungen für Unternehmen zurück. Dass die Wirtschaftspolitik im Zentrum des Wahlkampfes stehen müsse, habe auch Donald Trumps Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen in der USA gezeigt. "It’s the economy stupid", zitierte Promny dazu Ex-US-Präsident Bill Clinton. Die Menschen hätten Angst um den Wohlstand. Dabei gelte: "Ohne Wachstum gibt es nichts zu verteilen."
"Freiheitskämpfer" wird Ehrenvorsitzender
"Gehen wir als engagierte Freiheitskämpfer in diesen Wahlkampf!" So appellierte der langjährige FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn in einer Dankensrede an die Delegierten. Zuvor hatten die Delegierten den früheren Vize-Ministerpräsidenten zum Ehrenvorsitzenden gewählt.
Der 68-Jährige wirkt seit mehr als 50 Jahren in der FDP mit. Dreimal war er Spitzenkandidat bei Landtagswahlen, 2009 holte die Partei mit ihm 16,2 Prozent - ein laut Stark-Watzinger "für unsere Verhältnisse außerordentliches Ergebnis". Sie nannte Hahn einen "Vollblut-Landespolitiker, dessen Herz für die bürgerliche Mitte schlägt". Er schied Anfang des Jahres aus dem Landtag aus, dem er seit 1987 angehört hatte.