Urteil zu Verfassungsschutz-Überwachung Hessen-AfD klagt über "Wettbewerbsverzerrung", ihre Gegner sehen sich bestätigt

Zurecht rechtsextremer Verdachtsfall - das AfD-Urteil von Münster trifft die Partei in Hessen und ihre Selbstdeutung als "bürgerlich-konservativ" besonders. Landeschef Lambrou kritisiert Justiz und Verfassungsschutz, CDU-Innenminister Poseck spricht von einem Meilenstein.

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Es ging um die Bundespartei, aber drei Menschen aus Hessen hatten im AfD-Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) einen speziellen Auftritt: Co-Landeschef Robert Lambrou, Meysam Ehtemai und Catherine Schmiedel.

Sie versuchten als Mitglieder des AfD-nahen Vereins "Mit Migrationshintergrund für Deutschland" den wesentlichen Verdacht zu entkräften: dass die Bestrebungen ihrer Partei sich gegen die Demokratie im Allgemeinen und ein verfassungsfeindlicher Volksbegriff gegen die Menschenwürde von Migranten im Besonderen richten.

Geholfen haben die Aussagen nichts, wie sich am Montag zeigte. Das Gericht entschied auf eine Berufungsklage der AfD hin: Der Bundesverfassungsschutz darf sie und ihre Jugendorganision Junge Alternative weiterhin als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie V-Leuten, Observationen oder Abhören überwachen.

Lambrou: 99 Prozent sind einwandfrei

"Wir können dieses Urteil nicht nachvollziehen", sagte Lambrou dem hr. Er wiederholte, was schon ein Vertreter der Bundespartei angekündigt hatte: Man werde nun vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ziehen, weil zentrale Beweise der AfD für ihre Verfassungstreue nicht gewürdigt worden seien. Dort ist eine Beschwerde wegen möglicher Formfehler möglich, bevor das Urteil rechtskräftig wird.

Lambrou kritisierte Inhalt und Zeitpunkt der Entscheidung. Das Gericht habe lediglich Äußerungen einzelner AfD-Politiker herangezogen, die nicht für den bürgerlich-konservativen und freiheitlichen Kurs der Partei stünden. 99 Prozent der AfD-Mitglieder seien "absolut einwandfrei".

Faeser: Justiz ist unabhängig

Eine solche Entscheidung kurz vor der Europawahl zu treffen, sei eine "gewisse Wettbewerbsverzerrung", sagte der AfD-Landeschef. Er rechne damit, dass das OVG-Urteil die Partei Stimmen kosten könne.

Ein Teil der Wähler durchschaue inzwischen, dass der Verfassungsschutz politisch instrumentalisiert werde. Bei anderen hinterlasse das Urteil aber wohl Wirkung.

"Im Rechtsstaat entscheiden unabhängige Gerichte", betonte dagegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die hessische SPD-Politikerin fügte hinzu: Man werde die rechtliche Bewertung weiter von der politischen Auseinandersetzung in Parlamenten und öffentlichen Debatten klar trennen. Das Urteil wertete sie als Zeichen, "dass wir eine wehrhafte Demokratie sind".

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Ein bitteres Urteil für die AfD

Was genau besagt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster - und was bedeutet es für die Partei? Eine Analyse finden Sie hier bei tagesschau.de.

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In der Defensive

Die AfD war bei der Landtagswahl am 8. Oktober zweitstärkste Kraft geworden, ihre Umfragewerte sinken aber nach Berichten über sogenannte Remigrationspläne und Ermittlungen wegen Spionagevorwürfen. Beim jüngsten hr-Hessentrend verlor die AfD als einzige im Landtag vertretende Partei an Zustimmung.

Die Landespartei ist ebenfalls als rechtsextremer Verdachtsfall bewertet worden – vom dafür zuständigen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). Dagegen hatte die AfD Hessen erfolglos geklagt. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden gab im vergangenen November - kurz nach der Hessen-Wahl - dem LfV Recht. Die Sache ist vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel in die nächste Instanz gegangen.

Innenminister nicht überrascht

Gegner der AfD in der Landespolitik begrüßten die OVG-Entscheidung am Montag. Von einem "Meilenstein" sprach Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU). Das Urteil nach einem sehr gründlichen Verfahren zeige, dass der Rechtsstaat funktioniere.

Überrascht habe ihn der Ausgang nicht. "Wir sehen eine deutliche Radikalisierung, rechtsextreme Kräfte haben die Oberhand in der AfD gewonnen", sagte Poseck. In der Bundes- und Landespartei spielten gemäßigte Kräfte allenfalls noch eine untergeordnete Rolle. "Sie sind inzwischen ausgetreten, haben sich angepasst oder haben resigniert."

Aus der hessischen AfD war der Landtagsabgeordnete Dirk Gaw im Februar ausgetreten. Der Polizeibeamte bestritt, dass der Landesverband rechtsextremistisch sei, beklagte aber eine zunehmende Radikalisierung in der Gesamtpartei.

"Die AfD ist keine normale Partei" – das macht die Entscheidung von Münster nach Meinung von Grünen-Landtagsfraktionschef Mathias Wagner deutlich. Für die AfD sei es "eigentlich ganz einfach": Sie müsse sich nur klar und deutlich von rechtsextremen Umtrieben in den eigenen Reihen distanzieren.

Drei Stufen des Verfassungsschutzes

Der AfD droht nun in Bund und Land als nächster Schritt die Einstufung als gesichert rechtsextrem. Dies ist die dringlichste von drei Kategorien, die der Verfassungsschutz hat, um Bestrebungen gegen die Verfassung einzuordnen:

  • Prüffall: Der Verfassungsschutz klärt, ob sich aus Programmen, Reden, Interviews, Pressezitaten oder Internetauftritten Hinweise ergeben, dass aus seiner Sicht eine Beobachtung gerechtfertigt wäre. Er darf sich nur öffentlich zugänglicher Quellen bedienen.
  • Rechtsextremistischer Verdachtsfall: Haben sich Anhaltspunkte ergeben, stuft der Verfassungsschutz den Fall hoch. Wie derzeit im Fall der AfD können klassische Mittel des Geheimdienstes zur Beobachtung eingesetzt werden: das Anwerben von Informanten, das Observieren von Personen oder das Abhören.
  • Gesichert rechtsextrem: Die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden von den Verfassungsschützern dieser Länder schon so eingestuft. Hier steht für die Behörden die Verfassungsfeindlichkeit ihres Beobachtungsobjekts also außer Zweifel. Die nachrichtendienstlichen Mittel bleiben dieselben wie beim Verdachtsfall, aber die Hürden zu ihrem Einsatz sind tendenziell niedriger.

Antrag auf Parteiverbot angekündigt

Einen Automatismus, dass Bundes- und Landespartei demnächst als gesichert rechtsextrem höhergestuft werden, gibt es nicht. Das gilt auch für ein Parteiverbot.

Marco Wanderwitz, sächsischer CDU-Politiker und Ex-Ostbeaufragter der Bundesregierung, kündigte an, einen Antrag für ein Verbotsverfahren noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Bundestag einzubringen. Zusagen habe er bereits aus den Reihen von Union, SPD, Grünen und Linkspartei. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) warnte vor den Hürden dafür und vor falschen Hoffnungen.

Auf die Frage, wie sehr er ein Parteiverbot fürchte, ging AfD-Co-Landeschef Lambrou auf hr-Nachfrage nicht ein. Nun stehe der Antrag auf eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung einer Revision des OVG-Urteils an.

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 13.05.2024, 15 Uhr

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Quelle: hessenschau.de, dpa, AFP