Verkleinerung des Bundestags Hessische Abgeordnete wehren sich gegen Wahlrechtsreform

Die Ampel-Koalition hat am Freitag eine Reform zur Verkleinerung des Bundestags beschlossen. Davon könnten auch Mandate hessischer Abgeordneter betroffen sein. Vor allem Union und Linke sehen sich im Nachteil.

Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages.
Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Bild © picture-alliance/dpa
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Der Bundestag ist mit 736 Abgeordneten derzeit so groß wie nie zuvor. Das führt nicht nur zu steigenden Kosten, sondern auch zu logistischen Problemen. Zuletzt war es immer schwieriger geworden genügend Sitzplätze im Plenum und in den Ausschüssen zu installieren. Deshalb soll der Bundestag nun verkleinert werden.

Die Ampel-Koalition hat am Freitag eine innerhalb des Bundestags stark umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen, die die Zahl der Abgeordneten auf 630 schrumpfen lassen soll. Bislang hatten vor allem die so genannten Überhang- und Ausgleichsmandate dazu geführt, dass sich das Parlament immer weiter aufblähte. Das soll es in Zukunft nicht mehr geben.

Eine Partei bekommt nach der Reform nur noch so viele Sitze, wie ihr nach den Zweitstimmen zustehen. Sollte eine Partei mehr Direktmandate in den Wahlkreisen gewinnen, dann erhalten diese Kandidaten kein Überhangmandat mehr. Sie ziehen nicht in den Bundestag ein. Dadurch gibt es auch keine Ausgleichsmandate mehr für andere Parteien.

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Das bisherige Wahlrecht für den Bundestag

Bisher steht im Bundeswahlgesetz, dass der Bundestag 598 Sitze hat. Bei der Bundestagswahl hat jeder Wähler zwei Stimmen. Mit der Erststimme wird in den 299 Wahlkreisen je ein Direktkandidat gewählt. Die Zweitstimme geht an eine Partei. So wird entschieden, wie viele Sitze jeder Partei insgesamt zustehen. Stehen einer Partei z.B. 40 Sitze zu und sie hat 10 Direktmandate gewonnen, werden die übrigen 30 Sitze mit Kandidaten der Landesliste der Partei aufgefüllt.

Wenn eine Partei aber mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr Sitze nach Zweitstimme zustehen, gibt es so genannte Überhangmandate. Dieses Mehr bei der einen Partei wurde durch Ausgleichsmandate an die übrigen Parteien kompensiert, um das Verhältnis wieder auszugleichen. Durch diese Überhang- und Ausgleichsmandate weicht der aktuelle Bundestag inzwischen stark von der Soll-Größe ab. Anstatt von 598 Abgeordneten sitzen derzeit 736 Abgeordneten im Bundestag.

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CDU-Abgeordneter Jung: Direkter Angriff auf Union

Hätte es diese Regelung schon bei der Bundestagswahl 2021 gegeben, säßen zwei hessische Abgeordnete heute nicht über ein Ausgleichsmandat im Bundestag: Awet Tesfaiesus (Grüne) und Kaweh Mansoori (SPD). Der Abgeordnete Andreas Larem (SPD) wiederum wäre fast nicht in den Bundestag eingezogen - obwohl er ein Direktmandat in Darmstadt holte. Bei der ursprünglich mal geplanten Verkleinerung auf 598 Abgeordnete hätte er kein Mandat erhalten.

"Dass das neue Wahlsystem am Ende bedeuten könnte, dass ich einer der Verlierer bin, damit kann ich leben", sagt Larem. Man könne es eben nicht allen recht machen. Man müsse als Wahlkreiskandidat eben auch immer um die Zweitstimme kämpfen.

Kritiker werfen der SPD-geführten Ampel-Regierung unter anderem vor, sie habe die Zahl der Bundestagssitze in ihrem überarbeiteten Entwurf nur deshalb auf 630 statt 598 festgelegt, um das Risiko, bei der nächsten Wahl Abgeordnete zu verlieren, möglichst klein zu halten. Zu diesen Kritikern gehört auch der Wiesbadener CDU-Abgeordnete Ingmar Jung.

Er sieht das Gesetz sogar als direkten Angriff auf die Union, die in der Vergangenheit bundesweit oft von der Überhangsmandat-Regelung profitierte. "Da wird jetzt Politik über das Wahlrecht gemacht", urteilt Jung. Der Bundestag müsse zwar schrumpfen, allerdings hätte es seiner Meinung nach transparentere und bürgerfreundlichere Wege gegeben.

Linken-Chefin Wissler: "Das ergibt überhaupt keinen Sinn"

Die CDU hatte eine Reform mit viel weniger Wahlkreisen vorgeschlagen. Jung wiederum könnte sich noch eine radikalere Lösung vorstellen: die Abschaffung der Erststimme. "Dann wissen Sie vorher genau, wie viele Abgeordnete in den Bundestag einziehen, nämlich 598", so Jung.

Die Wähler könnten anhand der Kandidaten auf den Landeslisten der Parteien ihre Entscheidungen treffen. "Jetzt wählt er Kandidaten vor Ort, die am Ende nicht in den Bundestag einziehen, das halte ich einfach für falsch."

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Das neue Wahlrecht für den Bundestag

Der Bundestag soll künftig 630 Sitze haben, 299 werden über die Direktkandidaten (Erststimme) besetzt, 331 über die Landeslisten der Parteien (Zweitstimme). Die Überhang- und Ausgleichsmandate fallen weg. Eine Partei bekommt also nur exakt so viele Sitze, wie ihr prozentual nach Zweitstimme zustehen. Wenn eine Partei darüber hinaus Wahlkreise gewinnt, dürfen nicht mehr alle gewählten Direktkandidaten in den Bundestag einziehen.

Keinen Sitz bekommen jene Wahlkreissieger mit dem schlechtesten Ergebnis. In bestimmten Fällen könnte das dazu führen, dass einzelne Wahlkreise durch keinen Abgeordneten mehr im Bundestag vertreten sind, weder durch einen Direktkandidaten, noch über einen Listenkandidaten einer Partei.

Außerdem wird die so genannte Grundmandatsklausel abgeschafft. Sie besagt, dass eine Partei auch dann in den Bundestag einziehen darf, wenn sie zwar an der 5-Prozent-Hürde gescheitert ist, aber mindestens drei Wahlkreise gewinnt.

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Auch die Linke wehrt sich gegen die Ampel-Reform, und hat dabei noch einen weiteren Grund. Denn neben den Überhang- und Ausgleichsmandaten soll auch die so genannte Grundmandatsklausel abgeschafft werden. Die wiederum besagt, dass eine Partei auch dann in den Bundestag einziehen darf, wenn sie zwar an der 5-Prozent-Hürde gescheitert ist, aber in den Wahlkreisen mindestens drei Direktmandate gewonnen hat.

Von dieser Regelung profitiert im aktuellen Bundestag die Linkspartei. Bei der vergangenen Wahl kam sie auf 4,9 Prozent, holte aber exakt drei Direktmandate. Deshalb bekamen auch zwei hessische Linke einen Sitz im Bundestag: Ali Al-Dailami (Gießen) und Janine Wissler (Frankfurt). Die Bundesvorsitzende findet, die Wahlreform ergebe keinen Sinn.

"Wenn drei Direktkandidaten als unabhängige Bewerber ohne Partei antreten und gewinnen, dann wären sie im deutschen Bundestag", so Wissler. "Wenn sie aber für eine Partei antreten, die dann unter fünf Prozent bleibt, dann wären die Bewerber nicht mehr vertreten". Das sei absurd.

Linke und CSU vereint gegen Wahlreform

Problematisch sei zudem, dass die Reform zwei Parteien in ihrer parlamentarischen Existenz gefährde: die Linke, aber auch die bayerische CSU. "Mit diesem Wahlgesetz wäre es sogar möglich, dass eine Partei wie die CSU alle Direktmandate in Bayern gewinnt, aber bei der Zweitstimme so schwach ist, dass das unter fünf Prozent bundesweit ist", so Wissler. "Damit wäre dann ja fast ein ganzes Bundesland nicht vertreten, das ergibt überhaupt keinen Sinn."

Sowohl die Linkspartei als auch die CSU denken bereits laut über eine Klage gegen die Wahlrechtsreform vor dem Bundesverfassungsgericht nach. Auch der hessische CDU-Abgeordnete Ingmar Jung hat verfassungsrechtliche Bedenken.

Am Ende könnte das Ampel-Gesetz also noch vor der ersten Anwendung von Deutschlands oberstem Gericht kassiert werden. Dann müsste eine neue Lösung her, um den Bundestag zu schrumpfen.

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Sendung: hr-iNFO, 17.03.2023, 6.10 Uhr

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Quelle: hessenschau.de