Personalmangel und lange Wartezeiten Viele Ausländerbehörden in Hessen unter Druck
Nicht nur in Frankfurt und Darmstadt, sondern auch andernorts in Hessen sind die Ausländerbehörden überlastet. Während das Personal weniger wird, nehmen die Anträge zu. Auf der anderen Seite wird die Forderung lauter, dass sich schnell etwas ändern muss.
Keine Aufenthaltsgenehmigung, kein Job, keine Wohnung. Wenn es hart auf hart kommt, ist das die Verkettung von Notlagen, in die Menschen geraten können, wenn die für sie zuständige Ausländerbehörde zu stark überlastet ist. Im vergangenen November hatten mehrere Betroffene dem hr erzählt, welche Probleme bei ihnen entstanden sind, weil sich bei der Frankfurter Ausländerbehörde 15.000 unbearbeitete Anfragen stauten.
Danach sind immer wieder neue Fälle öffentlich geworden, zum Beispiel dieser: Die Organisation Pro Asyl berichtet in dieser Woche von einem 16-Jährigen aus Afghanistan. Seit acht Monaten lebe er in Deutschland, dürfe aber seitdem nicht zur Schule gehen, weil er bei der Behörde keinen Termin bekomme.
Die Kritik an der Ausländerbehörde ist nicht neu, schon seit Jahren gibt es immer wieder Beschwerden. Ähnlich ist es bei der Darmstädter Ausländerbehörde. Die beiden Städte sind offenbar Extremfälle, aber keine Einzelfälle. Eine Abfrage bei weiteren Behörden in unterschiedlichen Teilen Hessens zeigt, dass alle von ihnen aktuell mindestens "stark belastet" sind.
Wetzlar: zu überlastet, um Anfrage zu beantworten
Mehrere Behörden verweisen auf die große Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine, aber auch die generell steigenden Flüchtlingszahlen aus anderen Kriegs- und Krisengebieten der Erde wie Syrien und Afghanistan. Aktuell kämen Anträge von Menschen aus dem Erdbebengebiet in der Türkei und Syrien dazu, heißt es aus der Behörde in Hersfeld-Rotenburg.
Der Landkreis in Marburg-Biedenkopf schreibt beispielsweise von einer Arbeitsbelastung, die nur durch den "hohen persönlichen Einsatz" der Mitarbeitenden bewältigt werden könne. Die Behörde in Wetzlar antwortet auf die Anfrage, sie sei nicht in der Lage ausführlich zu antworten, nur soviel: "Die Ausländerbehörde der Stadt Wetzlar ist definitiv überlastet. Sie hat zu wenig Personal und es gibt zu viele Anträge."
Fast überall unbesetzte Stellen
Das Personalproblem kennt fast jede der kontaktierten Behörden, die meisten Städte und Kreise berichten von mehreren unbesetzten Stellen. Wenn es dann neues Personal gibt, muss dieses erst eingearbeitet werden. Und auch das kostet Zeit, laut dem Landkreis Hersfeld-Rotenburg muss mit etwa sechs Monaten geplant werden.
Dass ein Sachbearbeiter oder eine Sachbearbeiterin für mehr als 1.000 Fälle gleichzeitig zuständig ist, scheint eher die Regel als die Ausnahme zu sein. In Hersfeld-Rotenburg liegt die Rate seit den vergangenen sechs Monaten sogar bei etwa 3.000 Fällen – "aufgrund von Personalausfällen und Problemen bei der Nachbesetzung", heißt es. Die "normale" Fallzahl dort liege bei 2.200 bis 2.300 Fällen pro Person.
"Offenbar kein beliebter Arbeitsplatz"
Auch der Hessische Flüchtlingsrat beobachtet die Situation bei den hessischen Ausländerbehörden schon seit Jahren. "Innerhalb der Verwaltung ist die Ausländerbehörde offenbar oft kein besonders beliebter Arbeitsplatz", sagt Geschäftsführer Timmo Scherenberg. "Da gibt es viel Stress und man muss mit einer sehr komplizierten und sich ständig verändernden Rechtslage umgehen." Manchmal sei zudem die Bezahlung geringer als in anderen Verwaltungen.
"Das Thema Fachkräftemangel hat man ja überall", sagt die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith. Umso absurder sei es, dass viele Menschen nicht arbeiten könnten, weil ihr Aufenthaltsstatus es ihnen verbiete - oder weil sie erst gar keine Termine bei der Ausländerbehörde bekommen.
Große Unterschiede bei Wartezeiten
Aktuell unterscheiden sich die Wartezeiten auf Termine zwischen den einzelnen Behörden in Hessen teils stark. Die Ausländerbehörde Fulda gibt an, dass sie von selbst aktiv werde und drei Monate vor Ablauf eines Aufenthaltstitels Termine für die Verlängerung verschicke. "Insofern ergeben sich keine Wartezeiten", schreibt eine Sprecherin des Landkreises.
Viele Behörden versuchen, bei der Terminvergabe zwischen besonders eiligen und weniger dringenden Anliegen zu unterscheiden, zu priorisieren und für Notfälle kurzfristige Kapazitäten freizuhalten. Mancherorts, zum Beispiel in Frankfurt, kommt nur ins Gebäude, wer einen vereinbarten Termin hat - auf den man Wochen oder Monate wartet. An anderen Orten wie in Darmstadt gibt es jeden Tag lange Schlangen vor Ort und Wartezettel statt einer geregelten Online-Terminvergabe.
Kann Digitalisierung helfen?
Bei der Ausländerbehörde in Marburg lag die Wartezeit auf einen Termin nach Angaben der Stadt vor wenigen Jahren noch bei bis zu sechs Monaten, inzwischen habe man diese immerhin auf rund fünf Wochen reduzieren können. Geholfen habe die Bereitstellung von verschiedenen Onlinediensten. Neben der Online-Terminvereinbarung sei es seit dem vergangenen Jahr möglich, verschiedene Anträge - etwa zur Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis - online zu stellen.
Während einige Kommunen wie der Wetteraukreis oder der Vogelsbergkreis noch an der Digitalisierung ihrer Aktenbestände arbeiten, hat die Marburger Behörde ihre Akten bereits seit September 2019 vollständig digitalisiert. Viel Zeit bliebt Behörden, die noch hinterherhängen, nicht: Nach Vorgaben der Landesregierung soll die Einführung der elektronischen Ausländerakte bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Bessere Information vorab gefordert
Aus der Sicht von Pro Asyl könnten mehr digitale Angebote etwa für Anträge unter Umständen helfen, die Behörden zu entlasten. Grundsätzlich müsse jedoch die Terminvorbereitung für Ausländerinnen und Ausländer vereinfacht werden. Das fordert auch Jumas Medoff von der Kommunalen Ausländervertretung in Frankfurt.
Auf der Webseite der Frankfurter Ausländerbehörde gebe es die wichtigsten Infos und Formulare nur auf Deutsch oder Englisch, nicht in den meist gesprochenen Herkunftssprachen. Auch eine Antwort auf die Frage, ob ein Dolmetscher zum Termin mitgebracht werden dürfe, sei nirgendwo zu finden. "So etwas kostet Zeit und führt zu unnötigen Diskussionen vor Ort", sagt er.
Bislang hätten solche Vorschläge der KAV bei den Zuständigen in Frankfurt wenig Beachtung gefunden, kritisiert Medoff. Nach den Vorwürfen im November 2022 hatte das Ordnungsdezernat der Stadt angekündigt, die Probleme in Angriff zu nehmen.
Frankfurt: "Leichte Verbesserung" für internationale Studierende
Die Abteilung der Frankfurter Goethe-Universität, die für internationale Studierende und Forschende zuständig ist, hatte die Situation in der Frankfurter Ausländerbehörde im November ebenfalls stark kritisiert. Gemeinsam mit anderen Hochschulen habe inzwischen ein "sehr enger und konstruktiver Austausch" mit der Ausländerbehörde stattgefunden, heißt es von der Universität. Die Situation habe sich insgesamt leicht verbessert, unter anderem dadurch, dass in der Behörde die länger unbesetzte Stelle zur Leitung für das Team Studium und Ausbildung wieder besetzt worden sei.
Das Ordnungsamt der Stadt Frankfurt teilte auf Anfrage im Januar mit, es sei zu früh für eine Zwischenbilanz zu den Entwicklungen seit November. Ende Februar werde man sich erneut öffentlich äußern.
Pro Asyl fordert, Verfahren zu vereinfachen
Die Organisation Pro Asyl richtet ihre Forderungen derweil auch nach Berlin. "Wenn die Verwaltung an bestimmten Stellen nicht funktioniert, werden auch die zentralen Projekte der Bundesregierung im Migrationsbereich nicht funktionieren", sagt Judith. Sie fordert deshalb auch, die Verfahren grundsätzlich zu vereinfachen.
Etwa bei bestimmten Herkunftsländern wie Eritrea oder Afghanistan, für die es nicht zumutbar oder gar nicht möglich ist, einen neuen Pass zu bekommen. Trotzdem würden die Ausländerbehörden von Eritreern oder Afghanen mit einem abgelaufenen Pass oft individuelle Nachweise verlangen, dass sie es zumindest versucht haben.
Duldungen könnten außerdem für längere Zeiträume ausgestellt werden, meint Judith. So könne sich die Zahl der erforderlichen Termine bei der Behörde verringern und damit auch die Arbeitsbelastung sinken.
Im aktuellen Fall des 16-jährigen Afghanen, der wegen des fehlenden Aufenthaltstitels nicht zur Schule gehen kann, scheiterte es bisher daran, überhaupt einen ersten Termin bei der Frankfurter Ausländerbehörde zu bekommen. Nach über acht Monaten, einen Tag nachdem Pro Asyl seinen Fall öffentlich machte, habe es dann eine neue Wendung gegeben, berichtet seine Beraterin bei der Menschenrechtsorganisation am Donnerstag. "Vorgestern hat er einen Termin bekommen."