Kampfabstimmung um Parteispitze FDP will mit neuem Landesvorsitzenden aus der Krise
Den Einzug in den Bundestag nach dem Ampel-Desaster verfehlt, im Landtag geschwächt: In ihrer tiefen Krise stellt sich die FDP auch in Hessen neu auf. Beim Parteitag kommt es zu einer Auseinandersetzung mit Seltensheitswert.
Wenn sich zwei um die Parteiführung streiten, muss das kein Krisensymptom sein. Ist es aber vielleicht - vor allem, wenn es wie bei den hessischen Liberalen nur jedes halbe Jahrhundert mal so weit kommt.
Der 44 Jahre alte Generalsekretär und Landtagsabgeordnete Moritz Promny will am Samstag in Hofheim von den 300 Delegierten zum neuen Vorsitzenden der FDP Hessen gewählt werden - als Nachfolger von Ex-Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger. Sein Gegner ist Vize-FDP-Landeschef Thorsten Lieb. Der 52-Jährige ist bei der Wahl am 23. Februar mit der ganzen Fraktion aus dem Bundestag geflogen.
Eine solche Kampfkandidatur um die Führung hat der FDP-Landesverband zuletzt 1977 erlebt. Damals wie heute wurde aus einer tiefen Wirtschaftskrise eine Umbruchszeit für die gesamte Partei. Nur ist 2025 die Sorge höher, dass ein Zusammenbruch für die Liberalen daraus werden könne.
Tiefschlag als Investition
Vor 47 Jahren setzte sich Ekkehard Gries als Landesvorsitzender gegen Klaus-Jürgen Hoffie durch. In Land und Bund regierten damals sozial-liberale Koalitionen, die aber zunehmend bröckelten.
Als die FDP dann von der SPD zur CDU wechselte, flog sie 1982 erst einmal aus dem Landtag. Gries kostete das seinen Posten als Innenminister, Hoffie das Amt des Wirtschaftsministers.
Der Tiefschlag erwies sich parteistrategisch als Investition in die Zukunft: Wie im Bund folgten für die FDP als Partnerin der Union in Hessen viele Jahre als Regierungspartei. Doch dafür kommt die Partei aktuell weder in Wiesbaden noch in Berlin in Frage.
Abgang nach Wahldebakel
Der Parteitag am Samstag findet in einer Situation der Sorge der Liberalen statt, die Wähler könnten die FDP dauerhaft weder für regierungsfähig noch für parlamentsfähig halten. Als nächste Wegmarke steht in Hessen in einem Jahr die Kommunalwahl an. Dafür wird eine neue Führung gebraucht, nachdem die alte aufgegeben hat.
Wegen des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl erklärte Ex-Ampelministerin Stark-Watzinger, dass sie den Landesvorsitz abgeben wird. Schließlich setze die FDP auf Eigenverantwortung, wiederholte sie am Freitag: "Daher war es selbstverständlich für mich, Verantwortung für die Niederlage zu übernehmen."
Stark-Watzinger hält es auf diese Weise mit Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner, der sich als Chef der Bundespartei ebenfalls zurückzieht. Mitte Mai wählt die Bundespartei einen neuen Vorsitzenden.
Schock, Hoffnung, Ängste
2013 hat die FDP schon einmal den Schock erlebt, als Regierungspartei aus dem Bundestag zu fliegen. Auch bei Landtagswahlen in Hessen war es immer wieder einmal knapp - 1982 reichte es gar nicht. Dass es immer wieder aufwärts ging und politische Stimmungslagen volatiler als früher sind, lässt viele in der Partei hoffen.
Und der Mitgliederschwund ist zwar auch im FDP-Landesverband schmerzhaft spürbar: Vom Beginn der Ampelregierung im Dezember 2021 bis zu ihrem Ende sank die Zahl seiner Mitglieder um rund 1.000 auf gut 6.700. Aber das sind immer noch mehr als vor zehn Jahren. Und seit ein paar Wochen verzeichnet man ein zartes Plus.
Ängstlicher als nach früheren Rückschlägen macht die Liberalen jedoch, dass sich die Parteienlandschaft vor allem durch den AfD-Aufstieg verändert hat. Zahlreiche Anträge für Samstag befassen sich mit Grundsatzfragen. Zu klären ist: Wo genau steht die FDP überhaupt?
Neuanfang mit nicht ganz neuem Personal
In den Landtag rutschte die Partei vor eineinhalb Jahren immerhin noch, aber nur gerade so eben mit 5,0 Prozent. Der Wunsch, als Dritte im Bund für eine Regierung mit CDU und SPD benötigt zu werden, erfüllte sich nicht.
Das verlängerte die seit 2014 währende Zeit der Opposition um weitere fünf Jahre. Acht Abgeordnete hat die Fraktion in Wiesbaden noch. Einer ihrer stellvertretenden Vorsitzenden ist Moritz Promny.
Sein Kontrahent Lieb ist ebenfalls Jurist - und das nach dem Desaster bei der Bundestagswahl inzwischen wieder hauptberuflich als Partner einer Wirtschaftskanzlei in Frankfurt.
Beide Bewerber gehören bereits dem Landesvorstand an. Der 44-jährige Promny ist seit sechs Jahren Generalsekretär, Mitglied im Bundesvorstand ist er auch. Lieb ist stellvertretender Landeschef.
Für ein völligen personellen Neuanfang stehen sie damit nicht. Mit Kontinuität warb angesichts der Krisenstimmung keiner der beiden, als sie sich in den vergangenen Wochen vor Ort oder bei Online-Schalten den Fragen der Basis in den Kreisverbänden stellten.
Urwahl und Egoismus
Promny fordert, "jeden Stein umzudrehen, die Ärmel hochzukrempen und einen echten Neustart zu wagen". Er hat einen eigenen Antrag dazu für den Parteitag vorgelegt.
Der Landtagsabgeordnete will die Partei und ihren Apparat moderner, agiler und digitaler aufstellen - und basisdemokratischer. So soll darüber diskutiert werden, ob künftige Parteivorsitzende nicht per Urwahl von allen Mitgliedern bestimmt werden.
Auch von Lieb liegt den Delegierten ein Antrag vor: Ein neues Grundsatzprogramm für die Bundespartei müsse her. Das alte stammt aus dem Jahr 2012.
Der Ex-Bundestagsabgeordnete, der dem Haushaltsausschuss angehörte, wünscht sich darin unter anderem mehr "gesunden Egoismus". Er will, dass die FDP klarer und schärfer ihre liberalen Prinzipien vermittelt. "Wir haben zuletzt zu wenig verstanden, für Freiheit als Lebensgefühl zu begeistern", sagt er.
Keine Brandmauer-Debatte?
Scharfe inhaltliche Differenzen sind zwischen den beiden Kandidaten nicht auszumachen. Es ist auch nicht ausgemacht, ob die gerade von der Liberalen Mitte als rechtem Parteiflügel auf Bundesebene angestoßene Debatte um eine Annäherung an die AfD eine Rolle in Hofheim spielen wird.
In dem Richtungsstreit kurz vor dem Bundesparteitag zählt laut Bild-Zeitung die Ex-Bundestagsabgeordnete Katja Adler aus Oberursel (Hochtaunus) zu denen, die eine schärfere Migrationspolitik und ein Ende der Brandmauer zur AfD fordern. Aus der Hessen-FDP wurde dafür noch keine weitere nennenswerte Unterstützung laut.
Als sich Adler vor der jüngsten Bundestagswahl beim Nominierungsparteitag in Wetzlar als frühe interne Kritikerin der Ampel-Koalition präsentierte, half ihr das nichts: Ihre Bewerbung für die Landesliste scheiterte klar.
Knappes Rennen erwartet
Die Aussichten, die Promny und Lieb jeweils haben, werden in der Partei unterschiedlich eingeschätzt: Viele gehen von einem knappen Rennen aus.
Manche sehen Lieb im Vorteil. Zum Beispiel, weil Promny in den vergangenen Jahren als Generalsekretär ein Führungsduo mit der gescheiterten Stark-Watzinger bildete und in Mithaftung für die Entwicklung genommen werden könnte.
Disharmonie im Landtag
Auch dass sein Fraktionsposten Promny stärkt, ist nach dieser Lesart nicht ausgemacht: Die FDP muss sich im Landtag nach einem Macht- und Richtungsstreit erst noch zusammenraufen. Die schweren Spannungen traten öffentlich bei einer gemeinsamen Abstimmung mit den Grünen über den Untersuchungsausschuss zur Entlassungsaffäre im Wirtschaftsministerium zu Tage.
Drei Abgeordnete drohten, die Linie der Fraktion in dieser Frage zu verlassen. Mit dabei: Ex-Fraktionschef René Rock. Unter der Parteivorsitzenden Stark-Watzinger war er vor der Landtagswahl 2023 als Spitzenkandidat durch Stefan Naas ersetzt worden. Auch den Fraktionsvorsitz verlor Rock. Naas wurde einer von zwei Co-Vorsitzenden.
Rückhalt durch den zweiten Mann?
Lieb war Mitglied der Bundestagsfraktion, der die Ampel-Koalition um die Ohren flog, und darunter hat auch seine Bilanz gelitten. Sein Lager setzt unter anderem darauf, dass er als Frankfurter FDP-Vorsitzender viel Rückhalt aus dem dortigen Kreisverband und dem übergeordneten Parteibezirk Rhein-Main hat - beide sind die jeweils mitgliederstärksten in Hessen.
Außerdem kann sich bei der Abstimmung niederschlagen, dass der neue FDP-Chef am Samstag direkt seinen Kandidaten für den Generalsekretärsposten zur Wahl vorschlagen darf. Lieb hat dafür seinen früheren Bundestagsfraktionskollegen Alexander Müller angekündigt. Er gehört zur FDP Westhessen, dem zweitgrößten Parteibezirk. Promny hat sich Tim Hordorff ausgesucht, den Landesvorsitzenden der Jungliberalen.
Sprach man in den vergangenen Tagen mit führenden Vertretern der Partei, erwartete niemand eine hässliche Auseinandersetzung beim Landesparteitag. Schon der Wahlkampf sei sachlich und sauber gewesen. Dass es in der tiefen Krise zu dieser Kampfkandidatur kommt, kann man als FDPler dieser Tage sogar als Zeichen der Hoffnung auslegen.
Es seien schließlich zwei integre und vorzeigbare Kandidaten, sagte einer. Und es spreche doch für die Partei, dass sich in dieser Lage zwei solche Männer überhaupt für das Ehrenamt zur Verfügung stellten.