Wagenknecht in Kassel Abrüstung, Grünen-Bashing und ein bisschen Frieden

Sahra Wagenknecht will mit ihrem Bündnis in den Bundestag. Zwar sieht es in den Umfragen aktuell eher mau aus. In Kassel zeigt sich aber: Die Parteivorsitzende kann große Säle füllen - auch mit der Hoffnung auf etwas Frieden in der Welt.

Sahra Wagenknecht steht auf einer Bühne und hält eine Rede, im Vordergrund sind Silhouetten von Zuhörern zu erkennen
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht auf der Wahlkampfveranstaltung in Kassel. Bild © picture alliance/dpa | Swen Pförtner
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Sahra Wagenknecht auf Wahlkampftour in Kassel

Moderatorin vor Bild aus Wahlkampf von Sahra Wagenknecht
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Was liefert das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das andere Parteien nicht zu bieten haben? Diese Frage muss die Namensgeberin und Co-Vorsitzende des BSW beantworten, will sie bei der anstehenden Wahl den Einzug in den Bundestag schaffen. In aktuellen Umfragen schlängelt sich die vor gut einem Jahr gegründete Partei um die 5-Prozent-Marke herum. Tendenz fallend.

Menschen anlocken kann Wagenknecht. Das zeigt sich am Mittwochabend in Kassel verlässlich, der Saal im Kongress Palais mit über 1.500 Plätzen ist fast voll. Wagenknecht redet 50 statt der versprochenen 30 Minuten. Am Ende bleibt vor allem ein großes Versprechen: "Wir sind die einzigen, die nicht aufrüsten wollen", sagt Wagenknecht.

Die Friedensbotschafter

Viele, die gekommen sind, wollen nach eigener Auskunft vor allem eins: Frieden. Das Wort steht überall im Land seit Wochen in großen Lettern auf BSW-Plakaten mit Wagenknechts Gesicht.

Niemand von der politischen Konkurrenz würde von sich behaupten, Krieg zu wollen. Aber Wagenknecht nützt das Thema, es ist ihr Markenkern geworden, die Lücke, die sie füllen will. Sie gibt sich überzeugt: Im Ukraine-Krieg helfen nur Diplomatie und Verhandlungen, keine Milliardenbudgets für Rüstung, keine Waffenlieferungen.

Dass sie damit von Anfang an richtig gelegen habe, bescheinigt sich Wagenknecht in Kassel mehrfach selbst: Drei Jahre Krieg hätten zwischen der Ukraine und Russland ganz offensichtlich keinen Frieden gebracht. Ob im Umkehrschluss ohne Waffenlieferungen der Frieden käme, ist freilich unklar. Im Publikum herrscht aber Hoffnung: Bei sämtlichen Anti-Kriegsthesen kommt an diesem Abend viel Applaus. Dass Kritiker dem BSW und Wagenknecht eine ungesunde Russlandnähe und das Verbreiten von Desinformation im Sinne Putins vorwerfen, spielt hier freilich keine Rolle.

Die Angst vorm Krieg

"Es ist gut möglich, dass Merz das Tor zur Hölle öffnet", greift Wagenknecht den Kanzlerkandiaten der Union mit scharfen Worten an. Aber nicht, weil er mit Stimmen der AfD - und dem BSW - zuletzt einen Antrag zur verschärften Migrationspolitik in den Bundestag einbrachte, sondern weil Merz' Politik Krieg bedeuten könne, sagt Wagenknecht.

Sie spricht an diesem Abend souverän, frei, kühle Professionalität. Reden kann Wagenknecht, das hat sie in vielen Talkshows und im Bundestag immer wieder bewiesen. Sie kämpft aber in diesem Wahlkampf nicht nur für Stimmen, sondern auch um die Existenz ihrer Partei. Diese Herausforderung hat sie sich zuletzt selbst gesetzt: Ihre eigene Zukunft und die der Partei hänge an der Frage, ob sie den Sprung in den Bundestag schafft, erklärte sie.

Die drohende Fünf-Prozent-Hürde

Woran also, neben der Friedens-Agenda, klammert sich das BSW im Rennen um fünf Prozent? Viele Felder sind im Wahlkampf schon besetzt von anderen: Das Thema Migration hat die Union zuletzt mit scharfer Rhetorik dominiert, flankiert von der AfD, die im Bundestag Beifall klatschte und betont, sie sei quasi die Erfinderin dieser Forderungen.

Dass auch Anhänger des BSW für den Antrag der Union für eine Verschärfung der Zuwanderung stimmten und auch Wagenknecht in gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD keinen Tabubruch sieht, wurde im Lärm der Debatte fast zu einer Fußnote. Gleichzeitig ist Wagenknechts ehemalige Partei, die Linke, in den Umfragen im Aufwind. Sie besetzt inhaltlich traditionell Soziales, Mieten, Löhne.

Der Gegenwind bläst

Gegenüber vom Kongress Palais in Kassel hängt an diesem Abend ein Plakat an einem Balkon: "BSW spaltet" und "gegen Populismus und Personenkult", soziale Gerechtigkeit gebe es nur mit der Linken, heißt es da.

So etwas ist die Ex-Linke Wagenknecht gewohnt, in Kassel spricht sie vom Gegenwind, der ihrer Partei ins Gesicht wehe - und entkräftet dann im ersten Teil ihrer Rede den Vorwurf vom Plakat vorm Gebäude.

Statt über Krieg und Frieden redet sie am Anfang mehr als eine halbe Stunde vor allem über Soziales: Dass Krankenhäuser nicht nach Profitstreben ausgerichtet sein sollen. Die zu niedrigen Renten, bei denen sich Deutschland das Nachbarland Österreich zum Vorbild nehmen solle, wo die Rentenbeiträge zwar höher seien, aber die Renten dafür umso besser.

Protest vor der Tür von Anhängern der Linken gegen Wageknecht
Protest vor der Tür von Anhängern der Linken gegen Wageknecht Bild © hr

Wagenknecht greift die Grünen an

In Deutschland hingegen lebten viele Rentner unter der Armutsgrenze, weil "rückgratlose Politiker im Amt" seien, die sich von der Finanzlobby vorschreiben ließen, welche Rentenpolitik gemacht werde, sagt Wagenknecht.

Und die Millionen Menschen im Land, die nicht mal 15 Euro Stundenlohn bekämen, müssten sich von Politikern wie dem CDU-Kanzlerkandidaten Merz anhören, es fehle die Motivation, mehr zu arbeiten, kritisiert Wagenknecht. "Woher soll diese Motivation kommen?" Dann schießt sie sich auf die Partei ein, die von ihr an diesem Abend am meisten Kritik einstecken muss: die Grünen.

Die werben derzeit auch mit einem höheren Mindestlohn um Stimmen. Laut Wagenknecht hätten sie dazu allerdings während der Ampel-Regierung genug Zeit gehabt, hätte man nicht den FDP-Finanzminister sein Ding durchziehen lassen: "Die können sich doch nicht hinter dem kleinen, mickrigen Herrn Lindner verstecken."

Wagenknecht: "Was ist klimaschädlicher als Waffen und Kampfjets?"

Die Mieten seien viel zu hoch und müssten in größeren Städten für fünf Jahre eingefroren werden, der Staat finanziere mit Sozialausgaben, die auch für Mietzuschüsse aufgewendet werden, die "Immobilienlobby". Viele im Saal klatschen bei diesen Themen. Die Forderungen könnten aber auch genau so gut von der Linken kommen.

Wagenknecht attackiert an diesem Abend immer wieder die Konkurrenz, aber nicht alle bekommen gleich viel ab: Die AfD lässt Wagenknecht an diesem Abend nahezu rechts liegen, die CDU kritisiert sie für ihre Ideenlosigkeit bei der Frage, wo günstige Energie herkommen soll, die SPD und die Linke straft sie fast gänzlich mit Ignoranz.

Die Grünen greift sie hingegen immer wieder scharf an: "Was ist klimaschädlicher als Waffen und Kampfjets?", pfeffert Wagenknecht in den Saal. Dass die Grünen für Waffenlieferungen sind, sei "ein Anschlag auf das Klima". E-Autos könne sich auch fast keiner leisten, und für die Deutsche Bahn habe die Habeck-Partei auch nichts getan.

Auf Stimmenfang mit Grünen-Bashing

Es wirkt wie der etwas hilflose Versuch, die Grünen mit ihrem Gründungsmythos als Friedenspartei und der selbsterklärten Klima-Partei-Kernkompetenz im gleichen Atemzug zu vernichten. "Hypermoral, Selbststilisierung als gute Menschen und gleichzeitig brutale Politik", attestiert Wagenknecht den Grünen.

Vielleicht hofft Wagenknecht mit Grünen-Bashing noch ein paar Stimmen mehr zu bekommen, aber auch dieses Thema wurde in der Vergangenheit schon durch andere besetzt, von Merz und seiner Union etwa. Vielleicht geht es aber auch um Abgrenzung und ein paar Stimmen mehr: Falls die Friedensbewegten mit weißer Taube als Anstecker, von denen es im Publikum einige gibt, noch überlegen sollten, ihr Kreuz doch bei den Grünen zu setzen.

Lange Schlange für ein paar Promi-Selfies

Für Wagenknecht ist Kassel ein Erfolg, der Saal ist voll, die Zustimmung gemessen am Applaus groß. Mehr als hundert Menschen stehen am Ende geduldig in einer Schlange: Es ist Selfie-Zeit.

Wagenknecht Kassel
Bitte Lächeln: Die Selfie-Schlange führt einmal durch den Saal. Bild © hr

Nicht alle in der Schlange wollen nach eigener Auskunft sicher BSW wählen, aber keiner will ohne Foto mit Wagenknecht nach Hause. Etwa 20 Minuten hält sie mit etwas gequältem Lächeln für die Handybilder durch. Die Schlange reicht da immer noch bis in den Flur. Dann kommt die Durchsage: Die Parteichefin muss jetzt leider los.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de