Wahl-o-mat für vier hessische Städte Make Kommunalwahl sexy: Diese App spricht vor allem junge Wähler an
Wie lassen sich junge Menschen für die Kommunalwahl begeistern? In Frankfurt, Offenbach, Marburg und Fulda soll die App "Voto" Erstwählern Orientierung bieten. Das funktioniere aber nur mit der Hilfe der Kandidaten, erklärt einer der Entwickler.
4,7 Millionen Hessinnen und Hessen sind am 14. März bei der Kommunalwahl aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Die rund 98.000 Erstwähler haben es dabei besonders schwer. Denn mit dem "Kumulieren" und "Panaschieren" ist das Wahlrecht komplizierter als zum Beispiel bei einer Bundestagswahl. Drei junge Gründer aus Stuttgart haben deshalb eine App entwickelt, mit der sie die Kandidatinnen und Kandidaten in Frankfurt, Fulda, Marburg und Offenbach spielerisch vorstellen. Ein Interview mit Entwickler Julius Oblong über Chancen und Hürden der App.
hessenschau.de: Mit "Voto" möchten Sie vor allem junge Menschen dazu bringen, sich über die Kommunalwahl und die Kandidaten zu informieren. Warum braucht es eine eigene App?
Julius Oblong: Junge Leute wählen deutlich seltener als ältere Menschen. Bei der letzten Kommunalwahl in Hessen sind nur 30 Prozent der unter 30-Jährigen wählen gegangen (insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 48 Prozent, Anm. d. Red.), in Offenbach war die Wahlbeteiligung sogar noch geringer. Deswegen denken wir, dass man gesonderte Angebote schaffen muss, um junge Leute für Kommunalpolitik zu begeistern.
hessenschau.de: Wie genau wollen Sie das erreichen?
Oblong: Wir haben Interviews mit jungen Leuten geführt, um herauszufinden, warum sie kaum Interesse an Kommunalpolitik haben. Ein Grund war dabei, dass die Sprache der Jüngeren nicht gesprochen wird. Wenn von Verwaltungsvorlagen, Bauplänen oder Anträgen die Rede ist, dann ist jemandem, der sich damit nicht so intensiv beschäftigt, nicht klar, wieso das für sein Leben relevant sein sollte. Da muss man irgendwie eine Brücke schlagen und die Hürde senken.
Und da es bisher keinen Wahl-o-mat für Kommunalpolitik gibt, obwohl das Wahlsystem mit Kumulieren und Panaschieren und wegen der vielen Kandidaten kompliziert ist, haben wir gedacht: Wir bauen einen Wahl-o-mat, der die Komplexität reduziert und ein spielerisches Angebot schafft – und dabei so gestaltet ist, dass es Spaß macht, ihn zu nutzen.
hessenschau.de: Ähnlich wie beim Wahl-o-mat, den man von Bundestagswahlen kennt, zeigt die App Thesen an, denen man zustimmen oder die man ablehnen kann. Wie wird dabei sichergestellt, dass wichtige lokale Themen aus den einzelnen Städten abgedeckt werden? In Marburg werden ja ganz andere Dinge diskutiert als in Fulda.
Oblong: Wir haben im Januar Workshops mit Jugendlichen aus Marburg, Fulda und Offenbach, jeweils einem Lokaljournalisten und zwei Politikwissenschaftlern gemacht, um die Thesen zu erarbeiten. Dabei haben wir Brückenthesen aus dem Kommunalwahlkompass übernommen, zum Beispiel: "Die Innenstadt soll autofrei sein." Das ist wahrscheinlich in jeder Stadt ein Konfliktpunkt.
Und dann gibt es Themen, die nur in bestimmten Städten eine Rolle spielen. In Fulda fragen wir zum Beispiel, ob es ein Jugendparlament geben sollte. Das hat Marburg schon. "Wegen der Verkehrsprobleme sollte der Behringtunnel gebaut werden", lautet dafür in Marburg eine These.
hessenschau.de: Aber die Politiker selbst konnten keine Thesen ergänzen? Wie wird gewährleistet, dass sich die Themen aller Parteien bei Voto wiederfinden?
Oblong: Wir haben vor den Workshops alle Parteien, von denen wir damals wussten, dass sie antreten würden, gebeten, uns ihre Parteiprogramme zu schicken oder Themen zu nennen.
Unsere Politikwissenschaftler haben darauf geachtet, dass mit den Brückenthesen alle Politikfelder abgedeckt werden. Aber es gab keine Kontrolle in dem Sinne, dass wir nochmal gezielt auf die Wahlprogramme geschaut haben. Die waren teilweise auch gar nicht fertig, als wir die Thesen aufgestellt haben.
hessenschau.de: Anders als beim Wahl-o-mat zeigt Voto bei der Auswertung aber keine Parteien, sondern einzelne Kandidaten an.
Oblong: Wir zeigen eine Liste von Kandidaten, die man mindestens wählen kann, wenn man drei Stimmen kumulieren würde. In Frankfurt sind es knapp 30 Namen, die einem angezeigt werden. In Fulda ist das Stadtparlament kleiner, da wären es dann etwa 20 Kandidaten.
Man kann Kandidaten aber auch auf die Ersatzbank schicken. Dann fallen sie aus der Liste raus, und es rutschen neue Kandidaten nach. Und man kann sich alle anderen Kandidaten anschauen, die nicht zu den Top 20 gehören. Da gibt es keine Begrenzung.
hessenschau.de: Kritiker könnten einwenden, die App sei zu spielerisch oder Sie würden eine so wichtige Entscheidung wie die Wahl damit auf die leichte Schulter nehmen.
Oblong: Das stimmt natürlich, aber das ist auch gerade die Idee, die Einstiegshürde zu senken. Nicht jeder hat Zeit oder Lust, sich mit Kommunalpolitik auseinanderzusetzen. Aber es gehen natürlich Schattierungen beim ersten Ausfüllen verloren. Genau aus diesem Grund versuchen wir einen zweistufigen Ansatz zu fahren. Also wir machen es zuerst einfacher, indem wir die Themen runterbrechen.
Aber dann, wenn das Interesse geweckt ist, kann man sich die Profile der Kandidaten noch genauer anschauen. Die Kandidaten haben die Möglichkeit, zu jeder These auch noch eine individuelle Antwort einzugeben. Darüber wird dann wieder mehr Komplexität hergestellt.
hessenschau.de: Die Kandidaten erstellen sich selbst ein Profil und gewichten die Thesen. Wie gut die App funktioniert, hängt also auch davon ab, wie sehr sich die Kandidaten beteiligen. Wie viele machen denn bisher mit?
Oblong: Das variiert stark. In Frankfurt gibt es sehr viele Kandidaten und auch viele kleine Listen, wo es schwieriger für uns war, einen Ansprechpartner zu finden. Da haben einige bisher nicht mitgemacht. Aber es gibt keine harte Deadline, diese Kandidaten können immer noch dazukommen.
Bisher sind knapp 1.000 Kandidaten auf der Plattform angemeldet, also ungefähr ein Drittel aller Kandidaten der vier Städte. Wir halten das für eine gute Quote. Denn auf vielen Listen stehen Menschen, die gar nicht ins Parlament kommen wollen und genau wissen, dass sowieso nur die ersten zehn oder 15 Kandidaten der Liste Chancen haben. Die aussichtsreichsten Kandidaten sind glaube ich in den meisten Fällen bei Voto dabei.
hessenschau.de: Bisher gibt es Voto aber nur für Frankfurt, Fulda, Marburg und Offenbach. Wieso ist die App auf vier Städte begrenzt, wo es doch gerade bei den Kommunalwahlen so große regionale Unterschiede gibt?
Oblong: Wir hätten das gerne in mehr Städten umgesetzt. Aber wir werden von der Robert-Bosch-Stiftung finanziert, und mehr ist gerade nicht drin, weil man die Kandidaten so individuell betreuen muss.
Für die Bundestagswahl im September könnten wir uns vorstellen, für jeden Wahlkreis die Direktkandidaten abzudecken, als Ergänzung zum Wahl-o-mat der Bundeszentrale für politische Bildung. Aber da sind wir gerade noch im Austausch mit Stiftungen und Gemeinden und spielen Finanzierungsmöglichkeiten durch.
Die Fragen stellte Anja Engelke.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau kompakt, 15.02.2021, 16.45 Uhr