Gießen vor der Kommunalwahl Umweltliste macht den Grünen Dampf

Die Universitätsstadt Gießen will bis 2035 klimaneutral werden. An das Versprechen glauben viele Umweltschützer aber nicht. Im Kreistag scheint die Wiederauflage der Koalition von SPD, Grünen und Freien Wählern sicher.

Fahrradfahrer auf Straße, Fahrradfahrerampel zeigt grün
Fridays for Future fordert freie Fahrt für Fahrradfahrer. Bild © picture-alliance/dpa
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So lebt man hier:

38,2 Jahre alt sind die Gießener im Schnitt, und damit fünf Jahre jünger als der hessische Durchschnitt (Statistisches Landesamt 2018). Der Grund ist der hohe Anteil Studierender in der Stadt. An der Justus-Liebig-Universität und der Technischen Hochschule Mittelhessen sind mehr als 40.000 junge Menschen eingeschrieben. Damit hat die Stadt mit ihren fast 90.000 Einwohnern eine der höchsten Studierendendichten in ganz Deutschland.

Die vielen jungen Menschen machen sich auch im Stadtbild bemerkbar: Öffentliche Plätze wie der Kirchenplatz sind belebt, es gibt viele Kneipen. Auch die Zahl der Radwege und Radfahrstreifen ist gestiegen. Im vergangenen Jahr gab die Stadt die ersten Fahrradstraßen frei.

Durch Nachverdichtung und die Nutzung von Brachflächen ehemaliger Industriebetriebe oder Kasernenareale ist die Stadt Gießen im vergangenen Jahrzehnt um mehr als 10.000 Einwohner gewachsen. Die Zahl der Arbeitslosen ist gleichzeitig zurückgegangen. Trotzdem gilt Studien zufolge jedes vierte Kind in der Stadt als arm, im Kreis jedes siebte.

Während die Stadt Gießen viele Dienstleistungsbetriebe beherbergt, befinden sich in etlichen Nachbarkommunen Gewerbeunternehmen. Dazu gehören vor allem Bosch und Buderus in Lollar sowie die Schunk Group in Heuchelheim und Reiskirchen. Außerdem prägen Kleinstädte mit historischen Stadtkernen sowie mittelalterliche Burgen und Schlösser den Kreis. Höchste Erhebung ist der 500 Meter hohe Dünsberg bei Biebertal.

Die Chancen und Herausforderungen der Region:

Gießen ist Wissenschaftsstandort: Im zurückliegenden Jahrzehnt wurden 600 Millionen Euro in den Ausbau der Universität investiert. Auch die Technische Hochschule Mittelhessen wurde erweitert und gehört inzwischen zu den größten Fachhochschulen in Deutschland. Im Oktober öffnete in der Stadt außerdem ein neues Fraunhofer-Institut für Insektenforschung.

Gemessen daran besteht ein Nachholbedarf darin, das erworbene Wissen durch Firmengründungen in der Region zu halten. Im Gießener Europaviertel, einer ehemaligen Bundeswehrkaserne, haben sich zwar bereits einige junge Unternehmen aus der Medizinbranche angesiedelt. Hier gibt es aber noch Steigerungspotential.

Gleichzeitig wird der Widerstand der Bevölkerung gegen neue Gewerbeflächen immer größer. Er richtet sich besonders gegen die Versiegelung von wertvollem Ackerboden. Vor allem der Stadt Gießen fehlen dadurch Flächen für Unternehmen.

Auf Druck einer Bürgerinitiative im Stadtteil Lützellinden hat die Stadtregierung entschieden, auf eine vorgesehen Gewerbefläche zu verzichten. Auch in Lich gab es große Diskussionen um ein geplantes Logistikzentrum. Die Kommunen werden dadurch immer häufiger gezwungen, gemeinsame Gewerbegebiete auszuweisen.

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Das Topthema vor der Wahl:

Die Stadt Gießen hat sich selbst ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis 2035 will sie klimaneutral sein. Der Beschluss geht auf einen Bürgerantrag zurück. Für viele Gruppierungen aus der Umweltszene tut die Stadt aber zu wenig, um das Ziel zu erreichen - trotz der langjährigen Beteiligung der Grünen an der Stadtregierung. Fridays for Future und eine Verkehrswende-Initiative fordern, den Autoverkehr in der Stadt deutlich zu reduzieren und jeweils eine Fahrspur auf dem breiten innerstädtischen Anlagenring für Radwege vorzusehen.

Weil sie mit der bisherigen Klimapolitik der Stadt unzufrieden ist, kandidiert die Gruppierung, die den Bürgerantrag zur Klimaneutralität bis 2035 gestellt hat, jetzt mit der eigenen Liste "Gießen gemeinsam gestalten" (GIGG).

Das beschäftigt die Menschen noch:

Zum ambitionierten Klimaziel gehört auch eine Veränderung der Verkehrspolitik. Dabei sind sich die meisten Parteien einig, dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden soll. Im nordöstlichen Landkreis bestehen gute Chancen, die seit Jahrzehnten stillgelegte Lumdatalbahn von Gießen über Lollar nach Rabenau wieder in Betrieb zu nehmen. Neben einem Verein macht sich dafür besonders Gießens Landrätin Anita Schneider (SPD) stark.

Seit Jahren wird in Stadt und Landkreis auch über den Wohnraum diskutiert. Eine Studie hatte vor wenigen Jahren ergeben, dass in der Stadt rund 3.000 günstige Wohnungen fehlen. Gebaut werden sollen nun 400 Sozialwohnungen. Kritiker wenden ein, dass dies bei Weitem nicht reiche.

Auch in den Kreiskommunen ist die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum deutlich gestiegen. Deswegen hat der Kreis gemeinsam mit der Hälfte seiner Städte und Gemeinden eine Gesellschaft gegründet, die "selbst bestimmtes, solidarisches, generationsübergreifendes und auch für das Älterwerden geeignetes Wohnen" fördern will.

So ist die politische Ausgangslage in Stadt und Landkreis:

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In der Stadt Gießen regiert eine Koalition aus SPD (16 Sitze), CDU (13) und Grünen (9). Dem Parlament gehören außerdem die AfD (8), die Gießener Linke (5), die FDP (3), die Freien Wähler (3), die Piratenpartei (1) und die Bürgerliste (1) an. Im Kampf um den höchsten Stimmenanteil gab es zwischen SPD und CDU bei den zurückliegenden Kommunalwahlen mehrfach einen Wechsel.

Das bürgerliche und das eher linke Lager halten sich in der Stadt seit Langem ungefähr die Waage. Bei der Kommunalwahl am 14. März gibt es folgende Wahlvorschläge: SPD, CDU, Grüne, AfD, Gießener Linke, FDP, Die Partei, Gießen gemeinsam gestalten und Volt Deutschland.

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Im Kreis ist die SPD seit vielen Kommunalwahlen die stärkste Partei. Ihre meisten Stimmen holt sie traditionell in der Stadt Gießen, Wettenberg, Langgöns, Lollar und Staufenberg. Im Ostteil des Kreises hat dagegen die CDU ein leichtes Übergewicht. In diesem Jahr gibt es zur Kreiswahl folgende neun Wahlvorschläge: CDU, SPD, FDP, Freie Wähler, Grüne, Gießener Linke, AfD, Volt und Die Partei.

Das sind die wichtigsten Köpfe:

In der Stadt Gießen regiert seit knapp 12 Jahren die Sozialdemokratin Dietlind Grabe-Bolz. Bei den kommenden Oberbürgermeisterwahlen tritt die 63-Jährige aber nicht mehr an. Stattdessen kandidiert der Landtagsabgeordnete Frank-Tilo Becher für die SPD.

Bekanntester Christdemokrat in der Stadt ist inzwischen Bürgermeister Peter Neidel. Der ehemalige Richter wird möglicherweise im Herbst auch als Oberbürgermeisterkandidat für die CDU antreten.

Im Landkreis Gießen steht seit ebenfalls zwei Legislaturperioden die Sozialdemokratin Anita Schneider (SPD) an der Spitze. Bei der Landratswahl im September dürfte sie sich voraussichtlich um eine dritte Amtszeit bewerben. Bisher hat aber noch keine Partei einen Gegenkandidaten benannt.

Hier könnte es besonders spannend werden:

In der Stadt Gießen blicken viele mit Spannung auf das Abschneiden der neuen Initiative "Gießen gemeinsam gestalten". Die Wählergruppe spricht vor allem bisherige Wähler der Grünen an. Daher wird es interessant, ob die Grünen auch in Gießen vom allgemeinen Aufwärtstrend der Partei profitieren können. Eine Regierungsbildung könnte nach dem 14. März noch schwieriger werden als bei den zurückliegenden Kommunalwahlen.

Auch in Lich tritt mit den "Bürgern für ein lebenswertes Lich" (BfL) eine neue Wählergruppe an. Sie ist aus einer Bürgerinitiative entstanden, die sich gegen ein Logistikzentrum in einem Gewerbegebiet gewehrt hat. An Demonstrationen beteiligten sich mehr als tausend Menschen. Verhindern konnten sie den Bau aber nicht.

Quelle: hessenschau.de