Stadt Kassel vor der Kommunalwahl Nordhessen-Metropole im Aufschwung
Kassels Wirtschaft ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Damit das auch nach dem Corona-Lockdown so bleibt, entsteht an der A49 ein neues Gewerbegebiet. Im Stadtparlament steht ein Wechsel bevor: Die Koalition zerbrach im Streit um ein documenta-Institut.
So lebt man hier:
Kassel ist eine Stadt im Grünen. Viele Einheimische und Gäste schwärmen von der reizvollen Mittelgebirgsregion, die die Stadt umgibt. Der Reinhardswald mit dem Tierpark Sababurg ist schnell erreicht, ebenso der Naturpark Habichtswald mit zahlreichen Wanderwegen. Auch der Bergpark Wilhelmshöhe – mit seinen historischen Wasserspielen seit einigen Jahren Weltkulturerbe und Besuchermagnet – gehört dazu.
Das Stadtbild selbst ist eher durchwachsen. Das Zentrum wurde im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört. Der Wiederaufbau ist aus heutiger Sicht nicht immer gelungen. Zudem hatte Kassel lange unter der Zonenrandlage zu leiden.
Aber seit der Wiedervereinigung boomt die Wirtschaft. Viele Industrieunternehmen haben ihren Sitz oder große Standorte in Kassel: Daimler baut Lkw-Achsen, Bombardier Lokomotiven, SMA Technik für Solaranlagen. Es gibt den Düngemittelhersteller K+S, den Gas- und Erdöl-Förderer Wintershall Dea, und direkt vor den Toren der Stadt liegt das nordhessische VW-Werk.
Die Gewerbesteuern sprudelten zuletzt, die Arbeitslosigkeit war im vergangenen Jahr auf einem historisch niedrigen Niveau. Und die Bevölkerungsentwicklung, die lange von der Abwanderung ins Rhein-Main-Gebiet geprägt war, hat sich umgekehrt: Die 200.000 Einwohner-Stadt wächst wieder. Auch die Kasseler Universität sorgt für Impulse und mit rund 25.000 Studierenden für eine Verjüngung des Stadtbildes.
Die Chancen und Herausforderungen der Region:
In Kassel hofft man darauf, dass sich der wirtschaftliche Aufschwung nach den Einschnitten durch die Corona-Pandemie und den Lockdown fortsetzt. Das neue Industrie- und Gewerbegebiet an der A49 soll dabei helfen. Zuletzt hat Kassel als Logistik-Standort und Kongress-Stadt immer mehr Zulauf erlebt - auch wegen der zentralen Lage mitten in Deutschland.
Als Oberzentrum und einzige Großstadt in Nordhessen beeinflusst Kassel die gesamte Region, auch in kultureller Hinsicht. Alle fünf Jahre zieht die Weltkunstschau documenta hunderttausende Menschen aus aller Welt in die Stadt. Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv "ruangrupa" sind die Kuratoren für die nächste documenta zwar berufen, aber wegen der Pandemie stocken die Vorbereitungen.
Ob die documenta 15 wie geplant im Jahr 2022 stattfinden kann, soll bis zum Sommer entschieden werden. Dann wird sich auch zeigen, ob die neuen Strukturen funktionieren. Während der letzten documenta, die nicht nur in Kassel, sondern zum Teil auch in Athen ausgerichtet wurde, hat es nämlich mächtig gekracht. Nach einem millionenschweren Defizit musste die Geschäftsführerin gehen. Jetzt gibt es ein verändertes Aufsichtsgremium und die neu geschaffene Funktion einer Generaldirektorin.
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Das Topthema vor der Wahl:
Auch hier geht es um Kunst. Kassel nennt sich schließlich nicht umsonst offiziell documenta-Stadt. Um die Weltkunstschau auch zwischen den Ausstellungsjahren zu stärken, wurde ein documenta-Institut für Forschung, Archivarbeit und Veranstaltungen gegründet. Pläne und Finanzierung stehen zwar längst, aber ein erbitterter Streit um den Standort hat den Bau bislang verhindert.
An diesem Streit ist auch die Kasseler Rathauskoalition zerbrochen. Bis Dezember 2019 bestand sie aus SPD, Grünen und einem unabhängigen, liberalen Stadtverordneten. Seitdem wird mit wechselnden Mehrheiten regiert.
Große Themen sind in Kassel auch Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Seit 2019 gibt es einen Klimaschutzrat. Er soll dafür sorgen, dass Kassel bis 2030 klimaneutral wird. Dazu gehört der Ausbau von Radwegen, in die die Stadt in den nächsten fünf Jahren rund 66 Millionen Euro investieren will. Damit kommt die Stadt auch einer Forderung der "Initiative Radentscheid" nach. Sie hatte dafür mehr als 20.000 Unterschriften gesammelt.
Das beschäftigt die Menschen noch:
Nach dem Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch den Neonazi Stephan Ernst bleibt die Frage nach Unterstützern und einem möglichen rechtsextremen Netzwerk. Die Tat war bereits der zweite rechtsextreme Mordanschlag in Kassel, erst 2006 hatte der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) Halit Yozgat in seinem Internet-Café in der Nordstadt erschossen.
Inzwischen gibt es eine starke Demokratie-Initiative in der Region, die von Vereinen, Unternehmen und Kommunen getragen wird. Ihr Motto lautet "Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung". Zuletzt hat sich auch die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck der Initiative angeschlossen und 1.500 Kirchen und Gemeindehäuser mit "Offen für Vielfalt"-Schildern plakatiert.
So ist die politische Ausgangslage in der Stadt:
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Kassel gilt traditionell als Hochburg der Sozialdemokraten, aber SPD-Mehrheiten sind längst keine ausgemachte Sache mehr. Bei der letzten Kommunalwahl gab es eine dicke Überraschung, als die Grünen in vielen Stadtteilen an den Sozialdemokraten vorbeizogen. Die SPD ist in Kassel zwar immer noch stärkste Partei, liegt aber seit 2016 mit 29,5 Prozent erstmals unter der 30-Prozent-Marke.
Lange haben SPD und Grüne im Kasseler Rathaus eine Koalition gebildet, brauchten für eine Mehrheit aber noch die Unterstützung eines fraktionslosen liberalen Stadtverordneten. Diese Koalition ist im vergangenen Jahr zerbrochen, wegen des Streits um das documenta-Institut. SPD und Grüne haben die Zusammenarbeit aber auch danach noch fortgesetzt.
Die CDU ist mit 20,7 Prozent derzeit führende Oppositionspartei in Kassel. Sie würde gerne wieder eine stärkere Rolle spielen und trauert noch der Zeit um die Jahrtausendwende hinterher, als sie den Oberbürgermeister stellen konnte. Die AfD hat 2016 zum ersten Mal mit 11 Prozent den Einzug ins Stadtparlament geschafft, ist seitdem im kommunalpolitischen Alltag aber eher unauffällig.
Das sind die wichtigsten Köpfe:
Führender Kopf der Sozialdemokraten ist der 44-jährige Oberbürgermeister Christian Geselle. Er konnte sich 2017 bereits im ersten Wahlgang gegen fünf Mitbewerber durchsetzen. Geselle steht jetzt zwar nicht zur Wahl, ist aber das Aushängeschild der SPD.
Das Gesicht der Grünen war viele Jahre lang Schuldezernentin Anne Janz. 2019 wechselte sie allerdings nach Wiesbaden und wurde Staatssekretärin im Sozialministerium. Bekannteste CDU-Politikerin in Kassel ist Justizministerin Eva Kühne-Hörmann. Sie ist CDU-Chefin und Stadtverordnete in Kassel und tritt hier erneut zur Wahl an.
Hier könnte es besonders spannend werden:
Die Grünen wollen ihre Rolle in der Stadt weiter ausbauen. Besonders im Zentrum und im Westen haben sie zuletzt stark abgeschnitten und stellen hier auch die Ortsvorsteher. Die SPD will insgesamt wieder Boden wett machen.
Ob das gelingt und es am Ende für eine Neuauflage einer rot-grünen Koalition reicht, wird auch daran liegen, wie die AfD abschneidet. Sie kostete 2016 alle großen Parteien Stimmen. Neben der AfD konnte nur die Linke deutlich zulegen. Sie punktete besonders in der Nordstadt, einem sozialen Brennpunkt in Kassel.