Wegen Asyl-Abstimmung mit AfD Michel Friedman tritt aus der CDU aus
Die CDU erntet breite Kritik für die Asyl-Abstimmung mit der AfD – auch von Ex-Kanzlerin Merkel, anderen Parteien und den Kirchen. Der Frankfurter Publizist Michel Friedman nennt es eine katastrophale Zäsur - und verlässt die Union.
Es ist erst gute drei Monate her, da rechnete ein zorniger Michel Friedman im Landtag mit den anwesenden AfD-Abgeordneten ab. "Geistige Brandstifter" nannte er sie. Zu bestimmen, wer ein Mensch, wer Deutscher sei – das maßten sie sich als "billige Imitationen" jener Nazi-Herrenmenschen an, vor denen der Unternehmer Oskar Schindler einst 1.200 Juden gerettet habe.
Nun geht der Frankfurter Publizist jüdischen Glaubens mit einer Partei ins Gericht, deren Abgeordnete ihm damals mit anderen im Stehen applaudierten. Es ist seine eigene, die CDU. Oder besser: Es war sie. Der 68-Jährige ist am Donnerstag aus der Union ausgetreten, wie er dem hr sagte. Für sie gehörte er Mitte der 1990er Jahre dem Bundesvorstand an.
Grund ist, dass die CDU/CSU-Fraktion in Berlin mit Hilfe der AfD einen Antrag zur Verschärfungen des Asylrechts durchgebracht hat. Friedman nennt das "eine katastrophale Zäsur für die Demokratie der Bundesrepublik" und ein "unentschuldbares Machtspiel".
"Büchse der Pandora"
Er glaube Merz zwar, dass er mit der AfD nicht koalieren wolle, sagte Friedman, der lange im Zentralrat der Juden in Deutschland tätig und einige Jahre dessen Vize-Vorsitzender war. Aber die "Büchse der Pandora" zur Normalisierung der AfD sei mit der jüngsten Abstimmung ausgerechnet auf Bundesebene geöffnet. Das werde sich auch auf die Politik in Städten und Gemeinden auswirken.
Friedman wörtlich: "Die Naivität derjenigen, die bei der CDU uns erklären wollen, dass das alles ja nicht gewollt war, dass man deren Stimmen gar nicht haben wollte, ist so unterkomplex, dass man da gar nicht mehr hinhören kann."
Die Stimmen der AfD bezeichnete der Publizist als vergiftet, weil die Partei nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. Das vergifte nun auch die Union, sagte Friedman.
Friedman gehörte der CDU seit 1983 an. Im Jahr 2000 verließ er den hessischen Landesverband wegen dessen Schwarzgeld-Skandals und wechselte zur Saar-CDU.
Ein Novum im Bundestag
Die Abstimmung über einen Fünf-Punkte-Plan ohne Gesetzeskraft am Mittwoch war die allererste im Bundestag, bei der die AfD als Mehrheitsbeschafferin diente. Er sieht unter anderem vor, Asylsuchende an den deutschen Grenzen abzuweisen. Neben der AfD verhalfen der größte Teil der FDP und parteilose Abgeordnete dem CDU-Antrag knapp zur Zustimmung im Parlament.
Das gleiche parlamentarische Novum bahnt sich am Freitag mit dem CDU-Entwurf für ein "Zustrombegrenzungsgesetz" an, der konkrete Regelungen zur Eindämmung der Migration enthält.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte zunächst ausgeschlossen, nach dem Bruch der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP Anträge einzubringen, die CDU und CSU nur mit der AfD durchbringen können. Nach der Messerattacke von Aschaffenburg, bei der ein kleiner Junge und ein Mann getötet worden waren, änderte er seine Linie.
Rhein bleibt auf Merz-Linie
Alle hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten hatten am Mittwoch dem nur mit Hilfe der AfD durchgesetzten Entschließungsantrag zugestimmt. Einzig eine Abgeordnete aus dem thüringischen Weimar scherte aus der Fraktion aus. Aus der hessischen CDU-Landesgruppe in Berlin war auch vor der Abstimmung am Freitag keine Kritik zu hören.
Das gilt auch für die Hessen-CDU und ihre Landtagsfraktion. Vielmehr verteidigte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein, der auch Landesvorsitzender der Partei ist, das Vorgehen in der Asylpolitik noch einmal. Es sei "sehr wichtig und sehr richtig, dass die Union im Deutschen Bundestag ihre Positionen zur Abstimmung gestellt hat", sagte er dem hr.
Einen Tag vor der zweiten Abstimmung in Berlin sagte Rhein: "Jetzt müssen wir diese Fragen natürlich auch noch im Gesetz verankern. Das wird jetzt passieren." Einen Bruch der Brandmauer zur AfD bestritt er erneut. Es gebe keine Zusammenarbeit.
So hatte sich Rhein bereits nach Bekanntwerden des Vorstoßes von Merz geäußert. Wie der CDU-Kanzlerkandidat weist er die Schuld an der Entwicklung den Berliner Regierungsparteien SPD und Grünen zu. Alle Parteien der Mitte stünden in der Verantwortung, die nötige Wende in der Asylpolitik einzuleiten.
Der Asylstreit stellt die seit einem Jahr bestehende Koalition von CDU und SPD in Hessen vor eine Belastungsprobe. Was die CDU am Freitag beschlossen haben möchte, braucht später noch grünes Licht vom Bundesrat. Das stünde nach derzeitigem Stand bei einer Sitzung im März an.
Heftigste Reaktionen aus der SPD zeigen, dass es von ihr für die von Merz und Rhein gewünschte Richtung keine Zustimmung geben dürfte. Im Koalitionsvertrag steht, dass Hessen sich bei Uneinigkeit der Regierungspartner im Bundesrat enthält.
Hessen-SPD-Chef attackiert CDU
So schimpfte SPD-Landeschef Sören Bartol nach dem Bundestagsbeschluss, ein Wortbruch von Merz habe dazu geführt, "dass Rechtsextremisten im deutschen Parlament wieder mitentscheiden". Weiter sagte der Bundestagsabgeordnete: "Und die hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten haben mitgemacht. Ausgerechnet am Tag, an dem der Deutsche Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedenkt."
"Das kraftmeierische Gerede von Boris Rhein führt zu einem offenen Streit in der hessischen Koalition" - so bewertete Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner solche Äußerungen aus der Hessen-SPD. Eine Regierungskrise in Wiesbaden sei spätestens absehbar, wenn es zu einer Abstimmung im Bundesrat kommt. Es sei bedauerlich, dass nur wenige in der CDU die Kraft hätten, sich dem Kurs von Merz entgegenzustellen. Der Grünen-Politiker sprach von einem "Dammbruch".
Regierungsspitze bestreitet Spannungen
Rhein und SPD-Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori bestreiten, dass der Asylstreit zu Spannungen in der hessischen Koalition führen könnte. Am Mittwoch hatten beide auf Nachfrage am Rande eines gemeinsamen Auftritts zur Wirtschaftsförderung erklärt, die Arbeit laufe reibungslos. Mansoori meinte, es sei schließlich klar, "dass es sich am Ende bei Union und SPD um zwei unterschiedliche Parteien handelt, die unterschiedliche Vorstellungen haben, wie mit der aktuellen Situation umzugehen ist".
Ganz andere Töne schlug einen Tag später Mansooris Parteifreundin Josefine Koebe an, Generalsekretärin der hessischen SPD und Landtagsabgeordnete. Auf Instagram ging sie den Koalitionspartner scharf an: Der einzige Zweck des CDU-Vorstoßes sei der unmenschliche Versuch, "Migranten in einen Pott zu stecken und zu diffamieren". Außerdem äußerte sie: "Ich dachte immer, C steht für christlich, aber christliche Werte können es nicht sein, wenn man nach den Kirchen geht."
Kirchenvertreter üben Kritik
Damit spielte die SPD-Politikerin auf eine kritische ökumenische Stellungnahme an, die das Kommissariat der katholischen Bischöfe und die Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche gemeinsam veröffentlicht haben. Sie lehnen das von der CDU geplante "Zustrombegrenzungsgesetz" strikt ab.
Die Verbindungsstellen der beiden Kirchen zur Bundespolitik kommen zur Bewertung: Die von Merz angestoßenen Verschärfungen hätten nach aktuellem Wissensstand keinen der jüngsten Anschläge verhindert. Die Debatte sei dagegen geeignet, "alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren".
Das Sekretariat der vom Limburger Oberhirten Georg Bätzing geleiteten deutschen Bischofskonferenz ging allerdings auf Distanz zu dieser Erklärung. Die mehrheitliche Meinung im Ständigen Rat der Bischofskonferenz sei, "dass es in der aktuellen Situation nicht sinnvoll ist, in die Debatte und in den Wahlkampf öffentlich einzugreifen".
Ein Sprecher des Bistums Limburg beschied am Mittwoch eine Bitte des hr um eine Stellungnahme Bätzings zum Merz-Vorstoß abschlägig. Die Haltung des Bischofs zur AfD ist eindeutig. Vor der Landtagswahl in Thüringen im vergangenen Sommer hatte er die AfD als "für Christen nicht wählbar" bezeichnet.
Koch für Merz, Merkel dagegen
Zur Verteidigung der aktuellen Parteistrategie meldete sich am Donnerstag der frühere CDU-Ministerpräsident Roland Koch zu Wort. Der Bild-Zeitung sagte er, nach seiner Beobachtung stehe die CDU "trotz anderer Stimmen in großer Geschlossenheit hinter Friedrich Merz".
Die CDU habe unter Ex-Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrem Nachfolger Merz "in großer Einigkeit eine Kurskorrektur beim Thema illegale Migration vorgenommen". Es blieben zwar Unterschiede bestehen. Das werde die CDU als große Volkspartei aber aushalten.
Koch bezog sich auf Kritik von Ex-Kanzlerin Angela Merkel, als deren unterlegene innerparteilich-konservative Gegenspieler er und Merz seinerzeit galten. Die ansonsten mit Kommentaren zur aktuellen Politik sehr zurückhaltende CDU-Politikerin hatte sich am Donnerstag mit einer Erklärung als "Bundeskanzlerin a.D." in die Debatte eingeschaltet.
Sie erinnerte an Merz' früheren "Vorschlag", in Absprache mit SPD und Grünen nur Anträge im Bundestag vorzulegen, deren Zustimmung nicht an der AfD hängt. Dass es nun anders läuft, nannte sie falsch.
Die demokratischen Parteien sollten gemeinsam alles tun, um Attentate wie die von Magdeburg und Aschaffenburg zu verhindern - "über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts".