Treffen von Rechtskonservativen in Wetzlar hat Nachspiel Wenn die "wahre Schwarmintelligenz" unter sich bleiben will

Maaßen, Reitschuster, Krall, Cotar: Die Gästeliste eines Treffens in Wetzlar liest sich wie das Who is Who des deutschen Rechtskonservativismus. Der Zusammenprall zwischen einem hartnäckigen Videoreporter und dem CDU-Politiker Irmer beschäftigt im Nachhinein wohl die Justiz.

Audiobeitrag
Bild © Screenshot Youtube/Hessencam| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Die "8. Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz" sollte diskret über die Bühne gehen. An bundesweit bekannten und umstrittenen Teilnehmern, die von Presse oder Protesten nicht gestört werden wollten, fehlte es nicht.

Ob Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen (CDU), Publizist Boris Reitschuster, Ex-Goldhandel-Manager Markus Krall oder Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, ob Berliner Kreis der CDU, Werte-Union, Ex-AfD, AfD oder "Querdenkerszene": In der Wetzlarer Stadthalle besprach sich diese konservative und neu-rechte Prominenz vergangenes Wochenende gemeinsam mit rund 300 anderen des Netzwerks.

Es ging um nicht weniger als den Niedergang des Landes – und wie er aufzuhalten wäre. "Brauchen wir eine neue Partei zwischen Union und AfD?", "Deutschland im Griff arabischer Clans" oder "Wie die Grünen unseren Wohlstand vernichten" lauteten die Themen. Das Abendessen taufte man "Deutschland-Dinner". Weil die Durchsetzung der gewünschten Diskretion nicht ganz reibungslos lief, wird sich nun wohl die Justiz mit einem Handgemenge befassen.

"Rot lackierter Faschist" und Recht am eigenen Bild

Anlass ist ein Zusammenprall des früheren Bundestags- und Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer (CDU) mit dem Videoteam des kirchlichen Jugendbildungsprojektes "Hessencam" aus Wetzlar. Es geht um einen Disput vor der Stadthalle, um einen mutmaßlichen Hieb des Politikers auf eine Kamera und um gegenseitige Vorwürfe.

Die Frau des Politikers sieht durch die von "Hessencam" auf You-Tube verbreitete Aufnahme ihr Recht verletzt, unbehelligt zu bleiben. Sie habe deshalb Anzeige erstattet, sagte ihr Mann dem hr.

Der in den Diensten von Bistum und katholischer Dom-Gemeinde stehende "Hessencam"-Projektleiter Joachim Schaefer wiederum will Irmer nicht durchgehen lassen, dass der wie im Video dokumentiert auf ihn schimpfte: "Sie sind ein rot lackierter Faschist. Sie manipulieren, lügen und betrügen." Den zum rechten Flügel der Union zählenden 71-Jährigen will Schaefer deshalb wegen Verleumdung anzeigen. Was der Irmer-Gegner von dem Stadthallen-Termin hält, macht der Titel unter seinem Youtube-Video deutlich: "Extrem Rechtes Familientreffen in Wetzlar".

Alte Bekannte

Der Kirchenmitarbeiter und der Politiker sind alte Wetzlarer Bekannte - seit Jahrzehnten in inniger Abneigung verbunden. Schaefer begleitet, dokumentiert und kommentiert das Wirken Irmers seit vielen Jahren sehr beharrlich und sehr kritisch. Er begreift das als Teil seines Kampfs gegen ein Erstarken rechter Kräfte.

Gerade hat er gefilmt, wie Besucher am Rand einer AfD-Veranstaltung in Rabenau (Gießen) alle Hemmungen verloren. Einer bezeichnete sich selbst als "Nationalsozialisten". Ein Corona-Impfgegner verglich einen Gegendemonstranten, den SPD-Bundestagsabgeordneten Felix Döring, mit einem mörderischen KZ-Arzt: "Der Dr. Mengele ist auch da, guck!"

Politiker sieht sich diffamiert

Irmer verwahrt sich dagegen, in die äußerst rechte Ecke gesteckt zu werden. Schon die häufig für ihn verwendete Bezeichnung "CDU-Rechtsaußen" lässt er nicht gelten. Er sieht sich und jene, die seine Weltsicht teilen, nicht nur von Schaefer und dem "Hessencam"-Projekt diffamiert.

Was er als unangenehme, von einem linkslastigen politischen und medialen "Mainstream" unterdrückte Wahrheiten begreift, verbreitet er daher seit Jahren in seinem eigenen Anzeigenblatt namens "Wetzlar Kurier".

Dort, in den Sozialen Medien und einst in Landtag und Bundestag hat der 71 Jahre alte CDU-Mann immer wieder Aufmerksamkeit erregt – auch bundesweit. Mit Äußerungen über Homosexualität, Migration und Asyl, Corona und Klimawandel sorgte er vor allem bei linken Gegnern für Empörung – so wie andere bekannte Mitglieder der "wahren Schwarmintelligenz“ auch.

Im damals noch jungen, 2014 angetretenen schwarz-grünen Regierungsbündnis entwickelte sich Irmer rasch auch zur Belastung einer gewandelten Hessen-CDU. Als Vize-Vorsitzender und bildungspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion musste er 2015 zurücktreten, wechselte später in den Bundestag. 2021 verpasste er die Wiederwahl als Direktkandidat.

"So hab ich ihn noch nicht erlebt"

Zum Wochenbeginn, unmittelbar nach der Zusammenkunft der rechtskonservativen "Schwarmintelligenz“ in seiner Heimatstadt, wurde dann bekannt: Irmer gibt vorzeitig und überraschend kurzfristig auch noch seine letzten verbliebenen politischen Posten auf. Ab September ist er nach 34 Jahren nicht mehr CDU-Kreisvorsitzender, nach 25 Jahren auch nicht mehr Vorsitzender der Kreistagsfraktion.

"Hessencam"-Projektleiter Schaefer kann sich vorstellen, dass Irmer auch deshalb die Nerven verloren habe, weil er frisch unter dem Eindruck des nicht ganz freiwilligen Rückzugs stand. "Er hat mit der Hand auf die Kamera geschlagen. So habe ich ihn noch nicht erlebt, das hat mich überrascht", sagt der Reporter.

"Ich möchte nicht gefilmt werden"

In dem Video, das den Zusammenprall festhält, ist zu sehen, wie Schaefer vor dem Eingang Teilnehmer interviewt, auch den als Veranstalter auftretenden Publizisten Klaus Kelle. Der will keine "bösen Berichte" über ein Treffen, das eben strikt privat sei. Der Reporter bleibt hartnäckig, auch nachdem ein Security-Mann ihn wegschiebt. Er argumentiert mit dem öffentlichen Interesse an dem, was in der Stadthalle laufe.

Auch bei Irmer lässt Schaefer nicht locker. Der insistiert wiederholt: "Ich möchte von Ihnen nicht gefilmt werden. Respektieren Sie das." Schließlich verliert der Unionspolitiker die Fassung und schlägt - so sieht es aus - in Richtung Kamera. Das Bild wackelt, der Secruity-Mann geht dazwischen.

Hans-Jürgen Irmer stoppt unerwünschte Videoaufnahme.
Geschlagen - oder zugehalten? Hans-Jürgen Irmer stoppt unerwünschte Videoaufnahme. Bild © Screenshot Youtube/Hessencam

Irmer bestreitet auch, zugeschlagen zu haben: Er habe lediglich versucht, die Kameralinse zuzuhalten, weil der "kommunistenfreundliche" Reporter den Wunsch nach Wahrung der Privatsphäre nicht beachtet habe. Der Eindruck des Zuschlagens hätte sich dieser Version zufolge ergeben, weil der Kameramann zuckte und die Security einschritt.

Maaßen kommt häufiger zu Irmer

Dass die "wahrhaftige Scharmintelligenz“ ausgerechnet in die Kreisstadt an der Lahn kam, wird nicht nur an der zentralen, verkehrsgünstigen Lage gelegen haben. Irmer trat zwar nicht als Veranstalter auf, ist aber ausgezeichnet vernetzt.

Den auch in der Union umstrittenen Ex-Verfassungschef Maaßen etwa traf Irmer wiederholt. Den Berliner Kreis der CDU, dem beide angehören, zog es schon nach Wetzlar. Als Irmer Maaßen ein anderes Mal in seinen Wahlkreis einlud, sahen sich beide mit einer Protest-Demo konfrontiert. Organisiert hatte sie "Hessencam"-Projektleiter Schaefer.

Hans-Georg Maaßen (l.) und Hans-Jürgen Irmer
Zwei Mitglieder der " wahren Schwarmintelligenz": Hans-Georg Maaßen (l.) und Hans-Jürgen Irmer Bild © Screenshot Facebook

Nicht nur diesem Kontrahenten gegenüber wollte Irmer nicht näher sagen, was nun drinnen beim Treffen der "wahren Schwarmintelligenz“ Sache war. Dem hr sagte der Politiker am Dienstag auf Nachfrage nur so viel: Man habe insgesamt auf einem "hohen Niveau" diskutiert, das anderswo nicht mehr üblich sei.

Inhaltlich war es laut Irmer aber auch "kontrovers". Entscheidende Fortschritte beim Versuch, die versammelten Kräfte in einer einzigen Partei zu bündeln, hat es also anscheinend nicht gegeben.

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 29.08.2023, 12 Uhr

Ende der weiteren Informationen
Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbestellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars

Quelle: hessenschau.de