Rückzug vom Bundesvorsitz Zurück in den Maschinenraum: Hessens Linke freut sich auf Wissler
Linkenchefin Janine Wissler kündigt ihren Rückzug an und will sich wieder mehr in Hessen engagieren. Das freut die hessische Linke. Sie plant mit ihr den Wiedereinzug in den Landtag.
Als Janine Wissler vor drei Jahren zur Linken-Bundesvorsitzenden gewählt wurde, zeigte sie sich kämpferisch. "Wir wollen Gesellschaft verändern, wir müssen Gesellschaft verändern und das ist auch möglich", sagte sie damals. Am Montag hörte sich ganz anders an.
"Ich nehme wahr, dass es in Teilen der Partei einen großen Wunsch nach einem Neuanfang gibt nach den schwierigen Jahren", sagte sie dem hr. Einen Tag zuvor hatte sie in Berlin verkündet, dass sie nicht mehr für den Posten der Bundesvorsitzenden kandidieren wolle. Sie habe gemerkt, "dass viele Brücken, die ich bauen wollte, bereits mehrfach eingerissen waren", schreibt sie in ihrer Stellungnahme.
Wahlklatschen und Spaltung
Auch ihr Co-Vorsitzender Martin Schirdewan will beim anstehenden Bundesparteitag im Oktober nicht mehr kandidieren. Auf einem großen Schiff gebe es viele andere Aufgaben, beschreibt Wissler. "Ich gebe das Steuer ab." In der Erklärung gibt sie Einblicke, was sie aufgerieben hat: Lange Tage, lange Sitzungen, interne Lagerkämpfe - sie wünsche sich mehr Abstand und Ruhe, "jetzt ist es Zeit, mal einen Schritt zurückzugehen und den Kopf mal durchzulüften", so Wissler.
Unter ihrem Vorsitz musste sich die Linke aus vielen Landesparlamenten verabschieden. Auch bei der hessischen Landtagswahl 2023 flog sie nach 15 Jahren aus dem Parlament, mit 3,1 Prozent. Bei der Europawahl kam die Partei deutschlandweit auf nur 2,7 Prozent.
In Wisslers Zeit spaltete sich auch die Partei. Sarah Wagenknecht verließ die Linke und gründete ihr eigenes Bündnis. Laut Umfragen könnte Wagenknecht bei den Wahlen in zwei Wochen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stark abschneiden und die Linke weit hinter sich zurück lassen. Mit der Gründung des BSW verabschiedeten sich auch einige prominentere Mitglieder aus der Linken.
MeToo-Krise in hessischen Linken
"Eine schwierige Zeit", nennt Wissler die vergangenen drei Jahre. Krieg und Krisen waren allgegenwärtig. Aber auch bei der Linken knallte es intern immer wieder heftig: Eine dieser Krisen, die tiefe Gräben riss, war eine MeToo-Affäre in ihrem eigenen hessischen Landesverband.
Weniger als ein Jahr nachdem Wissler den Bundesvorsitz übernommen hatte, trat 2022 ihre damalige Co-Vorsitzende Susanne Henning-Wellsow zurück. Als Grund nannte sie ihre private Situation, aber auch der Umgang mit Sexismus in der Partei, sie sehe "eklatante" Defizite.
Über Monate diskutierte die Partei über den richtigen Umgang mit der MeToo-Affäre. Ein Stresstest: Wissler wurde wegen angeblicher Untätigkeit vom Parteinachwuchs Linksjugend Solid angegriffen, ausgerechnet ein Ex-Partner von Wissler wurde beschuldigt.
Zurück in den Maschinenraum
Nun also der angekündigte Rücktritt vom Bundesvorsitz. Doch verabschieden will sich Wissler nicht von der Politik, im Gegenteil. Ihr habe zuletzt die Zeit gefehlt, das zu tun, was ihr Spaß mache, die Basisarbeit: Streikversammlungen, Landesparteitage, vor Ort sein, sagt sie. Als Bundestagsabgeordnete wolle sie nun wieder mehr in Hessen und Frankfurt unterwegs sein, auf den Straßen, mehr im Maschinenraum des Linken-Schiffes.
Die ehemalige Fraktionschefin im hessischen Landtag, Elisabeth Kula, nimmt Wissler in Schutz. "Ich glaube, dass sie zum falschen Zeitpunkt nach Berlin gewechselt ist", sagt sie dem hr. Die politischen Rahmenbedingungen hätten einfach alles überschattet. Kula freut sich, dass Wissler wieder mehr in Hessen sein will. Sie bezeichnet sie als Vorbild und Freundin, eine tolle Rednerin.
Hermann Schaus, der lange mit Wissler in der Landtagsfraktion zusammenarbeitete, glaubt, dass mit Wissler das "Projekt Wiedereinzug in den hessischen Landtag" nun Fahrt aufnehmen könne: "Mit Janine Wissler könnte das gelingen", sagt er. Wissler genieße in Hessen noch hohes Ansehen, etwa bei Gewerkschaftern. "Wir bauen jetzt Schritt für Schritt das Image der Linken wieder auf", sagt Schaus. Bis zur nächsten Landtagswahl bleibe dafür genug Zeit.