Tausend Mal "Zieeeh" Willingen feiert Willingen bei einem DSV-Debakel

Die deutschen Skispringer erleben beim Heim-Weltcup in Willingen eine Bruchlandung. Zehntausende Fans verwandeln den kleinen Ort im Rothaargebirge jedoch in einen Skisprung-Hotspot, bei dem die Athleten beinahe zur Kulisse werden.

Fans drängeln sich am Fuß der Willinger Mühlenkopfschanze
Fans drängeln sich am Fuß der Willinger Mühlenkopfschanze. Bild © Imago Images
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Skispringen in Willingen – 30 Jahre Weltcup in Nordhessen

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Dass die Stimmung besser sein würde als die Lage, war schon vorher klar. Auf der einen Seite hatten die deutschen Skisprung-Männer zehn Weltcup-Wochenenden ohne Sieg hinter sich – die längste Durststrecke seit 15 Jahren. Auf der anderen Seite: Willingen.

Dabei präsentierte sich der Ort im Nordhessischen bei den letzten Weltcups als Destination für Hartgesottene. Regen, Matsch, Windchaos – an der größten Großschanze der Welt war das Wetter oft ein Thema und selten ein schönes. Das hielt aber kaum einen Fan davon ab, sich auf den Weg zu machen.

Hannawald schwärmt von Willingen

Wer einmal dabei war, versteht was ARD-Experte Sven Hannawald sagt: "Wenn Willingen im Programm ist, freust du dich das ganze Jahr drauf. Mir egal, ob es die nächsten drei Jahre hintereinander wieder querregnet. Wenn du ein Jahr mal erlebst vom ganzen Drumherum mit den Zuschauern, dann ist das alles egal. Willingen ist mega!"

Und diesmal sogar mega-schön. Zum 30-jährigen Weltcup-Jubiläum präsentierte sich die Mühlenkopfschanze als bizarres Monstrum vor zumindest teilweise winterlich dekorierter Kulisse. Angezuckerte Tannen sorgten für ein bisschen Winter Wonderland, während die Temperaturen den Gefrierpunkt umspielten und obendrauf am Samstag sogar kräftig die Sonne schien.

Schwere Glühweinwolken zogen über das Rund im Auslauf, um das sich allein am Samstag von eisernen Wellenbrechern getrennt 23.500 Fans drängelten. Wer mochte, konnte mit den Springerinnen und Springern abklatschen. Eine Nähe, die nur wenige Sportarten zulassen. Abgesehen davon, dass die Profis zwischen Selfies und Autogrammen eine Sportart praktizieren, die für die meisten Zuschauer wohl den sicheren Tod bedeuten würden, trennt hier alle wenig.

Viele Länder, ein großer Fanblock

Wer sich dem Party-Patriotismus hingeben wollte, konnte an einem kleinen überdachten Verkaufsstand passende Accessoires kaufen. Fahnen, Schals und Tröten in den Farben aller Skisprung-Nationen dieser Welt verschwommen einträchtig ineinander im selig berauschten Pulk am Fuß der Schanze. Wer hier welche Fahne schwenkt: gänzlich einerlei. Gefeiert werden alle, die möglichst weit hinten runterkommen. Der Schanzen-DJ servierte dazu am Fließband Filetstücke der größten Partystarter-Hits von einer scheinbar unerschöpflichen Playlist.

An der Kaffee-Kuchen-Theke wurde selbstgemachter "Kalter Hund" gereicht, den Hans-Heinrich Genuit in Heimarbeit vorbereitet hat. Der 80-Jährige hilft seit Jahren ehrenamtlich. Früher an der Schneeschippe – heute mit dem Rührstab. Er ist einer der "Free Willis", der freiwilligen Helfer. Nicht nur ein Wortspiel gehobener Klasse, die Volunteers sind schlichtweg existenziell für den Wettbewerb und entsprechend hoch angesehen. Der Weltcup macht nicht nur Halt in Willingen. Weltcup, das ist ganz Willingen. Kaum einer unter den 5.600 Einwohnern, der nicht irgendeinen Part in diesem Event übernimmt.

Leyhes Triumph bleibt unvergessen

Es lässt sich leicht erahnen, was Stephan Leyhe meint, der für den SC Willingen springt und nur 40 Kilometer entfernt von hier zur Welt kam, wenn er von einem Heimspringen spricht. "Auf der Anlage komme ich sogar wieder in Form, wenn ich vorher schlechter springe", sagte der 33-Jährige im Vorfeld. 2002 gelang ihm hier sein bislang einziger Weltcupsieg.

Genuits glaubte fest an eine weitere Sternstunde. Festlich in Schale geworfen, lieferte er am Morgen vor dem großen Wochenende seine Kuchen in Kapitänsmütze und weißem Oberteil aus. Der Aufdruck seines Hemds versprach in goldener Schrift: "Weltmeister. Stephan Leyhe holt Gold!"

Letzte WM-Chance für Leyhe und Eisenbichler

Das kennzeichnete ihn als Optimisten. Schließlich sprang Leyhe zuletzt der Musik auch im Weltcup hinterher, landete im zweitklassigen Continental-Cup und konnte das bis jetzt nicht als sportliches Missverständnis aufklären. Für den Hessen war Willingen, ähnlich wie für Markus Eisenbichler, die wohl letzte Chance auf ein kleines Wunder und einen Platz im WM-Kader. Es kam anders.

Geriet die Eröffnung am Freitag mit einem dritten Platz im Mixed-Wettbewerb noch versöhnlich für das deutsche Team, entkoppelten sich am Samstag Stimmung und Performance der DSV-Athleten vollständig.

Das Volksfest am Fuß der Schanze kletterte auf den Höhepunkt. Irgendwo zwischen Karneval, Darts-WM und Aprés-Ski feiern die Skisprung-Begeisterten ihre Begeisterung und das Event. Mehr als 1.000 Sprünge sind an diesem Wochenende zu sehen. Auch das ein Weltrekord, wie die Veranstalter stolz vermeldeten. 1.000 Mal "Zieeeh", 1.000 Mal "Tröööt" und 1.001 Liter Herzerwärmendes.

Denkwürdiges Debakel der DSV-Springer

Dass vor allem die deutschen Skisprung-Männer nach einem eigentlich ja recht zuversichtlich stimmenden Saisonstart einen der bedrückendsten Auftritte der jüngeren Vergangenheit erlebten, schlug sich auf die Stimmung kaum wahrnehmbar nieder.

Leyhes große Comeback-Story am Ort seines größten Triumphs – die Überschriften waren bereits geschrieben, bleiben aber Entwürfe. Es reichte nicht mal für den zweiten Durchgang. Den erreichten nur Felix Hoffmann, 15., Andreas Wellinger, 17., und Pius Paschke, 27. der Tageswertung. Trainer Stefan Horngacher und die Springer gaben sich übereinstimmend ratlos und lieferten wenig Hinweise darauf, dass es am Sonntag besser werden würde.

Die tausenden Zuschauer werden nach Hause gehen und davon berichten, dass mit Daniel Tschofenig wieder ein Österreicher gewonnen hat. Und dass es ein guter Tag war. Sie werden wiederkommen. Und das mit den Fähnchen machen.

Quelle: hessenschau.de